Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

In dieser Noth verfiel sie darauf, ihr Gewehr zum
Signal abzuschießen. Zu ihrer Freude gab sogleich
ein Schuß ganz nahe Antwort. Bald darauf hörte
sie Fußtritte auf dem lockeren Gerölle, eine hohe,
schlanke Gestalt trat plötzlich zwischen den Steinen
hervor -- es war Lothario. Das ist ein gefährliches
Revier, sagte er, und die Nacht bricht schon herein,
doch ich bin hier der Pfade kundig, und meiner Rich¬
tung gewiß. -- Die Gräfin aber hatte bei seinem An¬
blick ein seltsamer Eigensinn ergriffen, gerade ihm
dachte sie hier am wenigsten zu begegnen, und eh' er's
verhindern konnte, schwang sie, ihn abwehrend, sich
auf einen einzelnen, senkrecht über die Tiefe hinausra¬
genden Fels, daß ihm in innerster Seele graus'te --
nur ein Fehltritt und sie glitt in den Abgrund hinun¬
ter. -- Da hatte Lothario mit sicherem Blick seinen
Vortheil abgesehen. In raschem Entschluß umfaßte
er sie plötzlich und schwang die Sträubende auf seinen
Arm. Erschrocken, überrascht, wußte sie nicht, wie
ihr geschehe, und sah ihm verwundert und zornig in die
Augen. Er aber trug sie grauenhaft an jähen Schlün¬
den vorüber durch die Dämmerung von Klippe zu
Klippe hinab, daß sie, vor Entsetzen mit dem einen
Arm seinen Nacken umklammernd, ihn rings mit ihren
aufgeringelten Locken umgab. So schwiegen sie beide
lange Zeit.

In dieſer Noth verfiel ſie darauf, ihr Gewehr zum
Signal abzuſchießen. Zu ihrer Freude gab ſogleich
ein Schuß ganz nahe Antwort. Bald darauf hoͤrte
ſie Fußtritte auf dem lockeren Geroͤlle, eine hohe,
ſchlanke Geſtalt trat ploͤtzlich zwiſchen den Steinen
hervor — es war Lothario. Das iſt ein gefaͤhrliches
Revier, ſagte er, und die Nacht bricht ſchon herein,
doch ich bin hier der Pfade kundig, und meiner Rich¬
tung gewiß. — Die Graͤfin aber hatte bei ſeinem An¬
blick ein ſeltſamer Eigenſinn ergriffen, gerade ihm
dachte ſie hier am wenigſten zu begegnen, und eh' er's
verhindern konnte, ſchwang ſie, ihn abwehrend, ſich
auf einen einzelnen, ſenkrecht uͤber die Tiefe hinausra¬
genden Fels, daß ihm in innerſter Seele grauſ'te —
nur ein Fehltritt und ſie glitt in den Abgrund hinun¬
ter. — Da hatte Lothario mit ſicherem Blick ſeinen
Vortheil abgeſehen. In raſchem Entſchluß umfaßte
er ſie ploͤtzlich und ſchwang die Straͤubende auf ſeinen
Arm. Erſchrocken, uͤberraſcht, wußte ſie nicht, wie
ihr geſchehe, und ſah ihm verwundert und zornig in die
Augen. Er aber trug ſie grauenhaft an jaͤhen Schluͤn¬
den voruͤber durch die Daͤmmerung von Klippe zu
Klippe hinab, daß ſie, vor Entſetzen mit dem einen
Arm ſeinen Nacken umklammernd, ihn rings mit ihren
aufgeringelten Locken umgab. So ſchwiegen ſie beide
lange Zeit.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0181" n="174"/>
In die&#x017F;er Noth verfiel &#x017F;ie darauf, ihr Gewehr zum<lb/>
Signal abzu&#x017F;chießen. Zu ihrer Freude gab &#x017F;ogleich<lb/>
ein Schuß ganz nahe Antwort. Bald darauf ho&#x0364;rte<lb/>
&#x017F;ie Fußtritte auf dem lockeren Gero&#x0364;lle, eine hohe,<lb/>
&#x017F;chlanke Ge&#x017F;talt trat plo&#x0364;tzlich zwi&#x017F;chen den Steinen<lb/>
hervor &#x2014; es war Lothario. Das i&#x017F;t ein gefa&#x0364;hrliches<lb/>
Revier, &#x017F;agte er, und die Nacht bricht &#x017F;chon herein,<lb/>
doch ich bin hier der Pfade kundig, und meiner Rich¬<lb/>
tung gewiß. &#x2014; Die Gra&#x0364;fin aber hatte bei &#x017F;einem An¬<lb/>
blick ein &#x017F;elt&#x017F;amer Eigen&#x017F;inn ergriffen, gerade ihm<lb/>
dachte &#x017F;ie hier am wenig&#x017F;ten zu begegnen, und eh' er's<lb/>
verhindern konnte, &#x017F;chwang &#x017F;ie, ihn abwehrend, &#x017F;ich<lb/>
auf einen einzelnen, &#x017F;enkrecht u&#x0364;ber die Tiefe hinausra¬<lb/>
genden Fels, daß ihm in inner&#x017F;ter Seele grau&#x017F;'te &#x2014;<lb/>
nur ein Fehltritt und &#x017F;ie glitt in den Abgrund hinun¬<lb/>
ter. &#x2014; Da hatte Lothario mit &#x017F;icherem Blick &#x017F;einen<lb/>
Vortheil abge&#x017F;ehen. In ra&#x017F;chem Ent&#x017F;chluß umfaßte<lb/>
er &#x017F;ie plo&#x0364;tzlich und &#x017F;chwang die Stra&#x0364;ubende auf &#x017F;einen<lb/>
Arm. Er&#x017F;chrocken, u&#x0364;berra&#x017F;cht, wußte &#x017F;ie nicht, wie<lb/>
ihr ge&#x017F;chehe, und &#x017F;ah ihm verwundert und zornig in die<lb/>
Augen. Er aber trug &#x017F;ie grauenhaft an ja&#x0364;hen Schlu&#x0364;<lb/>
den voru&#x0364;ber durch die Da&#x0364;mmerung von Klippe zu<lb/>
Klippe hinab, daß &#x017F;ie, vor Ent&#x017F;etzen mit dem einen<lb/>
Arm &#x017F;einen Nacken umklammernd, ihn rings mit ihren<lb/>
aufgeringelten Locken umgab. So &#x017F;chwiegen &#x017F;ie beide<lb/>
lange Zeit.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[174/0181] In dieſer Noth verfiel ſie darauf, ihr Gewehr zum Signal abzuſchießen. Zu ihrer Freude gab ſogleich ein Schuß ganz nahe Antwort. Bald darauf hoͤrte ſie Fußtritte auf dem lockeren Geroͤlle, eine hohe, ſchlanke Geſtalt trat ploͤtzlich zwiſchen den Steinen hervor — es war Lothario. Das iſt ein gefaͤhrliches Revier, ſagte er, und die Nacht bricht ſchon herein, doch ich bin hier der Pfade kundig, und meiner Rich¬ tung gewiß. — Die Graͤfin aber hatte bei ſeinem An¬ blick ein ſeltſamer Eigenſinn ergriffen, gerade ihm dachte ſie hier am wenigſten zu begegnen, und eh' er's verhindern konnte, ſchwang ſie, ihn abwehrend, ſich auf einen einzelnen, ſenkrecht uͤber die Tiefe hinausra¬ genden Fels, daß ihm in innerſter Seele grauſ'te — nur ein Fehltritt und ſie glitt in den Abgrund hinun¬ ter. — Da hatte Lothario mit ſicherem Blick ſeinen Vortheil abgeſehen. In raſchem Entſchluß umfaßte er ſie ploͤtzlich und ſchwang die Straͤubende auf ſeinen Arm. Erſchrocken, uͤberraſcht, wußte ſie nicht, wie ihr geſchehe, und ſah ihm verwundert und zornig in die Augen. Er aber trug ſie grauenhaft an jaͤhen Schluͤn¬ den voruͤber durch die Daͤmmerung von Klippe zu Klippe hinab, daß ſie, vor Entſetzen mit dem einen Arm ſeinen Nacken umklammernd, ihn rings mit ihren aufgeringelten Locken umgab. So ſchwiegen ſie beide lange Zeit.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/181
Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/181>, abgerufen am 27.04.2024.