Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

losen Tugendlichkeit kamen ihm gar wie gemalte Be¬
griffe der Jungferschaft vor.

Nun, ich muß mich nur wieder mit Gewalt los¬
reißen, sagte endlich der Schulrath, seinen Hut ergrei¬
fend, ernstere Geschäfte rufen mich. -- Ein Genie!
flüsterte er, im Fortgehen auf Albert deutend, Fortu¬
naten zu. -- Ein tiefer, umfassender Geist! sagte Al¬
bert, als der Schulrath verschwand.

Fortunaten aber hatte unterdeß eines von den
kleineren Bildern angezogen. Man sah' Rom in der
Ferne mit seinen phantastischen Trümmern und Palä¬
sten in der vollen Gluth des südlichen Abendhimmels.
Im Vorgrunde, von Rom fort, schritt einsam durch
das schon dunkelnde öde Feld ein einzelner Mann mit
antikem Faltenwurf des Mantels und feierlich ernster
Miene, an der Fortunat sogleich den Maler selbst
erkannt hätte, wenn er auch nicht zum Ueberfluß noch
mit dem obengedachten Schwerdte vom Jahre 1813
umgürtet gewesen wäre. -- Aber warum in aller Welt
kehren Sie dieser leuchtenden Wunderpracht hier so
eilfertig den Rücken? fragte er erstaunt. -- Dieses Bild,
erwiederte Albert, mit seinem allerlängsten Gesicht,
bezeichnet eigentlich die dunkle Führung überhaupt, die
in meinem Leben waltet. Rom ist herrlich, und ich
nahte voll Ehrfurcht den alten Heldenmalen. Aber
das leichtsinnige Geschlecht und das Klingeln der Bon¬
zen über den Gräbern versunkener Größe störte und

loſen Tugendlichkeit kamen ihm gar wie gemalte Be¬
griffe der Jungferſchaft vor.

Nun, ich muß mich nur wieder mit Gewalt los¬
reißen, ſagte endlich der Schulrath, ſeinen Hut ergrei¬
fend, ernſtere Geſchaͤfte rufen mich. — Ein Genie!
fluͤſterte er, im Fortgehen auf Albert deutend, Fortu¬
naten zu. — Ein tiefer, umfaſſender Geiſt! ſagte Al¬
bert, als der Schulrath verſchwand.

Fortunaten aber hatte unterdeß eines von den
kleineren Bildern angezogen. Man ſah' Rom in der
Ferne mit ſeinen phantaſtiſchen Truͤmmern und Palaͤ¬
ſten in der vollen Gluth des ſuͤdlichen Abendhimmels.
Im Vorgrunde, von Rom fort, ſchritt einſam durch
das ſchon dunkelnde oͤde Feld ein einzelner Mann mit
antikem Faltenwurf des Mantels und feierlich ernſter
Miene, an der Fortunat ſogleich den Maler ſelbſt
erkannt haͤtte, wenn er auch nicht zum Ueberfluß noch
mit dem obengedachten Schwerdte vom Jahre 1813
umguͤrtet geweſen waͤre. — Aber warum in aller Welt
kehren Sie dieſer leuchtenden Wunderpracht hier ſo
eilfertig den Ruͤcken? fragte er erſtaunt. — Dieſes Bild,
erwiederte Albert, mit ſeinem allerlaͤngſten Geſicht,
bezeichnet eigentlich die dunkle Fuͤhrung uͤberhaupt, die
in meinem Leben waltet. Rom iſt herrlich, und ich
nahte voll Ehrfurcht den alten Heldenmalen. Aber
das leichtſinnige Geſchlecht und das Klingeln der Bon¬
zen uͤber den Graͤbern verſunkener Groͤße ſtoͤrte und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0103" n="96"/>
lo&#x017F;en Tugendlichkeit kamen ihm gar wie gemalte Be¬<lb/>
griffe der Jungfer&#x017F;chaft vor.</p><lb/>
          <p>Nun, ich muß mich nur wieder mit Gewalt los¬<lb/>
reißen, &#x017F;agte endlich der Schulrath, &#x017F;einen Hut ergrei¬<lb/>
fend, ern&#x017F;tere Ge&#x017F;cha&#x0364;fte rufen mich. &#x2014; Ein Genie!<lb/>
flu&#x0364;&#x017F;terte er, im Fortgehen auf Albert deutend, Fortu¬<lb/>
naten zu. &#x2014; Ein tiefer, umfa&#x017F;&#x017F;ender Gei&#x017F;t! &#x017F;agte Al¬<lb/>
bert, als der Schulrath ver&#x017F;chwand.</p><lb/>
          <p>Fortunaten aber hatte unterdeß eines von den<lb/>
kleineren Bildern angezogen. Man &#x017F;ah' Rom in der<lb/>
Ferne mit &#x017F;einen phanta&#x017F;ti&#x017F;chen Tru&#x0364;mmern und Pala&#x0364;¬<lb/>
&#x017F;ten in der vollen Gluth des &#x017F;u&#x0364;dlichen Abendhimmels.<lb/>
Im Vorgrunde, von Rom fort, &#x017F;chritt ein&#x017F;am durch<lb/>
das &#x017F;chon dunkelnde o&#x0364;de Feld ein einzelner Mann mit<lb/>
antikem Faltenwurf des Mantels und feierlich ern&#x017F;ter<lb/>
Miene, an der Fortunat &#x017F;ogleich den Maler &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
erkannt ha&#x0364;tte, wenn er auch nicht zum Ueberfluß noch<lb/>
mit dem obengedachten Schwerdte vom Jahre 1813<lb/>
umgu&#x0364;rtet gewe&#x017F;en wa&#x0364;re. &#x2014; Aber warum in aller Welt<lb/>
kehren Sie die&#x017F;er leuchtenden Wunderpracht hier &#x017F;o<lb/>
eilfertig den Ru&#x0364;cken? fragte er er&#x017F;taunt. &#x2014; Die&#x017F;es Bild,<lb/>
erwiederte Albert, mit &#x017F;einem allerla&#x0364;ng&#x017F;ten Ge&#x017F;icht,<lb/>
bezeichnet eigentlich die dunkle Fu&#x0364;hrung u&#x0364;berhaupt, die<lb/>
in meinem Leben waltet. Rom i&#x017F;t herrlich, und ich<lb/>
nahte voll Ehrfurcht den alten Heldenmalen. Aber<lb/>
das leicht&#x017F;innige Ge&#x017F;chlecht und das Klingeln der Bon¬<lb/>
zen u&#x0364;ber den Gra&#x0364;bern ver&#x017F;unkener Gro&#x0364;ße &#x017F;to&#x0364;rte und<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[96/0103] loſen Tugendlichkeit kamen ihm gar wie gemalte Be¬ griffe der Jungferſchaft vor. Nun, ich muß mich nur wieder mit Gewalt los¬ reißen, ſagte endlich der Schulrath, ſeinen Hut ergrei¬ fend, ernſtere Geſchaͤfte rufen mich. — Ein Genie! fluͤſterte er, im Fortgehen auf Albert deutend, Fortu¬ naten zu. — Ein tiefer, umfaſſender Geiſt! ſagte Al¬ bert, als der Schulrath verſchwand. Fortunaten aber hatte unterdeß eines von den kleineren Bildern angezogen. Man ſah' Rom in der Ferne mit ſeinen phantaſtiſchen Truͤmmern und Palaͤ¬ ſten in der vollen Gluth des ſuͤdlichen Abendhimmels. Im Vorgrunde, von Rom fort, ſchritt einſam durch das ſchon dunkelnde oͤde Feld ein einzelner Mann mit antikem Faltenwurf des Mantels und feierlich ernſter Miene, an der Fortunat ſogleich den Maler ſelbſt erkannt haͤtte, wenn er auch nicht zum Ueberfluß noch mit dem obengedachten Schwerdte vom Jahre 1813 umguͤrtet geweſen waͤre. — Aber warum in aller Welt kehren Sie dieſer leuchtenden Wunderpracht hier ſo eilfertig den Ruͤcken? fragte er erſtaunt. — Dieſes Bild, erwiederte Albert, mit ſeinem allerlaͤngſten Geſicht, bezeichnet eigentlich die dunkle Fuͤhrung uͤberhaupt, die in meinem Leben waltet. Rom iſt herrlich, und ich nahte voll Ehrfurcht den alten Heldenmalen. Aber das leichtſinnige Geſchlecht und das Klingeln der Bon¬ zen uͤber den Graͤbern verſunkener Groͤße ſtoͤrte und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/103
Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/103>, abgerufen am 08.05.2024.