Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eichendorff, Joseph von: Gedichte. Berlin, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite
Mädchen.
Gar oft schon fühlt' ich's tief, des Mädchens Seele
Wird nicht sich selbst, dem Liebsten nur geboren.
Da irrt sie nun verstoßen und verloren,
Schickt heimlich Blicke schön als Boten aus,
Daß sie auf Erden suchen ihr ihr Haus.
Sie schlummert in der Schwüle, leicht bedeckt,
Lächelt im Schlafe, athmet warm und leise,
Doch die Gedanken sind fern auf der Reise,
Und auf den Wangen flattert träum'risch Feuer,
Hebt buhlend oft der Wind den zarten Schleier.
Der Mann, der da zum erstenmal sie weckt,
Zuerst hinunterlangt in diese Stille,
Dem fällt sie um den Hals vor Freude bang
Und läßt ihn nicht mehr all' ihr Lebelang.

Maͤdchen.
Gar oft ſchon fuͤhlt' ich's tief, des Maͤdchens Seele
Wird nicht ſich ſelbſt, dem Liebſten nur geboren.
Da irrt ſie nun verſtoßen und verloren,
Schickt heimlich Blicke ſchoͤn als Boten aus,
Daß ſie auf Erden ſuchen ihr ihr Haus.
Sie ſchlummert in der Schwuͤle, leicht bedeckt,
Laͤchelt im Schlafe, athmet warm und leiſe,
Doch die Gedanken ſind fern auf der Reiſe,
Und auf den Wangen flattert traͤum'riſch Feuer,
Hebt buhlend oft der Wind den zarten Schleier.
Der Mann, der da zum erſtenmal ſie weckt,
Zuerſt hinunterlangt in dieſe Stille,
Dem faͤllt ſie um den Hals vor Freude bang
Und laͤßt ihn nicht mehr all' ihr Lebelang.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0249" n="231"/>
        </div>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b #g">Ma&#x0364;dchen.</hi><lb/>
          </head>
          <lg type="poem">
            <l><hi rendition="#in">G</hi>ar oft &#x017F;chon fu&#x0364;hlt' ich's tief, des Ma&#x0364;dchens Seele</l><lb/>
            <l>Wird nicht &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t, dem Lieb&#x017F;ten nur geboren.</l><lb/>
            <l>Da irrt &#x017F;ie nun ver&#x017F;toßen und verloren,</l><lb/>
            <l>Schickt heimlich Blicke &#x017F;cho&#x0364;n als Boten aus,</l><lb/>
            <l>Daß &#x017F;ie auf Erden &#x017F;uchen ihr ihr Haus.</l><lb/>
            <l>Sie &#x017F;chlummert in der Schwu&#x0364;le, leicht bedeckt,</l><lb/>
            <l>La&#x0364;chelt im Schlafe, athmet warm und lei&#x017F;e,</l><lb/>
            <l>Doch die Gedanken &#x017F;ind fern auf der Rei&#x017F;e,</l><lb/>
            <l>Und auf den Wangen flattert tra&#x0364;um'ri&#x017F;ch Feuer,</l><lb/>
            <l>Hebt buhlend oft der Wind den zarten Schleier.</l><lb/>
            <l>Der Mann, der da zum er&#x017F;tenmal &#x017F;ie weckt,</l><lb/>
            <l>Zuer&#x017F;t hinunterlangt in die&#x017F;e Stille,</l><lb/>
            <l>Dem fa&#x0364;llt &#x017F;ie um den Hals vor Freude bang</l><lb/>
            <l>Und la&#x0364;ßt ihn nicht mehr all' ihr Lebelang.</l><lb/>
          </lg>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[231/0249] Maͤdchen. Gar oft ſchon fuͤhlt' ich's tief, des Maͤdchens Seele Wird nicht ſich ſelbſt, dem Liebſten nur geboren. Da irrt ſie nun verſtoßen und verloren, Schickt heimlich Blicke ſchoͤn als Boten aus, Daß ſie auf Erden ſuchen ihr ihr Haus. Sie ſchlummert in der Schwuͤle, leicht bedeckt, Laͤchelt im Schlafe, athmet warm und leiſe, Doch die Gedanken ſind fern auf der Reiſe, Und auf den Wangen flattert traͤum'riſch Feuer, Hebt buhlend oft der Wind den zarten Schleier. Der Mann, der da zum erſtenmal ſie weckt, Zuerſt hinunterlangt in dieſe Stille, Dem faͤllt ſie um den Hals vor Freude bang Und laͤßt ihn nicht mehr all' ihr Lebelang.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_gedichte_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_gedichte_1837/249
Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Gedichte. Berlin, 1837, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_gedichte_1837/249>, abgerufen am 02.05.2024.