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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

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Ende der Tafel rufen. Ich springe auf und erblicke
den geheimnißvollen Unbekannten, den ich fast schon
vergessen hatte. Er wurde sichtbar bleich, als er
mich erkannte. Ich weiß nicht, mit welcher Me¬
dusengewalt grade in diesem Augenblicke sein Bild
auf meine Seele wirkte. In der Verblendung die¬
ses Anblicks warf ich alle Karten nach dem Orte,
wo die Erscheinung gestanden, aber er war schon
fort und schnell aus der Stube verschwunden. Alle
sahen mich erstaunt an, einige murrten, ich stürzte
zur Thüre hinaus auf die Strasse.

Ich gieng eilig durch die Gassen und blickte
rechts und links in die erleuchteten Fenster hinein,
wie da einige so eben ruhig und vollauf zu Abend
schmaußten, dort andere ein Lomberchen spielten, an¬
derswo wieder lustige Paare sich drehten und jubel¬
ten, und allen so philisterhaft wohl war. Mich
hungerte gewaltig. Betteln mocht' ich nicht. Schmaußt,
jubelt und dreht euch nur, ihr Narren! rief ich und
gieng mit starken Schritten aus dem Thore aufs
Feld hinaus. Es war eine stockfinstere Nacht, der
Wind jagte mir den Regen ins Gesicht.

Als ich eben an den Saum eines Waldes kam,
erblickte ich plötzlich hart vor mir zwey lange Män¬
ner, heimlich lauernd an eine Eiche gelehnt, die ich
sogleich für Schnapphähne erkannte. Ich gieng im
Augenblick auf sie los, und packte den einen bey der
Brust. Gebt mir was zu essen, ihr elenden Kerls!
schrie ich sie an, und mußte auch gleich darauf laut

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Ende der Tafel rufen. Ich ſpringe auf und erblicke
den geheimnißvollen Unbekannten, den ich faſt ſchon
vergeſſen hatte. Er wurde ſichtbar bleich, als er
mich erkannte. Ich weiß nicht, mit welcher Me¬
duſengewalt grade in dieſem Augenblicke ſein Bild
auf meine Seele wirkte. In der Verblendung die¬
ſes Anblicks warf ich alle Karten nach dem Orte,
wo die Erſcheinung geſtanden, aber er war ſchon
fort und ſchnell aus der Stube verſchwunden. Alle
ſahen mich erſtaunt an, einige murrten, ich ſtürzte
zur Thüre hinaus auf die Straſſe.

Ich gieng eilig durch die Gaſſen und blickte
rechts und links in die erleuchteten Fenſter hinein,
wie da einige ſo eben ruhig und vollauf zu Abend
ſchmaußten, dort andere ein Lomberchen ſpielten, an¬
derswo wieder luſtige Paare ſich drehten und jubel¬
ten, und allen ſo philiſterhaft wohl war. Mich
hungerte gewaltig. Betteln mocht' ich nicht. Schmaußt,
jubelt und dreht euch nur, ihr Narren! rief ich und
gieng mit ſtarken Schritten aus dem Thore aufs
Feld hinaus. Es war eine ſtockfinſtere Nacht, der
Wind jagte mir den Regen ins Geſicht.

Als ich eben an den Saum eines Waldes kam,
erblickte ich plötzlich hart vor mir zwey lange Män¬
ner, heimlich lauernd an eine Eiche gelehnt, die ich
ſogleich für Schnapphähne erkannte. Ich gieng im
Augenblick auf ſie los, und packte den einen bey der
Bruſt. Gebt mir was zu eſſen, ihr elenden Kerls!
ſchrie ich ſie an, und mußte auch gleich darauf laut

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[433/0439] Ende der Tafel rufen. Ich ſpringe auf und erblicke den geheimnißvollen Unbekannten, den ich faſt ſchon vergeſſen hatte. Er wurde ſichtbar bleich, als er mich erkannte. Ich weiß nicht, mit welcher Me¬ duſengewalt grade in dieſem Augenblicke ſein Bild auf meine Seele wirkte. In der Verblendung die¬ ſes Anblicks warf ich alle Karten nach dem Orte, wo die Erſcheinung geſtanden, aber er war ſchon fort und ſchnell aus der Stube verſchwunden. Alle ſahen mich erſtaunt an, einige murrten, ich ſtürzte zur Thüre hinaus auf die Straſſe. Ich gieng eilig durch die Gaſſen und blickte rechts und links in die erleuchteten Fenſter hinein, wie da einige ſo eben ruhig und vollauf zu Abend ſchmaußten, dort andere ein Lomberchen ſpielten, an¬ derswo wieder luſtige Paare ſich drehten und jubel¬ ten, und allen ſo philiſterhaft wohl war. Mich hungerte gewaltig. Betteln mocht' ich nicht. Schmaußt, jubelt und dreht euch nur, ihr Narren! rief ich und gieng mit ſtarken Schritten aus dem Thore aufs Feld hinaus. Es war eine ſtockfinſtere Nacht, der Wind jagte mir den Regen ins Geſicht. Als ich eben an den Saum eines Waldes kam, erblickte ich plötzlich hart vor mir zwey lange Män¬ ner, heimlich lauernd an eine Eiche gelehnt, die ich ſogleich für Schnapphähne erkannte. Ich gieng im Augenblick auf ſie los, und packte den einen bey der Bruſt. Gebt mir was zu eſſen, ihr elenden Kerls! ſchrie ich ſie an, und mußte auch gleich darauf laut 28

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Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 433. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/439>, abgerufen am 14.05.2024.