Erschrocken verließ Florio das Fenster und kehrte zu der Dame zurück. Diese saß unbeweglich still, als lausche sie. Dann stand sie rasch auf, ging ans Fen¬ ster und sprach mit anmuthiger Stimme scheltend in die Nacht hinaus. Florio konnte aber nichts verstehen, denn der Sturm riß die Worte gleich mit sich fort. -- Das Gewitter schien indeß immer näher zu kommen, der Wind, zwischen dem noch immer fort einzelne Töne des Gesanges herzzerreißend heraufflogen, strich pfeifend durch das ganze Haus und drohte die wild hin und her flackernden Kerzen zu verlöschen. Ein langer Blitz erleuchtete so eben das dämmernde Gemach. Da fuhr Florio plößlich einige Schritte zurück, denn es war ihm, als stünde die Dame starr mit geschlossenen Augen und ganz weißem Antlitz und Armen vor ihm. -- Mit dem flüchtigen Blitzesscheine jedoch verschwand auch das schreckliche Gesicht wieder, wie es entstanden. Die alte Dämmerung füllte wieder das Gemach, die Dame sah ihn wieder lächelnd an wie vorhin, aber still¬ schweigend und wehmüthig, wie mit schwerverhaltenen Thränen.
Florio hatte indeß, im Schreck zurücktaumelnd, eines von den steinernen Bildern, die an der Wand herumstanden, angestoßen. In demselben Augenblicke begann dasselbe sich zu rühren, die Regung theilte sich schnell den andern mit, und bald erhoben sich alle die Bilder mit furchtbarem Schweigen von ihrem Gestelle. Florio zog seinen Degen und warf einen ungewissen Blick auf die Dame. Als er aber bemerkte, daß die¬
Erſchrocken verließ Florio das Fenſter und kehrte zu der Dame zuruͤck. Dieſe ſaß unbeweglich ſtill, als lauſche ſie. Dann ſtand ſie raſch auf, ging ans Fen¬ ſter und ſprach mit anmuthiger Stimme ſcheltend in die Nacht hinaus. Florio konnte aber nichts verſtehen, denn der Sturm riß die Worte gleich mit ſich fort. — Das Gewitter ſchien indeß immer naͤher zu kommen, der Wind, zwiſchen dem noch immer fort einzelne Toͤne des Geſanges herzzerreißend heraufflogen, ſtrich pfeifend durch das ganze Haus und drohte die wild hin und her flackernden Kerzen zu verloͤſchen. Ein langer Blitz erleuchtete ſo eben das daͤmmernde Gemach. Da fuhr Florio ploͤßlich einige Schritte zuruͤck, denn es war ihm, als ſtuͤnde die Dame ſtarr mit geſchloſſenen Augen und ganz weißem Antlitz und Armen vor ihm. — Mit dem fluͤchtigen Blitzesſcheine jedoch verſchwand auch das ſchreckliche Geſicht wieder, wie es entſtanden. Die alte Daͤmmerung fuͤllte wieder das Gemach, die Dame ſah ihn wieder laͤchelnd an wie vorhin, aber ſtill¬ ſchweigend und wehmuͤthig, wie mit ſchwerverhaltenen Thraͤnen.
Florio hatte indeß, im Schreck zuruͤcktaumelnd, eines von den ſteinernen Bildern, die an der Wand herumſtanden, angeſtoßen. In demſelben Augenblicke begann daſſelbe ſich zu ruͤhren, die Regung theilte ſich ſchnell den andern mit, und bald erhoben ſich alle die Bilder mit furchtbarem Schweigen von ihrem Geſtelle. Florio zog ſeinen Degen und warf einen ungewiſſen Blick auf die Dame. Als er aber bemerkte, daß die¬
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Erſchrocken verließ Florio das Fenſter und kehrte
zu der Dame zuruͤck. Dieſe ſaß unbeweglich ſtill, als
lauſche ſie. Dann ſtand ſie raſch auf, ging ans Fen¬
ſter und ſprach mit anmuthiger Stimme ſcheltend in
die Nacht hinaus. Florio konnte aber nichts verſtehen,
denn der Sturm riß die Worte gleich mit ſich fort. —
Das Gewitter ſchien indeß immer naͤher zu kommen,
der Wind, zwiſchen dem noch immer fort einzelne Toͤne
des Geſanges herzzerreißend heraufflogen, ſtrich pfeifend
durch das ganze Haus und drohte die wild hin und
her flackernden Kerzen zu verloͤſchen. Ein langer Blitz
erleuchtete ſo eben das daͤmmernde Gemach. Da fuhr
Florio ploͤßlich einige Schritte zuruͤck, denn es war
ihm, als ſtuͤnde die Dame ſtarr mit geſchloſſenen Augen
und ganz weißem Antlitz und Armen vor ihm. — Mit
dem fluͤchtigen Blitzesſcheine jedoch verſchwand auch
das ſchreckliche Geſicht wieder, wie es entſtanden. Die
alte Daͤmmerung fuͤllte wieder das Gemach, die Dame
ſah ihn wieder laͤchelnd an wie vorhin, aber ſtill¬
ſchweigend und wehmuͤthig, wie mit ſchwerverhaltenen
Thraͤnen.
Florio hatte indeß, im Schreck zuruͤcktaumelnd,
eines von den ſteinernen Bildern, die an der Wand
herumſtanden, angeſtoßen. In demſelben Augenblicke
begann daſſelbe ſich zu ruͤhren, die Regung theilte ſich
ſchnell den andern mit, und bald erhoben ſich alle die
Bilder mit furchtbarem Schweigen von ihrem Geſtelle.
Florio zog ſeinen Degen und warf einen ungewiſſen
Blick auf die Dame. Als er aber bemerkte, daß die¬
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Im Unterschied zur Novelle „Aus dem Leben eines T… [mehr]
Im Unterschied zur Novelle „Aus dem Leben eines Taugenichts“ erschien die Novelle „Das Marmorbild“ erstmalig 1819 im „Frauentaschenbuch für das Jahr 1819“ herausgegeben von Friedrich de La Motte-Fouqué.
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Eichendorff, Joseph von: Aus dem Leben eines Taugenichts und das Marmorbild. Berlin, 1826, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_taugenichts_1826/197>, abgerufen am 16.06.2024.
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