lich so lang aus, als ich nur konnte, bis ich den ersten Ast erreicht hatte und mich geschwinde hinaufschwang. Aber ich baumelte noch mit halbem Leibe über dem Aste und wollte so eben auch meine Beine nachholen, als der eine von den Reitern rasch hinter mir über den Platz daher trabte. Ich drückte nun die Augen fest zu in dem dunkeln Laube, und rührte und regte mich nicht. -- "Wer ist da?" rief es auf einmal dicht hin¬ ter mir. "Niemand!" schrie ich aus Leibeskräften vor Schreck, daß er mich doch noch erwischt hatte. Ins¬ geheim mußte ich aber doch bei mir lachen, wie die Kerls sich schneiden würden, wenn sie mir die leeren Taschen umdrehten. -- "Ey, ey," sagte der Räuber wieder, "wem gehören denn aber die zwei Beine, die da herunter hängen?" -- Da half nichts mehr. "Nichts weiter" versetzte ich, "als ein paar arme, ver¬ irrte Musikantenbeine," und ließ mich rasch wieder auf den Boden herab, denn ich schämte mich auch, länger wie eine zerbrochene Gabel da über dem Aste zu hängen.
Das Pferd des Reiters scheute, als ich so plötzlich vom Baume herunterfuhr. Er klopfte ihm den Hals und sagte lachend: "Nun wir sind auch verirrt, da sind wir rechte Kammeraden; ich dächte also, Du häl¬ fest uns ein wenig den Weg nach B. aufsuchen. Es soll Dein Schade nicht seyn." Ich hatte nun gut be¬ theuern, daß ich gar nicht wüßte, wo B. läge, daß ich lieber hier im Wirthshause fragen, oder sie in das Dorf hinunter führen wollte. Der Kerl nahm gar keine Raison an. Er zog ganz ruhig eine Pistole aus
lich ſo lang aus, als ich nur konnte, bis ich den erſten Aſt erreicht hatte und mich geſchwinde hinaufſchwang. Aber ich baumelte noch mit halbem Leibe uͤber dem Aſte und wollte ſo eben auch meine Beine nachholen, als der eine von den Reitern raſch hinter mir uͤber den Platz daher trabte. Ich druͤckte nun die Augen feſt zu in dem dunkeln Laube, und ruͤhrte und regte mich nicht. — „Wer iſt da?“ rief es auf einmal dicht hin¬ ter mir. „Niemand!“ ſchrie ich aus Leibeskraͤften vor Schreck, daß er mich doch noch erwiſcht hatte. Ins¬ geheim mußte ich aber doch bei mir lachen, wie die Kerls ſich ſchneiden wuͤrden, wenn ſie mir die leeren Taſchen umdrehten. — „Ey, ey,“ ſagte der Raͤuber wieder, „wem gehoͤren denn aber die zwei Beine, die da herunter haͤngen?“ — Da half nichts mehr. „Nichts weiter“ verſetzte ich, „als ein paar arme, ver¬ irrte Muſikantenbeine,“ und ließ mich raſch wieder auf den Boden herab, denn ich ſchaͤmte mich auch, laͤnger wie eine zerbrochene Gabel da uͤber dem Aſte zu haͤngen.
Das Pferd des Reiters ſcheute, als ich ſo ploͤtzlich vom Baume herunterfuhr. Er klopfte ihm den Hals und ſagte lachend: „Nun wir ſind auch verirrt, da ſind wir rechte Kammeraden; ich daͤchte alſo, Du haͤl¬ feſt uns ein wenig den Weg nach B. aufſuchen. Es ſoll Dein Schade nicht ſeyn.“ Ich hatte nun gut be¬ theuern, daß ich gar nicht wuͤßte, wo B. laͤge, daß ich lieber hier im Wirthshauſe fragen, oder ſie in das Dorf hinunter fuͤhren wollte. Der Kerl nahm gar keine Raiſon an. Er zog ganz ruhig eine Piſtole aus
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lich ſo lang aus, als ich nur konnte, bis ich den erſten
Aſt erreicht hatte und mich geſchwinde hinaufſchwang.
Aber ich baumelte noch mit halbem Leibe uͤber dem
Aſte und wollte ſo eben auch meine Beine nachholen,
als der eine von den Reitern raſch hinter mir uͤber den
Platz daher trabte. Ich druͤckte nun die Augen feſt
zu in dem dunkeln Laube, und ruͤhrte und regte mich
nicht. — „Wer iſt da?“ rief es auf einmal dicht hin¬
ter mir. „Niemand!“ ſchrie ich aus Leibeskraͤften vor
Schreck, daß er mich doch noch erwiſcht hatte. Ins¬
geheim mußte ich aber doch bei mir lachen, wie die
Kerls ſich ſchneiden wuͤrden, wenn ſie mir die leeren
Taſchen umdrehten. — „Ey, ey,“ ſagte der Raͤuber
wieder, „wem gehoͤren denn aber die zwei Beine, die
da herunter haͤngen?“ — Da half nichts mehr.
„Nichts weiter“ verſetzte ich, „als ein paar arme, ver¬
irrte Muſikantenbeine,“ und ließ mich raſch wieder auf
den Boden herab, denn ich ſchaͤmte mich auch, laͤnger
wie eine zerbrochene Gabel da uͤber dem Aſte zu haͤngen.
Das Pferd des Reiters ſcheute, als ich ſo ploͤtzlich
vom Baume herunterfuhr. Er klopfte ihm den Hals
und ſagte lachend: „Nun wir ſind auch verirrt, da
ſind wir rechte Kammeraden; ich daͤchte alſo, Du haͤl¬
feſt uns ein wenig den Weg nach B. aufſuchen. Es
ſoll Dein Schade nicht ſeyn.“ Ich hatte nun gut be¬
theuern, daß ich gar nicht wuͤßte, wo B. laͤge, daß ich
lieber hier im Wirthshauſe fragen, oder ſie in das
Dorf hinunter fuͤhren wollte. Der Kerl nahm gar
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Im Unterschied zur Novelle „Aus dem Leben eines T… [mehr]
Im Unterschied zur Novelle „Aus dem Leben eines Taugenichts“ erschien die Novelle „Das Marmorbild“ erstmalig 1819 im „Frauentaschenbuch für das Jahr 1819“ herausgegeben von Friedrich de La Motte-Fouqué.
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Eichendorff, Joseph von: Aus dem Leben eines Taugenichts und das Marmorbild. Berlin, 1826, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_taugenichts_1826/56>, abgerufen am 17.06.2024.
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