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Fassmann, David: Der Gelehrte Narr. Freiburg, 1729.

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"Bereuter und dergleichen Leute ihre Hunde und Pferde durch Grausamkeit
"Schrecken, Streiche und Hunger abrichten, also dringt auch dieser bey sei-
"nen Buben mit Gewalt durch, und nicht mit Bescheidenheit. Was er heist,
"oder dictirt, muß ohne Frage und Wiederrede geschehen, recht und wahr
"seyn. Er giebet niemand Rede und Antwort, solte solche auch der gewal-
"tige König Cyrus, oder der weise Cato von ihnen fordern. Daß so viele böse
"Bürger in der Stadt seynd, daran ist er Schuld, weil er sie gleich in ihrer
"besten Blüte verderbet, und zu Fantasten oder Halsstarrigen Blöchern ma-
"chet. Denn er weiß keinen Unterscheid zu halten, noch zu untersuchen, ob
"nemlich manche Tugend oder Natur derer Sporen oder des Zaums bedarff?
"manche getrieben seyn will, oder sich selbst treibet? Ja er movirt auch manch-
"mal Acheronta oder die gantze Hölle und will die Buben mit allen Teuffeln
"meistern, bevorab wann er entweder zu viel Wein, oder zu viel Bier und
"Brandewein geschöpffet und genippet; da er dann absonderlich seine ritterli-
"che Autoritaet sehen zu lassen pfleget.

"Seine Hosen seynd wie zwey alte Teutsche Puffer-Hulfftern. Die
"Schnupff- oder Nasen-Tücher hält er vor ein übrig kostbar Werck, weil er
"sich in den Mantel schneutzet, oder seine Nase auf den Ermel wischet. Wo
"jederman lustig ist, da sitzet er gantz stille, hält sich so gravitaetisch als gien-
"gen ihm die Geschäffte des gantzen heiligen Römischen Reichs im Kopffe her-
"um, und begehret nicht zu reden, ausser nur, wann man ihm gantz alleine zu-
"höret. Er ist keinen Menschen unterworffen ausser nur seinem Weibe, und
"das nur zu dem Ende, damit sie sich ihm hinwiederum unterwerffe.

"Er meynet es seye kein anderer als Bücher-Witz, und der Mensch lebe
"nur darum, auf daß er lese und studire, gestalt er selbst immer lieset, eben als
"ob man nichts aus der täglichen Erfahrung und dem grossen Natur-Buch
"lernen könne.

"Alle seine Gedancken schlägt er in Büchern nach. Sobald er sie
"nicht darinnen findet, verwirfft er sie, und meynet, daß er sich geirret. Viel
"weniger glaubet er, daß er etwas reden dörffte, welches er nicht zuvor bey
"einem andern gelesen. Er kan ihm nicht einbilden, daß der Mensch etwas
"von Natur habe, sondern müsse alles lernen, gestalt er sich selbst zu einer im-
"merwährenden Unwissenheit verdammet, und sich als ein lastbares Thier nur
"zum Mutation gewöhnet, nichts selber inventirt, sondern nur dahin sich befleis-

siget,

„Bereuter und dergleichen Leute ihre Hunde und Pferde durch Grauſamkeit
„Schrecken, Streiche und Hunger abrichten, alſo dringt auch dieſer bey ſei-
„nen Buben mit Gewalt durch, und nicht mit Beſcheidenheit. Was er heiſt,
„oder dictirt, muß ohne Frage und Wiederrede geſchehen, recht und wahr
„ſeyn. Er giebet niemand Rede und Antwort, ſolte ſolche auch der gewal-
„tige Koͤnig Cyrus, oder der weiſe Cato von ihnen fordern. Daß ſo viele boͤſe
„Buͤrger in der Stadt ſeynd, daran iſt er Schuld, weil er ſie gleich in ihrer
„beſten Bluͤte verderbet, und zu Fantaſten oder Halsſtarrigen Bloͤchern ma-
„chet. Denn er weiß keinen Unterſcheid zu halten, noch zu unterſuchen, ob
„nemlich manche Tugend oder Natur derer Sporen oder des Zaums bedarff?
„manche getrieben ſeyn will, oder ſich ſelbſt treibet? Ja er movirt auch manch-
„mal Acheronta oder die gantze Hoͤlle und will die Buben mit allen Teuffeln
„meiſtern, bevorab wann er entweder zu viel Wein, oder zu viel Bier und
„Brandewein geſchoͤpffet und genippet; da er dann abſonderlich ſeine ritterli-
„che Autoritæt ſehen zu laſſen pfleget.

„Seine Hoſen ſeynd wie zwey alte Teutſche Puffer-Hulfftern. Die
„Schnupff- oder Naſen-Tuͤcher haͤlt er vor ein uͤbrig koſtbar Werck, weil er
„ſich in den Mantel ſchneutzet, oder ſeine Naſe auf den Ermel wiſchet. Wo
„jederman luſtig iſt, da ſitzet er gantz ſtille, haͤlt ſich ſo gravitætiſch als gien-
„gen ihm die Geſchaͤffte des gantzen heiligen Roͤmiſchen Reichs im Kopffe her-
„um, und begehret nicht zu reden, auſſer nur, wann man ihm gantz alleine zu-
„hoͤret. Er iſt keinen Menſchen unterworffen auſſer nur ſeinem Weibe, und
„das nur zu dem Ende, damit ſie ſich ihm hinwiederum unterwerffe.

„Er meynet es ſeye kein anderer als Buͤcher-Witz, und der Menſch lebe
„nur darum, auf daß er leſe und ſtudire, geſtalt er ſelbſt immer lieſet, eben als
„ob man nichts aus der taͤglichen Erfahrung und dem groſſen Natur-Buch
„lernen koͤnne.

„Alle ſeine Gedancken ſchlaͤgt er in Buͤchern nach. Sobald er ſie
„nicht darinnen findet, verwirfft er ſie, und meynet, daß er ſich geirret. Viel
„weniger glaubet er, daß er etwas reden doͤrffte, welches er nicht zuvor bey
„einem andern geleſen. Er kan ihm nicht einbilden, daß der Menſch etwas
„von Natur habe, ſondern muͤſſe alles lernen, geſtalt er ſich ſelbſt zu einer im-
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[34/0078] „Bereuter und dergleichen Leute ihre Hunde und Pferde durch Grauſamkeit „Schrecken, Streiche und Hunger abrichten, alſo dringt auch dieſer bey ſei- „nen Buben mit Gewalt durch, und nicht mit Beſcheidenheit. Was er heiſt, „oder dictirt, muß ohne Frage und Wiederrede geſchehen, recht und wahr „ſeyn. Er giebet niemand Rede und Antwort, ſolte ſolche auch der gewal- „tige Koͤnig Cyrus, oder der weiſe Cato von ihnen fordern. Daß ſo viele boͤſe „Buͤrger in der Stadt ſeynd, daran iſt er Schuld, weil er ſie gleich in ihrer „beſten Bluͤte verderbet, und zu Fantaſten oder Halsſtarrigen Bloͤchern ma- „chet. Denn er weiß keinen Unterſcheid zu halten, noch zu unterſuchen, ob „nemlich manche Tugend oder Natur derer Sporen oder des Zaums bedarff? „manche getrieben ſeyn will, oder ſich ſelbſt treibet? Ja er movirt auch manch- „mal Acheronta oder die gantze Hoͤlle und will die Buben mit allen Teuffeln „meiſtern, bevorab wann er entweder zu viel Wein, oder zu viel Bier und „Brandewein geſchoͤpffet und genippet; da er dann abſonderlich ſeine ritterli- „che Autoritæt ſehen zu laſſen pfleget. „Seine Hoſen ſeynd wie zwey alte Teutſche Puffer-Hulfftern. Die „Schnupff- oder Naſen-Tuͤcher haͤlt er vor ein uͤbrig koſtbar Werck, weil er „ſich in den Mantel ſchneutzet, oder ſeine Naſe auf den Ermel wiſchet. Wo „jederman luſtig iſt, da ſitzet er gantz ſtille, haͤlt ſich ſo gravitætiſch als gien- „gen ihm die Geſchaͤffte des gantzen heiligen Roͤmiſchen Reichs im Kopffe her- „um, und begehret nicht zu reden, auſſer nur, wann man ihm gantz alleine zu- „hoͤret. Er iſt keinen Menſchen unterworffen auſſer nur ſeinem Weibe, und „das nur zu dem Ende, damit ſie ſich ihm hinwiederum unterwerffe. „Er meynet es ſeye kein anderer als Buͤcher-Witz, und der Menſch lebe „nur darum, auf daß er leſe und ſtudire, geſtalt er ſelbſt immer lieſet, eben als „ob man nichts aus der taͤglichen Erfahrung und dem groſſen Natur-Buch „lernen koͤnne. „Alle ſeine Gedancken ſchlaͤgt er in Buͤchern nach. Sobald er ſie „nicht darinnen findet, verwirfft er ſie, und meynet, daß er ſich geirret. Viel „weniger glaubet er, daß er etwas reden doͤrffte, welches er nicht zuvor bey „einem andern geleſen. Er kan ihm nicht einbilden, daß der Menſch etwas „von Natur habe, ſondern muͤſſe alles lernen, geſtalt er ſich ſelbſt zu einer im- „merwaͤhrenden Unwiſſenheit verdammet, und ſich als ein laſtbares Thier nur „zum Mutation gewoͤhnet, nichts ſelber inventirt, ſondern nur dahin ſich befleiſ- ſiget,

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Zitationshilfe: Fassmann, David: Der Gelehrte Narr. Freiburg, 1729, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fassmann_narr_1729/78>, abgerufen am 27.04.2024.