Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fassmann, David: Der Gelehrte Narr. Freiburg, 1729.

Bild:
<< vorherige Seite

unter gemachet, daß er nicht genugsam untersuchet, in welche Hand ei-
gendlich die
Venus von dem Diomedes seye verwundet worden? So giebt
es auch Leute, die nach Klopff-Fechter Art keine gebührende Ordnung und
Richt-Schnur in ihrem Disputiren in acht nehmen, sondern die Streiche ihres
Gegners durch allerhand Gauckeleyen zu vermeiden suchen, und wann sie mit
guten Gründen nichts ausrichten können, sich doch durch ihr Schreyen und un-
gewaschenes Maul den Sieg zu erlangen bemühen; ja öffters vielerley lächerli-
che Poßen und spöttische Reden mit einmischen, damit sie zum wenigsten die
Anwesenden zum lachen bewegen mögen.

Ein vornehmer Geistlicher, welcher bey jederman in grossem Ruhm
und Hochachtung gestanden, auch dabey von solchem Ansehen war, daß er sich
viele Gemüther durch einen eintzigen Blick unterwerffen können, ungeachtet die
Gelehrsamkeit gar mäßig bey ihm zugeschnitten, und sonderlich in Disputiren
nicht zum Besten bestellet gewesen, hat einstmahls die Universitaet Leipzig be-
suchet. Da er nun den Catheder bestiegen, und einen sehr geübten Gegner
vor sich fande, der bereits viele andere zum Stillschweigen gebracht hatte, so
tractirte er, ihn nichts destoweniger überaus verächtlich, gieng auf dem Ca-
theder
hin und her, und antwortete auf denersten Einwurff seiner Gegenwart
gantz hochmüthig: Dieses Knötgen solte mir wohl mein kleiner Hund
(mit dem er nemlich auf dem Catheder spielte) auflösen. Als nun sein Ge-
genpart dieses fahren ließ, und ein neues Argumenr vorbrachte, versetzte der
Windmacher abermals: Wahrhafftig ein fürchterlicher und kräfftiger
Satz, wider welchen wohl der Tausendkünstler, selbst wenig aufbrin-
gen solte.
Da aber der andere, der durch diese unvermuthete Frechheit gantz
verwirrt gemacht worden war, diese Worte unrecht verstunde, und einwen-
dete, daß er kein Tausendkünstler seye, so merckte der Prahler, daß er nun-
mehro, wegen jenes Bestürtzung, gewonnen Spiel habe, und schrie mit einem
lauten Gelächter: Ey lieber! Wer hat dann gesagt, daß du der Tau-
sendkünstler seyest?
Mit einem Wort, der sonst so geübte und tapffere
Kämpffer muste hier nicht ohne Scham-Röthe weichen. Diese Begeben-
heit, wie sie hier erzehlet wird, stehet mit in der mehr-angezogenen Charlatane-
rie
derer Gelehrten aufgezeignet.

Indessen ist dieser Sieg anders nichts als die Wirckung einer unver-
schämten und gantz ausgelassenen Frechheit zu nennen, daher auch einige, die

sol-

unter gemachet, daß er nicht genugſam unterſuchet, in welche Hand ei-
gendlich die
Venus von dem Diomedes ſeye verwundet worden? So giebt
es auch Leute, die nach Klopff-Fechter Art keine gebuͤhrende Ordnung und
Richt-Schnur in ihrem Diſputiren in acht nehmen, ſondern die Streiche ihres
Gegners durch allerhand Gauckeleyen zu vermeiden ſuchen, und wann ſie mit
guten Gruͤnden nichts ausrichten koͤnnen, ſich doch durch ihr Schreyen und un-
gewaſchenes Maul den Sieg zu erlangen bemuͤhen; ja oͤffters vielerley laͤcherli-
che Poßen und ſpoͤttiſche Reden mit einmiſchen, damit ſie zum wenigſten die
Anweſenden zum lachen bewegen moͤgen.

Ein vornehmer Geiſtlicher, welcher bey jederman in groſſem Ruhm
und Hochachtung geſtanden, auch dabey von ſolchem Anſehen war, daß er ſich
viele Gemuͤther durch einen eintzigen Blick unterwerffen koͤnnen, ungeachtet die
Gelehrſamkeit gar maͤßig bey ihm zugeſchnitten, und ſonderlich in Diſputiren
nicht zum Beſten beſtellet geweſen, hat einſtmahls die Univerſitæt Leipzig be-
ſuchet. Da er nun den Catheder beſtiegen, und einen ſehr geuͤbten Gegner
vor ſich fande, der bereits viele andere zum Stillſchweigen gebracht hatte, ſo
tractirte er, ihn nichts deſtoweniger uͤberaus veraͤchtlich, gieng auf dem Ca-
theder
hin und her, und antwortete auf denerſten Einwurff ſeiner Gegenwart
gantz hochmuͤthig: Dieſes Knoͤtgen ſolte mir wohl mein kleiner Hund
(mit dem er nemlich auf dem Catheder ſpielte) aufloͤſen. Als nun ſein Ge-
genpart dieſes fahren ließ, und ein neues Argumenr vorbrachte, verſetzte der
Windmacher abermals: Wahrhafftig ein fuͤrchterlicher und kraͤfftiger
Satz, wider welchen wohl der Tauſendkuͤnſtler, ſelbſt wenig aufbrin-
gen ſolte.
Da aber der andere, der durch dieſe unvermuthete Frechheit gantz
verwirrt gemacht worden war, dieſe Worte unrecht verſtunde, und einwen-
dete, daß er kein Tauſendkuͤnſtler ſeye, ſo merckte der Prahler, daß er nun-
mehro, wegen jenes Beſtuͤrtzung, gewonnen Spiel habe, und ſchrie mit einem
lauten Gelaͤchter: Ey lieber! Wer hat dann geſagt, daß du der Tau-
ſendkuͤnſtler ſeyeſt?
Mit einem Wort, der ſonſt ſo geuͤbte und tapffere
Kaͤmpffer muſte hier nicht ohne Scham-Roͤthe weichen. Dieſe Begeben-
heit, wie ſie hier erzehlet wird, ſtehet mit in der mehr-angezogenen Charlatane-
rie
derer Gelehrten aufgezeignet.

Indeſſen iſt dieſer Sieg anders nichts als die Wirckung einer unver-
ſchaͤmten und gantz ausgelaſſenen Frechheit zu nennen, daher auch einige, die

ſol-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0252" n="208"/>
unter gemachet, <hi rendition="#fr">daß er nicht genug&#x017F;am unter&#x017F;uchet, in welche Hand ei-<lb/>
gendlich die</hi> <hi rendition="#aq">Venus</hi> <hi rendition="#fr">von dem</hi> <hi rendition="#aq">Diomedes</hi> <hi rendition="#fr">&#x017F;eye verwundet worden?</hi> So giebt<lb/>
es auch Leute, die nach Klopff-Fechter Art keine gebu&#x0364;hrende Ordnung und<lb/>
Richt-Schnur in ihrem <hi rendition="#aq">Di&#x017F;puti</hi>ren in acht nehmen, &#x017F;ondern die Streiche ihres<lb/>
Gegners durch allerhand Gauckeleyen zu vermeiden &#x017F;uchen, und wann &#x017F;ie mit<lb/>
guten Gru&#x0364;nden nichts ausrichten ko&#x0364;nnen, &#x017F;ich doch durch ihr Schreyen und un-<lb/>
gewa&#x017F;chenes Maul den Sieg zu erlangen bemu&#x0364;hen; ja o&#x0364;ffters vielerley la&#x0364;cherli-<lb/>
che Poßen und &#x017F;po&#x0364;tti&#x017F;che Reden mit einmi&#x017F;chen, damit &#x017F;ie zum wenig&#x017F;ten die<lb/>
Anwe&#x017F;enden zum lachen bewegen mo&#x0364;gen.</p><lb/>
          <p>Ein <hi rendition="#fr">vornehmer Gei&#x017F;tlicher,</hi> welcher bey jederman in gro&#x017F;&#x017F;em Ruhm<lb/>
und Hochachtung ge&#x017F;tanden, auch dabey von &#x017F;olchem An&#x017F;ehen war, daß er &#x017F;ich<lb/>
viele Gemu&#x0364;ther durch einen eintzigen Blick unterwerffen ko&#x0364;nnen, ungeachtet die<lb/>
Gelehr&#x017F;amkeit gar ma&#x0364;ßig bey ihm zuge&#x017F;chnitten, und &#x017F;onderlich in <hi rendition="#aq">Di&#x017F;puti</hi>ren<lb/>
nicht zum Be&#x017F;ten be&#x017F;tellet gewe&#x017F;en, hat ein&#x017F;tmahls die <hi rendition="#aq">Univer&#x017F;itæt</hi> <hi rendition="#fr">Leipzig</hi> be-<lb/>
&#x017F;uchet. Da er nun den <hi rendition="#fr">Catheder</hi> be&#x017F;tiegen, und einen &#x017F;ehr geu&#x0364;bten Gegner<lb/>
vor &#x017F;ich fande, der bereits viele andere zum Still&#x017F;chweigen gebracht hatte, &#x017F;o<lb/><hi rendition="#aq">tractir</hi>te er, ihn nichts de&#x017F;toweniger u&#x0364;beraus vera&#x0364;chtlich, gieng auf dem <hi rendition="#fr">Ca-<lb/>
theder</hi> hin und her, und antwortete auf dener&#x017F;ten Einwurff &#x017F;einer Gegenwart<lb/>
gantz hochmu&#x0364;thig: <hi rendition="#fr">Die&#x017F;es Kno&#x0364;tgen &#x017F;olte mir wohl mein kleiner Hund</hi><lb/>
(mit dem er nemlich auf dem Catheder &#x017F;pielte) <hi rendition="#fr">auflo&#x0364;&#x017F;en.</hi> Als nun &#x017F;ein Ge-<lb/>
genpart die&#x017F;es fahren ließ, und ein neues <hi rendition="#aq">Argumenr</hi> vorbrachte, ver&#x017F;etzte der<lb/>
Windmacher abermals: <hi rendition="#fr">Wahrhafftig ein fu&#x0364;rchterlicher und kra&#x0364;fftiger<lb/>
Satz, wider welchen wohl der Tau&#x017F;endku&#x0364;n&#x017F;tler, &#x017F;elb&#x017F;t wenig aufbrin-<lb/>
gen &#x017F;olte.</hi> Da aber der andere, der durch die&#x017F;e unvermuthete Frechheit gantz<lb/>
verwirrt gemacht worden war, die&#x017F;e Worte unrecht ver&#x017F;tunde, und einwen-<lb/>
dete, <hi rendition="#fr">daß er kein Tau&#x017F;endku&#x0364;n&#x017F;tler &#x017F;eye,</hi> &#x017F;o merckte der Prahler, daß er nun-<lb/>
mehro, wegen jenes Be&#x017F;tu&#x0364;rtzung, gewonnen Spiel habe, und &#x017F;chrie mit einem<lb/>
lauten Gela&#x0364;chter: <hi rendition="#fr">Ey lieber! Wer hat dann ge&#x017F;agt, daß du der Tau-<lb/>
&#x017F;endku&#x0364;n&#x017F;tler &#x017F;eye&#x017F;t?</hi> Mit einem Wort, der &#x017F;on&#x017F;t &#x017F;o geu&#x0364;bte und tapffere<lb/>
Ka&#x0364;mpffer mu&#x017F;te hier nicht ohne Scham-Ro&#x0364;the weichen. Die&#x017F;e Begeben-<lb/>
heit, wie &#x017F;ie hier erzehlet wird, &#x017F;tehet mit in der mehr-angezogenen <hi rendition="#aq">Charlatane-<lb/>
rie</hi> derer Gelehrten aufgezeignet.</p><lb/>
          <p>Inde&#x017F;&#x017F;en i&#x017F;t die&#x017F;er Sieg anders nichts als die Wirckung einer unver-<lb/>
&#x017F;cha&#x0364;mten und gantz ausgela&#x017F;&#x017F;enen Frechheit zu nennen, daher auch einige, die<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;ol-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[208/0252] unter gemachet, daß er nicht genugſam unterſuchet, in welche Hand ei- gendlich die Venus von dem Diomedes ſeye verwundet worden? So giebt es auch Leute, die nach Klopff-Fechter Art keine gebuͤhrende Ordnung und Richt-Schnur in ihrem Diſputiren in acht nehmen, ſondern die Streiche ihres Gegners durch allerhand Gauckeleyen zu vermeiden ſuchen, und wann ſie mit guten Gruͤnden nichts ausrichten koͤnnen, ſich doch durch ihr Schreyen und un- gewaſchenes Maul den Sieg zu erlangen bemuͤhen; ja oͤffters vielerley laͤcherli- che Poßen und ſpoͤttiſche Reden mit einmiſchen, damit ſie zum wenigſten die Anweſenden zum lachen bewegen moͤgen. Ein vornehmer Geiſtlicher, welcher bey jederman in groſſem Ruhm und Hochachtung geſtanden, auch dabey von ſolchem Anſehen war, daß er ſich viele Gemuͤther durch einen eintzigen Blick unterwerffen koͤnnen, ungeachtet die Gelehrſamkeit gar maͤßig bey ihm zugeſchnitten, und ſonderlich in Diſputiren nicht zum Beſten beſtellet geweſen, hat einſtmahls die Univerſitæt Leipzig be- ſuchet. Da er nun den Catheder beſtiegen, und einen ſehr geuͤbten Gegner vor ſich fande, der bereits viele andere zum Stillſchweigen gebracht hatte, ſo tractirte er, ihn nichts deſtoweniger uͤberaus veraͤchtlich, gieng auf dem Ca- theder hin und her, und antwortete auf denerſten Einwurff ſeiner Gegenwart gantz hochmuͤthig: Dieſes Knoͤtgen ſolte mir wohl mein kleiner Hund (mit dem er nemlich auf dem Catheder ſpielte) aufloͤſen. Als nun ſein Ge- genpart dieſes fahren ließ, und ein neues Argumenr vorbrachte, verſetzte der Windmacher abermals: Wahrhafftig ein fuͤrchterlicher und kraͤfftiger Satz, wider welchen wohl der Tauſendkuͤnſtler, ſelbſt wenig aufbrin- gen ſolte. Da aber der andere, der durch dieſe unvermuthete Frechheit gantz verwirrt gemacht worden war, dieſe Worte unrecht verſtunde, und einwen- dete, daß er kein Tauſendkuͤnſtler ſeye, ſo merckte der Prahler, daß er nun- mehro, wegen jenes Beſtuͤrtzung, gewonnen Spiel habe, und ſchrie mit einem lauten Gelaͤchter: Ey lieber! Wer hat dann geſagt, daß du der Tau- ſendkuͤnſtler ſeyeſt? Mit einem Wort, der ſonſt ſo geuͤbte und tapffere Kaͤmpffer muſte hier nicht ohne Scham-Roͤthe weichen. Dieſe Begeben- heit, wie ſie hier erzehlet wird, ſtehet mit in der mehr-angezogenen Charlatane- rie derer Gelehrten aufgezeignet. Indeſſen iſt dieſer Sieg anders nichts als die Wirckung einer unver- ſchaͤmten und gantz ausgelaſſenen Frechheit zu nennen, daher auch einige, die ſol-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fassmann_narr_1729
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fassmann_narr_1729/252
Zitationshilfe: Fassmann, David: Der Gelehrte Narr. Freiburg, 1729, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fassmann_narr_1729/252>, abgerufen am 06.05.2024.