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Fassmann, David: Der Gelehrte Narr. Freiburg, 1729.

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niren, ob man auch so geschickt seye als er? Fehlet einer nun an dem gering-"
sten Wörtlein im Donat, so hat er schon die Reputation bey ihm verlohren."
Warlich! warlich! saget er, es ist nichts mit ihm. Er zerschmeltzet"
vor mir wie Schnee und Butter in der Sonnen.
Er schwühre einem"
theuren Eyd darauf, man müsse nur darum studiren, daß man den Donat"
und die Grammatica vollkommen, ja wie ein Vater Unser, auswendig herzu-"
sagen wisse, und im übrigen viele speculirende Theorie besitze. Mit dem es"
anders bewandr, der ist in seinem Augen ein verächtlicher tummer Esel. Da-"
hero kommet es, daß er jedermann auslachet, und wieder von jedermann aus-"
gelachet wird. Allein er ist denen andern darinnen überlegen und reicher als"
sie, weil die andern nur einen Narren an ihm alleine haben, er aber alle an-"
dere, ausser seinem Stande vor Narren hält; wiewohl das Gewicht seiner"
Narrheit die Menge derer andern wohl überwiegen könte, dergestalt, daß es"
ein grosses Wunder ist, wann ein witziger Mann aus seiner Schule kömmt,"
weil er unter allen seinen zuhörern, der gröste Narr ist, nur ein gemeiner Narr"
aber sonst schon zehen Narren machet. Die Lateinische Sprache hält er so"
hoch, daß er bloß darum nicht bey Hofe seyn mag, weil man nicht Lateinisch"
daselbst redet. Ja ich zweiffele nicht, er solte sich des ewigen Lebens verzey-"
hen, wann er wüste, daß daselbst kein Latein geredet werden würde. So"
offt er des Aristotelis Opera in die Hände bekömmet, fänget er selbst an zu"
zweiffeln, ob er biß hieher eine vernünfftige Creatur gewesen. Er beweinet"
anbey das grosse Elend des menschlichen Geschlechts, und daß nicht alle sol-"
cher hohen Geheimnisse der Vernunfft theilhafftig werden können, sondern,"
wie er zu reden pfleget, als das unvernünfftige Vieh ohne Verstand dahin"
lebten."

Es ist wahr, geneigter Leser! daß Hertze möchte einem Weinen, wann
man bißweilen zuhöret, worüber auch Schulen und Univeisitaeten disputiret
nnd gestritten wird. Ja ein vernünfftiger Bauer begreiffet es, daß es öffters
lauter nichts-würdige Grillen seynd, womit man nur die edle Zeit verder-
bet. Daher hat Thomas Gartzion in seinem Buch, genannt der Schau-
Platz aller Künste,
nachdem er erstlich denen rechtschaffenen Schul-Män-
nern ihr gebührendes Lob beygeleget, Anlaß genommen, im vierdten Discurs
von denen unartigen, und eingebildeten Gramaticis also zu reden:

Dargegen finden sich auch etliche, von denen ich nicht viel gutes zu sa-"
gen weiß, stehe auch an, ob ich sie unter die Grammaticos, oder unter die pu-"

ren
D 2

niren, ob man auch ſo geſchickt ſeye als er? Fehlet einer nun an dem gering-„
ſten Woͤrtlein im Donat, ſo hat er ſchon die Reputation bey ihm verlohren.„
Warlich! warlich! ſaget er, es iſt nichts mit ihm. Er zerſchmeltzet„
vor mir wie Schnee und Butter in der Sonnen.
Er ſchwuͤhre einem„
theuren Eyd darauf, man muͤſſe nur darum ſtudiren, daß man den Donat
und die Grammatica vollkommen, ja wie ein Vater Unſer, auswendig herzu-„
ſagen wiſſe, und im uͤbrigen viele ſpeculirende Theorie beſitze. Mit dem es„
anders bewandr, der iſt in ſeinem Augen ein veraͤchtlicher tummer Eſel. Da-„
hero kommet es, daß er jedermann auslachet, und wieder von jedermann aus-„
gelachet wird. Allein er iſt denen andern darinnen uͤberlegen und reicher als„
ſie, weil die andern nur einen Narren an ihm alleine haben, er aber alle an-„
dere, auſſer ſeinem Stande vor Narren haͤlt; wiewohl das Gewicht ſeiner„
Narrheit die Menge derer andern wohl uͤberwiegen koͤnte, dergeſtalt, daß es„
ein groſſes Wunder iſt, wann ein witziger Mann aus ſeiner Schule koͤmmt,„
weil er unter allen ſeinen zuhoͤrern, der groͤſte Narr iſt, nur ein gemeiner Narr„
aber ſonſt ſchon zehen Narren machet. Die Lateiniſche Sprache haͤlt er ſo„
hoch, daß er bloß darum nicht bey Hofe ſeyn mag, weil man nicht Lateiniſch„
daſelbſt redet. Ja ich zweiffele nicht, er ſolte ſich des ewigen Lebens verzey-„
hen, wann er wuͤſte, daß daſelbſt kein Latein geredet werden wuͤrde. So„
offt er des Ariſtotelis Opera in die Haͤnde bekoͤmmet, faͤnget er ſelbſt an zu„
zweiffeln, ob er biß hieher eine vernuͤnfftige Creatur geweſen. Er beweinet„
anbey das groſſe Elend des menſchlichen Geſchlechts, und daß nicht alle ſol-„
cher hohen Geheimniſſe der Vernunfft theilhafftig werden koͤnnen, ſondern,„
wie er zu reden pfleget, als das unvernuͤnfftige Vieh ohne Verſtand dahin„
lebten.„

Es iſt wahr, geneigter Leſer! daß Hertze moͤchte einem Weinen, wann
man bißweilen zuhoͤret, woruͤber auch Schulen und Univeiſitæten diſputiret
nnd geſtritten wird. Ja ein vernuͤnfftiger Bauer begreiffet es, daß es oͤffters
lauter nichts-wuͤrdige Grillen ſeynd, womit man nur die edle Zeit verder-
bet. Daher hat Thomas Gartzion in ſeinem Buch, genannt der Schau-
Platz aller Kuͤnſte,
nachdem er erſtlich denen rechtſchaffenen Schul-Maͤn-
nern ihr gebuͤhrendes Lob beygeleget, Anlaß genommen, im vierdten Diſcurs
von denen unartigen, und eingebildeten Gramaticis alſo zu reden:

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[27/0071] niren, ob man auch ſo geſchickt ſeye als er? Fehlet einer nun an dem gering-„ ſten Woͤrtlein im Donat, ſo hat er ſchon die Reputation bey ihm verlohren.„ Warlich! warlich! ſaget er, es iſt nichts mit ihm. Er zerſchmeltzet„ vor mir wie Schnee und Butter in der Sonnen. Er ſchwuͤhre einem„ theuren Eyd darauf, man muͤſſe nur darum ſtudiren, daß man den Donat„ und die Grammatica vollkommen, ja wie ein Vater Unſer, auswendig herzu-„ ſagen wiſſe, und im uͤbrigen viele ſpeculirende Theorie beſitze. Mit dem es„ anders bewandr, der iſt in ſeinem Augen ein veraͤchtlicher tummer Eſel. Da-„ hero kommet es, daß er jedermann auslachet, und wieder von jedermann aus-„ gelachet wird. Allein er iſt denen andern darinnen uͤberlegen und reicher als„ ſie, weil die andern nur einen Narren an ihm alleine haben, er aber alle an-„ dere, auſſer ſeinem Stande vor Narren haͤlt; wiewohl das Gewicht ſeiner„ Narrheit die Menge derer andern wohl uͤberwiegen koͤnte, dergeſtalt, daß es„ ein groſſes Wunder iſt, wann ein witziger Mann aus ſeiner Schule koͤmmt,„ weil er unter allen ſeinen zuhoͤrern, der groͤſte Narr iſt, nur ein gemeiner Narr„ aber ſonſt ſchon zehen Narren machet. Die Lateiniſche Sprache haͤlt er ſo„ hoch, daß er bloß darum nicht bey Hofe ſeyn mag, weil man nicht Lateiniſch„ daſelbſt redet. Ja ich zweiffele nicht, er ſolte ſich des ewigen Lebens verzey-„ hen, wann er wuͤſte, daß daſelbſt kein Latein geredet werden wuͤrde. So„ offt er des Ariſtotelis Opera in die Haͤnde bekoͤmmet, faͤnget er ſelbſt an zu„ zweiffeln, ob er biß hieher eine vernuͤnfftige Creatur geweſen. Er beweinet„ anbey das groſſe Elend des menſchlichen Geſchlechts, und daß nicht alle ſol-„ cher hohen Geheimniſſe der Vernunfft theilhafftig werden koͤnnen, ſondern,„ wie er zu reden pfleget, als das unvernuͤnfftige Vieh ohne Verſtand dahin„ lebten.„ Es iſt wahr, geneigter Leſer! daß Hertze moͤchte einem Weinen, wann man bißweilen zuhoͤret, woruͤber auch Schulen und Univeiſitæten diſputiret nnd geſtritten wird. Ja ein vernuͤnfftiger Bauer begreiffet es, daß es oͤffters lauter nichts-wuͤrdige Grillen ſeynd, womit man nur die edle Zeit verder- bet. Daher hat Thomas Gartzion in ſeinem Buch, genannt der Schau- Platz aller Kuͤnſte, nachdem er erſtlich denen rechtſchaffenen Schul-Maͤn- nern ihr gebuͤhrendes Lob beygeleget, Anlaß genommen, im vierdten Diſcurs von denen unartigen, und eingebildeten Gramaticis alſo zu reden: Dargegen finden ſich auch etliche, von denen ich nicht viel gutes zu ſa-„ gen weiß, ſtehe auch an, ob ich ſie unter die Grammaticos, oder unter die pu-„ ren D 2

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Zitationshilfe: Fassmann, David: Der Gelehrte Narr. Freiburg, 1729, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fassmann_narr_1729/71>, abgerufen am 27.04.2024.