Dort stiegen wir eine finstre Treppe hinauf, dann wie¬ der eine, als wenn wir in den Himmel hineinsteigen wollten. Wir standen nun unter dem Dache vor einer Thür still, und der Maler fing an in allen Taschen vorn und hinten mit großer Eilfertigkeit zu suchen. Aber er hatte heute früh vergessen zuzuschließen und den Schlüssel in der Stube gelassen. Denn er war, wie er mir unterweges erzählte, noch vor Tagesanbruch vor die Stadt hinausgegangen, um die Gegend bei Son¬ nenaufgang zu betrachten. Er schüttelte nur mit dem Kopfe und stieß die Thüre mit dem Fuße auf.
Das war eine lange, lange große Stube, daß man darin hätte tanzen können, wenn nur nicht auf dem Fußboden alles voll gelegen hätte. Aber da lagen Stie¬ feln, Papiere, Kleider, umgeworfene Farbentöpfe, alles durcheinander; in der Mitte der Stube standen große Gerüste, wie man zum Birnenabnehmen braucht, rings¬ um an der Wand waren große Bilder angelehnt. Auf einem langen hölzernen Tische war eine Schüssel, wor¬ auf, neben einem Farbenklekse, Brod und Butter lag. Eine Flasche Wein stand daneben.
"Nun eß't und trinkt erst, Landsmann!" rief mir der Maler zu. -- Ich wollte mir auch sogleich ein Paar Butterschnitten schmieren, aber da war wieder kein Messer da. Wir mußten erst lange in den Pa¬ pieren auf dem Tische herumrascheln, ehe wir es un¬ ter einem großen Pakete endlich fanden. Darauf riß der Maler das Fenster auf, daß die frische Morgen¬ luft fröhlich das ganze Zimmer durchdrang. Das war
Dort ſtiegen wir eine finſtre Treppe hinauf, dann wie¬ der eine, als wenn wir in den Himmel hineinſteigen wollten. Wir ſtanden nun unter dem Dache vor einer Thuͤr ſtill, und der Maler fing an in allen Taſchen vorn und hinten mit großer Eilfertigkeit zu ſuchen. Aber er hatte heute fruͤh vergeſſen zuzuſchließen und den Schluͤſſel in der Stube gelaſſen. Denn er war, wie er mir unterweges erzaͤhlte, noch vor Tagesanbruch vor die Stadt hinausgegangen, um die Gegend bei Son¬ nenaufgang zu betrachten. Er ſchuͤttelte nur mit dem Kopfe und ſtieß die Thuͤre mit dem Fuße auf.
Das war eine lange, lange große Stube, daß man darin haͤtte tanzen koͤnnen, wenn nur nicht auf dem Fußboden alles voll gelegen haͤtte. Aber da lagen Stie¬ feln, Papiere, Kleider, umgeworfene Farbentoͤpfe, alles durcheinander; in der Mitte der Stube ſtanden große Geruͤſte, wie man zum Birnenabnehmen braucht, rings¬ um an der Wand waren große Bilder angelehnt. Auf einem langen hoͤlzernen Tiſche war eine Schuͤſſel, wor¬ auf, neben einem Farbenklekſe, Brod und Butter lag. Eine Flaſche Wein ſtand daneben.
„Nun eß't und trinkt erſt, Landsmann!“ rief mir der Maler zu. — Ich wollte mir auch ſogleich ein Paar Butterſchnitten ſchmieren, aber da war wieder kein Meſſer da. Wir mußten erſt lange in den Pa¬ pieren auf dem Tiſche herumraſcheln, ehe wir es un¬ ter einem großen Pakete endlich fanden. Darauf riß der Maler das Fenſter auf, daß die friſche Morgen¬ luft froͤhlich das ganze Zimmer durchdrang. Das war
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Dort ſtiegen wir eine finſtre Treppe hinauf, dann wie¬
der eine, als wenn wir in den Himmel hineinſteigen
wollten. Wir ſtanden nun unter dem Dache vor einer
Thuͤr ſtill, und der Maler fing an in allen Taſchen
vorn und hinten mit großer Eilfertigkeit zu ſuchen.
Aber er hatte heute fruͤh vergeſſen zuzuſchließen und
den Schluͤſſel in der Stube gelaſſen. Denn er war,
wie er mir unterweges erzaͤhlte, noch vor Tagesanbruch
vor die Stadt hinausgegangen, um die Gegend bei Son¬
nenaufgang zu betrachten. Er ſchuͤttelte nur mit dem
Kopfe und ſtieß die Thuͤre mit dem Fuße auf.
Das war eine lange, lange große Stube, daß man
darin haͤtte tanzen koͤnnen, wenn nur nicht auf dem
Fußboden alles voll gelegen haͤtte. Aber da lagen Stie¬
feln, Papiere, Kleider, umgeworfene Farbentoͤpfe, alles
durcheinander; in der Mitte der Stube ſtanden große
Geruͤſte, wie man zum Birnenabnehmen braucht, rings¬
um an der Wand waren große Bilder angelehnt. Auf
einem langen hoͤlzernen Tiſche war eine Schuͤſſel, wor¬
auf, neben einem Farbenklekſe, Brod und Butter lag.
Eine Flaſche Wein ſtand daneben.
„Nun eß't und trinkt erſt, Landsmann!“ rief mir
der Maler zu. — Ich wollte mir auch ſogleich ein
Paar Butterſchnitten ſchmieren, aber da war wieder
kein Meſſer da. Wir mußten erſt lange in den Pa¬
pieren auf dem Tiſche herumraſcheln, ehe wir es un¬
ter einem großen Pakete endlich fanden. Darauf riß
der Maler das Fenſter auf, daß die friſche Morgen¬
luft froͤhlich das ganze Zimmer durchdrang. Das war
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Im Unterschied zur Novelle „Aus dem Leben eines T… [mehr]
Im Unterschied zur Novelle „Aus dem Leben eines Taugenichts“ erschien die Novelle „Das Marmorbild“ erstmalig 1819 im „Frauentaschenbuch für das Jahr 1819“ herausgegeben von Friedrich de La Motte-Fouqué.
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Eichendorff, Joseph von: Aus dem Leben eines Taugenichts und das Marmorbild. Berlin, 1826, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_taugenichts_1826/97>, abgerufen am 17.06.2024.
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