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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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III. Die Neuzeit.
Verhältniß zu der oben beschriebenen Gestalt umspielen sie nur
als Abnormitäten die herrschende Mode. Es giebt Gesichter,
die zeigen bloß den Schnurrbart, aber das ist eine große Selten-
heit; häufiger schon ist der Vollbart mit freier Oberlippe, und
zuweilen hängt er auch zweigetheilt über die Brust herab. Leute
von etwas phantastischer Natur hielten auch wohl die eine Seite
des Gesichtes in ziemlicher Kürze, an der andern aber ließen sie
wachsen, was wollte, und flochten daraus einen Zopf zusammen,
der ihnen seitwärts vom Kinn herabhing. So trug sich auch der
berühmte Graf Eitelfritz von Zollern. Den längsten Bart hatte
wohl der bekannte und oft abgebildete Freiherr Andreas von
Rauber: in einen Zopf geflochten, konnte er ihn um den Leib
winden; sonst fiel er herab bis auf den Boden. Aber wie an
Länge des Bartes wich dieser edle Freiherr auch an Stärke des
Leibes niemanden auf Erden, wie das sein berühmter Zweikampf
mit dem Spanier beweiset.

Wenn in die gesammte Haartracht ein gewisser Charakter
von Ernst und männlicher Würde einzukehren scheint, so liebt die
Kopfbedeckung dafür das Freie, Leichte und in seiner Ausartung
selbst Luftige und Phantastische. Aber eine Form gelangt zur
allgemeinen Herrschaft und zwar in dem Maße, daß sie der männ-
lichen und weiblichen Köpfe in ganz gleicher Weise sich bemäch-
tigt. Es ist das Barett, das freilich um seiner ihm eigenthüm-
lichen Geschmeidigkeit willen ebenso geeignet ist, in den Ernst
sich zu fügen wie in die Narrheit, das der ausgelassenen Laune
des Landsknechts wie der Strenge der reformatorischen Geistlich-
keit zu entsprechen versteht, das der fürstlichen Pracht, der Würde
des städtischen Rathsherrn und der Einfachheit des Handwerks-
mannes in gleich charakteristischer Weise zu dienen vermag. Und
ebenso ziert es die fürstliche Dame und das Ritterfräulein wie
die städtischen Schönen und selbst ehrbare Bürgerfrauen, ja auch
des fahrenden Landsknechts Begleiterin, sein Weib oder sein
flandrisches Mädchen.

Wir haben gesehen, wie noch am Ausgang des funfzehnten
Jahrhunderts die bunte Formenfülle der Kopfbedeckungen in

III. Die Neuzeit.
Verhältniß zu der oben beſchriebenen Geſtalt umſpielen ſie nur
als Abnormitäten die herrſchende Mode. Es giebt Geſichter,
die zeigen bloß den Schnurrbart, aber das iſt eine große Selten-
heit; häufiger ſchon iſt der Vollbart mit freier Oberlippe, und
zuweilen hängt er auch zweigetheilt über die Bruſt herab. Leute
von etwas phantaſtiſcher Natur hielten auch wohl die eine Seite
des Geſichtes in ziemlicher Kürze, an der andern aber ließen ſie
wachſen, was wollte, und flochten daraus einen Zopf zuſammen,
der ihnen ſeitwärts vom Kinn herabhing. So trug ſich auch der
berühmte Graf Eitelfritz von Zollern. Den längſten Bart hatte
wohl der bekannte und oft abgebildete Freiherr Andreas von
Rauber: in einen Zopf geflochten, konnte er ihn um den Leib
winden; ſonſt fiel er herab bis auf den Boden. Aber wie an
Länge des Bartes wich dieſer edle Freiherr auch an Stärke des
Leibes niemanden auf Erden, wie das ſein berühmter Zweikampf
mit dem Spanier beweiſet.

Wenn in die geſammte Haartracht ein gewiſſer Charakter
von Ernſt und männlicher Würde einzukehren ſcheint, ſo liebt die
Kopfbedeckung dafür das Freie, Leichte und in ſeiner Ausartung
ſelbſt Luftige und Phantaſtiſche. Aber eine Form gelangt zur
allgemeinen Herrſchaft und zwar in dem Maße, daß ſie der männ-
lichen und weiblichen Köpfe in ganz gleicher Weiſe ſich bemäch-
tigt. Es iſt das Barett, das freilich um ſeiner ihm eigenthüm-
lichen Geſchmeidigkeit willen ebenſo geeignet iſt, in den Ernſt
ſich zu fügen wie in die Narrheit, das der ausgelaſſenen Laune
des Landsknechts wie der Strenge der reformatoriſchen Geiſtlich-
keit zu entſprechen verſteht, das der fürſtlichen Pracht, der Würde
des ſtädtiſchen Rathsherrn und der Einfachheit des Handwerks-
mannes in gleich charakteriſtiſcher Weiſe zu dienen vermag. Und
ebenſo ziert es die fürſtliche Dame und das Ritterfräulein wie
die ſtädtiſchen Schönen und ſelbſt ehrbare Bürgerfrauen, ja auch
des fahrenden Landsknechts Begleiterin, ſein Weib oder ſein
flandriſches Mädchen.

Wir haben geſehen, wie noch am Ausgang des funfzehnten
Jahrhunderts die bunte Formenfülle der Kopfbedeckungen in

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[24/0036] III. Die Neuzeit. Verhältniß zu der oben beſchriebenen Geſtalt umſpielen ſie nur als Abnormitäten die herrſchende Mode. Es giebt Geſichter, die zeigen bloß den Schnurrbart, aber das iſt eine große Selten- heit; häufiger ſchon iſt der Vollbart mit freier Oberlippe, und zuweilen hängt er auch zweigetheilt über die Bruſt herab. Leute von etwas phantaſtiſcher Natur hielten auch wohl die eine Seite des Geſichtes in ziemlicher Kürze, an der andern aber ließen ſie wachſen, was wollte, und flochten daraus einen Zopf zuſammen, der ihnen ſeitwärts vom Kinn herabhing. So trug ſich auch der berühmte Graf Eitelfritz von Zollern. Den längſten Bart hatte wohl der bekannte und oft abgebildete Freiherr Andreas von Rauber: in einen Zopf geflochten, konnte er ihn um den Leib winden; ſonſt fiel er herab bis auf den Boden. Aber wie an Länge des Bartes wich dieſer edle Freiherr auch an Stärke des Leibes niemanden auf Erden, wie das ſein berühmter Zweikampf mit dem Spanier beweiſet. Wenn in die geſammte Haartracht ein gewiſſer Charakter von Ernſt und männlicher Würde einzukehren ſcheint, ſo liebt die Kopfbedeckung dafür das Freie, Leichte und in ſeiner Ausartung ſelbſt Luftige und Phantaſtiſche. Aber eine Form gelangt zur allgemeinen Herrſchaft und zwar in dem Maße, daß ſie der männ- lichen und weiblichen Köpfe in ganz gleicher Weiſe ſich bemäch- tigt. Es iſt das Barett, das freilich um ſeiner ihm eigenthüm- lichen Geſchmeidigkeit willen ebenſo geeignet iſt, in den Ernſt ſich zu fügen wie in die Narrheit, das der ausgelaſſenen Laune des Landsknechts wie der Strenge der reformatoriſchen Geiſtlich- keit zu entſprechen verſteht, das der fürſtlichen Pracht, der Würde des ſtädtiſchen Rathsherrn und der Einfachheit des Handwerks- mannes in gleich charakteriſtiſcher Weiſe zu dienen vermag. Und ebenſo ziert es die fürſtliche Dame und das Ritterfräulein wie die ſtädtiſchen Schönen und ſelbſt ehrbare Bürgerfrauen, ja auch des fahrenden Landsknechts Begleiterin, ſein Weib oder ſein flandriſches Mädchen. Wir haben geſehen, wie noch am Ausgang des funfzehnten Jahrhunderts die bunte Formenfülle der Kopfbedeckungen in

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/36>, abgerufen am 30.04.2024.