ALle diejenigen, welche sich eine Zeitlang in Römisch-Catholischen Landen aufhalten, auch Känntniß von der Sache, und Einsicht in dieselbe haben, werden finden, daß die Pedanterey,gelehrte Grillenfängerey, und gelehrter Hochmuth, daselbst ebenfalls gantz ent- setzlich herrschet, absonderlich in solchen Römisch-Catholischen Landen welche innerhalb denen Gräntzen des Römischen Reichs gelegen. Denn da höret man in Gesellschafften, in Wein- und Bier-Häusern, fast allenthalben Lateinisch reden, und über unnütze Dinge aufs hefftigste disputiren, derge- stalt, daß in dergleichen Gesellschafften einem die Worte: Concedo Majorem, nego Minorem; oder Concedo Minorem nego Majorem, täglich mehr als Zwantzigmal ja dreißig und nochmehrmahlen in die Ohren fallen. Vornem- lich stecket die Geistlichkeit in Römisch-Catholischen Reichs-Landen, wo die Teutsche Sprache geredet wird, biß über die Ohren in der Pedanterey, und Tummheit, und ich meines Orts, der Autor dieses Tractats, kan mit gu- tem Gewissen sagen, welchermassen ich in solchen Landen sehr wenig gute nütz- liche und erbauliche Predigten gehöret, ob ich deren schon mehr als tausend besu- chet; gleichwie ich es denen Frantzösischen und Italiänischen Predigern zu ihrem Ruhm nachsagen muß, daß ich, währenden meinem Aufenthalt in Franck- reich und Italien, unter vierhundert Predigten nicht eine gehöret, an der ich etwas auszusetzen gehabt hätte, sondern alle so gefunden, daß man darinnen auf ein thätiges Christenthum starck angedrungen. Absonderlich hat mich einstmals ein Fasten-Prediger bey denen Augustinern a la Rue Boucherie zu Paris, au Fauxbourg St. Germain, durch seine Passions-Predigten dermas- sen beweget, daß ich die Passion fast niemals erbaulicher und andächtiger be- trachtet. Hernach habe ich zu Nom, a la Chiesa nuova, den berühmten Pater Bussi, einen Bruder des verstorbenen Cardinals dieses Namens vier Wochen lang, und alle Tage eine halbe Stunde, so predigen hören, daß es auch kein Wunder gewesen wäre, wann er die Hertzen derer verhärtesten Sünder er- weichet hätte. Er stellete die grosse Glückseligkeit derer Bürger des Himmlischen Jerusalems vor, und das unaussprechliche Elend derer Babylonischen Einwohner; über welches Thema er die gantzen vier Wo- chen hindurch predigte.
Von
Dritte Ahandlung.
ALle diejenigen, welche ſich eine Zeitlang in Roͤmiſch-Catholiſchen Landen aufhalten, auch Kaͤnntniß von der Sache, und Einſicht in dieſelbe haben, werden finden, daß die Pedanterey,gelehrte Grillenfaͤngerey, und gelehrter Hochmuth, daſelbſt ebenfalls gantz ent- ſetzlich herrſchet, abſonderlich in ſolchen Roͤmiſch-Catholiſchen Landen welche innerhalb denen Graͤntzen des Roͤmiſchen Reichs gelegen. Denn da hoͤret man in Geſellſchafften, in Wein- und Bier-Haͤuſern, faſt allenthalben Lateiniſch reden, und uͤber unnuͤtze Dinge aufs hefftigſte diſputiren, derge- ſtalt, daß in dergleichen Geſellſchafften einem die Worte: Concedo Majorem, nego Minorem; oder Concedo Minorem nego Majorem, taͤglich mehr als Zwantzigmal ja dreißig und nochmehrmahlen in die Ohren fallen. Vornem- lich ſtecket die Geiſtlichkeit in Roͤmiſch-Catholiſchen Reichs-Landen, wo die Teutſche Sprache geredet wird, biß uͤber die Ohren in der Pedanterey, und Tummheit, und ich meines Orts, der Autor dieſes Tractats, kan mit gu- tem Gewiſſen ſagen, welchermaſſen ich in ſolchen Landen ſehr wenig gute nuͤtz- liche und erbauliche Predigten gehoͤret, ob ich deren ſchon mehr als tauſend beſu- chet; gleichwie ich es denen Frantzoͤſiſchen und Italiaͤniſchen Predigern zu ihrem Ruhm nachſagen muß, daß ich, waͤhrenden meinem Aufenthalt in Franck- reich und Italien, unter vierhundert Predigten nicht eine gehoͤret, an der ich etwas auszuſetzen gehabt haͤtte, ſondern alle ſo gefunden, daß man darinnen auf ein thaͤtiges Chriſtenthum ſtarck angedrungen. Abſonderlich hat mich einſtmals ein Faſten-Prediger bey denen Auguſtinern à la Rue Boucherie zu Paris, au Fauxbourg St. Germain, durch ſeine Paſſions-Predigten dermaſ- ſen beweget, daß ich die Paſſion faſt niemals erbaulicher und andaͤchtiger be- trachtet. Hernach habe ich zu Nom, à la Chieſa nuova, den beruͤhmten Pater Buſſi, einen Bruder des verſtorbenen Cardinals dieſes Namens vier Wochen lang, und alle Tage eine halbe Stunde, ſo predigen hoͤren, daß es auch kein Wunder geweſen waͤre, wann er die Hertzen derer verhaͤrteſten Suͤnder er- weichet haͤtte. Er ſtellete die groſſe Gluͤckſeligkeit derer Buͤrger des Himmliſchen Jeruſalems vor, und das unausſprechliche Elend derer Babyloniſchen Einwohner; uͤber welches Thema er die gantzen vier Wo- chen hindurch predigte.
Von
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Dritte Ahandlung.
ALle diejenigen, welche ſich eine Zeitlang in Roͤmiſch-Catholiſchen
Landen aufhalten, auch Kaͤnntniß von der Sache, und Einſicht
in dieſelbe haben, werden finden, daß die Pedanterey, gelehrte
Grillenfaͤngerey, und gelehrter Hochmuth, daſelbſt ebenfalls gantz ent-
ſetzlich herrſchet, abſonderlich in ſolchen Roͤmiſch-Catholiſchen Landen
welche innerhalb denen Graͤntzen des Roͤmiſchen Reichs gelegen. Denn da
hoͤret man in Geſellſchafften, in Wein- und Bier-Haͤuſern, faſt allenthalben
Lateiniſch reden, und uͤber unnuͤtze Dinge aufs hefftigſte diſputiren, derge-
ſtalt, daß in dergleichen Geſellſchafften einem die Worte: Concedo Majorem,
nego Minorem; oder Concedo Minorem nego Majorem, taͤglich mehr als
Zwantzigmal ja dreißig und nochmehrmahlen in die Ohren fallen. Vornem-
lich ſtecket die Geiſtlichkeit in Roͤmiſch-Catholiſchen Reichs-Landen, wo
die Teutſche Sprache geredet wird, biß uͤber die Ohren in der Pedanterey,
und Tummheit, und ich meines Orts, der Autor dieſes Tractats, kan mit gu-
tem Gewiſſen ſagen, welchermaſſen ich in ſolchen Landen ſehr wenig gute nuͤtz-
liche und erbauliche Predigten gehoͤret, ob ich deren ſchon mehr als tauſend beſu-
chet; gleichwie ich es denen Frantzoͤſiſchen und Italiaͤniſchen Predigern zu ihrem
Ruhm nachſagen muß, daß ich, waͤhrenden meinem Aufenthalt in Franck-
reich und Italien, unter vierhundert Predigten nicht eine gehoͤret, an der ich
etwas auszuſetzen gehabt haͤtte, ſondern alle ſo gefunden, daß man darinnen
auf ein thaͤtiges Chriſtenthum ſtarck angedrungen. Abſonderlich hat mich
einſtmals ein Faſten-Prediger bey denen Auguſtinern à la Rue Boucherie zu
Paris, au Fauxbourg St. Germain, durch ſeine Paſſions-Predigten dermaſ-
ſen beweget, daß ich die Paſſion faſt niemals erbaulicher und andaͤchtiger be-
trachtet. Hernach habe ich zu Nom, à la Chieſa nuova, den beruͤhmten Pater
Buſſi, einen Bruder des verſtorbenen Cardinals dieſes Namens vier Wochen
lang, und alle Tage eine halbe Stunde, ſo predigen hoͤren, daß es auch kein
Wunder geweſen waͤre, wann er die Hertzen derer verhaͤrteſten Suͤnder er-
weichet haͤtte. Er ſtellete die groſſe Gluͤckſeligkeit derer Buͤrger des
Himmliſchen Jeruſalems vor, und das unausſprechliche Elend derer
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Fassmann, David: Der Gelehrte Narr. Freiburg, 1729, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fassmann_narr_1729/196>, abgerufen am 07.12.2023.
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