das Bein ausreißen möchten! Und alle das Zucken, Weintrinken und Hungerleiden lediglich für die un¬ sterbliche Ewigkeit! Und siehe meinen Herrn Collegen dort auf der Bank, der gleichfalls ein Genie ist; ihm wird die Zeit schon zu lang, was wird er erst in der Ewigkeit anfangen?! Ja, hochgeschätzter Herr College, Du und ich und die Sonne, wir sind heute früh zu¬ sammen aufgegangen, und haben den ganzen Tag ge¬ brütet und gemalt, und es war alles schön -- und nun fährt die schläfrige Nacht mit ihrem Pelzärmel über die Welt und hat alle Farben verwischt." Er sprach noch immerfort und war dabei mit seinen verwirrten Haaren von dem Tanzen und Trinken im Mondschein ganz leichenblaß anzusehen.
Mir aber graute schon lange vor ihm und seinem wilden Gerede, und als er sich nun förmlich zu dem schlafenden Maler herum wandte, benutzte ich die Ge¬ legenheit, schlich, ohne daß er es bemerkte, um den Tisch, aus dem Garten heraus, und stieg, allein und fröhlich im Herzen, an dem Rebengeländer in das weite, vom Mondschein beglänzte Thal hinunter.
Von der Stadt her schlugen die Uhren Zehn. Hin¬ ter mir hörte ich durch die stille Nacht noch einzelne Guitarren-Klänge und manchmal die Stimmen der beiden Maler, die nun auch nach Hause gingen, von ferne herüberschallen. Ich lief daher so schnell, als ich nur konnte, damit sie mich nicht weiter ausfragen sollten.
Am Thore bog ich sogleich rechts in die Straße ein, und ging mit klopfendem Herzen eilig zwischen
das Bein ausreißen moͤchten! Und alle das Zucken, Weintrinken und Hungerleiden lediglich fuͤr die un¬ ſterbliche Ewigkeit! Und ſiehe meinen Herrn Collegen dort auf der Bank, der gleichfalls ein Genie iſt; ihm wird die Zeit ſchon zu lang, was wird er erſt in der Ewigkeit anfangen?! Ja, hochgeſchaͤtzter Herr College, Du und ich und die Sonne, wir ſind heute fruͤh zu¬ ſammen aufgegangen, und haben den ganzen Tag ge¬ bruͤtet und gemalt, und es war alles ſchoͤn — und nun faͤhrt die ſchlaͤfrige Nacht mit ihrem Pelzaͤrmel uͤber die Welt und hat alle Farben verwiſcht.“ Er ſprach noch immerfort und war dabei mit ſeinen verwirrten Haaren von dem Tanzen und Trinken im Mondſchein ganz leichenblaß anzuſehen.
Mir aber graute ſchon lange vor ihm und ſeinem wilden Gerede, und als er ſich nun foͤrmlich zu dem ſchlafenden Maler herum wandte, benutzte ich die Ge¬ legenheit, ſchlich, ohne daß er es bemerkte, um den Tiſch, aus dem Garten heraus, und ſtieg, allein und froͤhlich im Herzen, an dem Rebengelaͤnder in das weite, vom Mondſchein beglaͤnzte Thal hinunter.
Von der Stadt her ſchlugen die Uhren Zehn. Hin¬ ter mir hoͤrte ich durch die ſtille Nacht noch einzelne Guitarren-Klaͤnge und manchmal die Stimmen der beiden Maler, die nun auch nach Hauſe gingen, von ferne heruͤberſchallen. Ich lief daher ſo ſchnell, als ich nur konnte, damit ſie mich nicht weiter ausfragen ſollten.
Am Thore bog ich ſogleich rechts in die Straße ein, und ging mit klopfendem Herzen eilig zwiſchen
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das Bein ausreißen moͤchten! Und alle das Zucken,
Weintrinken und Hungerleiden lediglich fuͤr die un¬
ſterbliche Ewigkeit! Und ſiehe meinen Herrn Collegen
dort auf der Bank, der gleichfalls ein Genie iſt; ihm
wird die Zeit ſchon zu lang, was wird er erſt in der
Ewigkeit anfangen?! Ja, hochgeſchaͤtzter Herr College,
Du und ich und die Sonne, wir ſind heute fruͤh zu¬
ſammen aufgegangen, und haben den ganzen Tag ge¬
bruͤtet und gemalt, und es war alles ſchoͤn — und nun
faͤhrt die ſchlaͤfrige Nacht mit ihrem Pelzaͤrmel uͤber
die Welt und hat alle Farben verwiſcht.“ Er ſprach
noch immerfort und war dabei mit ſeinen verwirrten
Haaren von dem Tanzen und Trinken im Mondſchein
ganz leichenblaß anzuſehen.
Mir aber graute ſchon lange vor ihm und ſeinem
wilden Gerede, und als er ſich nun foͤrmlich zu dem
ſchlafenden Maler herum wandte, benutzte ich die Ge¬
legenheit, ſchlich, ohne daß er es bemerkte, um den
Tiſch, aus dem Garten heraus, und ſtieg, allein und
froͤhlich im Herzen, an dem Rebengelaͤnder in das
weite, vom Mondſchein beglaͤnzte Thal hinunter.
Von der Stadt her ſchlugen die Uhren Zehn. Hin¬
ter mir hoͤrte ich durch die ſtille Nacht noch einzelne
Guitarren-Klaͤnge und manchmal die Stimmen der
beiden Maler, die nun auch nach Hauſe gingen, von
ferne heruͤberſchallen. Ich lief daher ſo ſchnell, als ich nur
konnte, damit ſie mich nicht weiter ausfragen ſollten.
Am Thore bog ich ſogleich rechts in die Straße
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Im Unterschied zur Novelle „Aus dem Leben eines T… [mehr]
Im Unterschied zur Novelle „Aus dem Leben eines Taugenichts“ erschien die Novelle „Das Marmorbild“ erstmalig 1819 im „Frauentaschenbuch für das Jahr 1819“ herausgegeben von Friedrich de La Motte-Fouqué.
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Eichendorff, Joseph von: Aus dem Leben eines Taugenichts und das Marmorbild. Berlin, 1826, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_taugenichts_1826/113>, abgerufen am 16.06.2024.
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