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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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heit nach Unbeschränktheit. Ich kann also von der Selbstheit,
sie absolut gedacht -- Gott ist das absolute Selbst -- nicht
unmittelbar zu ihrem Gegentheil übergehen; ich muß diesen
Widerspruch einleiten, vorbereiten, mäßigen durch das Bewußt-
sein eines Wesens, welches zwar auch ein anderes ist und in
sofern mir die Anschauung meiner Beschränktheit gibt, aber so,
daß es zugleich mein Wesen bejaht, mein Wesen mir vergegen-
ständlicht. Das Bewußtsein der Welt ist ein demüthigendes
Bewußtsein -- die Schöpfung war ein "Act der Demuth" --
aber der erste Stein des Anstoßes, an dem sich der Stolz der
Ichheit bricht, ist das Du, der Alter Ego. Erst stählt das
Ich seinen Blick in dem Auge eines Du, ehe es die Anschauung
eines Wesens erträgt, welches ihm nicht sein eignes Bild zu-
rückstrahlt. Der andere Mensch ist das Band zwischen mir
und der Welt. Ich bin und fühle mich abhängig von der
Welt, weil ich zuerst von andern Menschen mich abhängig
fühle. Bedürfte ich nicht des Menschen, so bedürfte ich auch
nicht der Welt. Ich versöhne, ich befreunde mich mit der Welt
nur durch den andern Menschen. Ohne den Andern wäre die
Welt für mich nicht nur todt und leer, sondern auch sinn- und
verstandlos. Nur an dem Andern wird der Mensch sich klar
und selbstbewußt; aber erst, wenn ich mir selbst klar, wird mir
die Welt klar. Ein absolut für sich allein existirender Mensch
würde sich selbstlos und unterschiedslos in dem Ocean der Na-
tur verlieren; er würde weder sich als Menschen, noch die Natur
als Natur erfassen. Der erste Gegenstand des Menschen ist der
Mensch. Der Sinn für die Natur, der uns erst das Bewußt-
sein der Welt als Welt erschließt, ist ein späteres Erzeugniß;
denn er entsteht erst durch den Act der Absonderung des Men-
schen von sich. Den Naturphilosophen Griechenlands gehen

heit nach Unbeſchränktheit. Ich kann alſo von der Selbſtheit,
ſie abſolut gedacht — Gott iſt das abſolute Selbſt — nicht
unmittelbar zu ihrem Gegentheil übergehen; ich muß dieſen
Widerſpruch einleiten, vorbereiten, mäßigen durch das Bewußt-
ſein eines Weſens, welches zwar auch ein anderes iſt und in
ſofern mir die Anſchauung meiner Beſchränktheit gibt, aber ſo,
daß es zugleich mein Weſen bejaht, mein Weſen mir vergegen-
ſtändlicht. Das Bewußtſein der Welt iſt ein demüthigendes
Bewußtſein — die Schöpfung war ein „Act der Demuth“ —
aber der erſte Stein des Anſtoßes, an dem ſich der Stolz der
Ichheit bricht, iſt das Du, der Alter Ego. Erſt ſtählt das
Ich ſeinen Blick in dem Auge eines Du, ehe es die Anſchauung
eines Weſens erträgt, welches ihm nicht ſein eignes Bild zu-
rückſtrahlt. Der andere Menſch iſt das Band zwiſchen mir
und der Welt. Ich bin und fühle mich abhängig von der
Welt, weil ich zuerſt von andern Menſchen mich abhängig
fühle. Bedürfte ich nicht des Menſchen, ſo bedürfte ich auch
nicht der Welt. Ich verſöhne, ich befreunde mich mit der Welt
nur durch den andern Menſchen. Ohne den Andern wäre die
Welt für mich nicht nur todt und leer, ſondern auch ſinn- und
verſtandlos. Nur an dem Andern wird der Menſch ſich klar
und ſelbſtbewußt; aber erſt, wenn ich mir ſelbſt klar, wird mir
die Welt klar. Ein abſolut für ſich allein exiſtirender Menſch
würde ſich ſelbſtlos und unterſchiedslos in dem Ocean der Na-
tur verlieren; er würde weder ſich als Menſchen, noch die Natur
als Natur erfaſſen. Der erſte Gegenſtand des Menſchen iſt der
Menſch. Der Sinn für die Natur, der uns erſt das Bewußt-
ſein der Welt als Welt erſchließt, iſt ein ſpäteres Erzeugniß;
denn er entſteht erſt durch den Act der Abſonderung des Men-
ſchen von ſich. Den Naturphiloſophen Griechenlands gehen

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[100/0118] heit nach Unbeſchränktheit. Ich kann alſo von der Selbſtheit, ſie abſolut gedacht — Gott iſt das abſolute Selbſt — nicht unmittelbar zu ihrem Gegentheil übergehen; ich muß dieſen Widerſpruch einleiten, vorbereiten, mäßigen durch das Bewußt- ſein eines Weſens, welches zwar auch ein anderes iſt und in ſofern mir die Anſchauung meiner Beſchränktheit gibt, aber ſo, daß es zugleich mein Weſen bejaht, mein Weſen mir vergegen- ſtändlicht. Das Bewußtſein der Welt iſt ein demüthigendes Bewußtſein — die Schöpfung war ein „Act der Demuth“ — aber der erſte Stein des Anſtoßes, an dem ſich der Stolz der Ichheit bricht, iſt das Du, der Alter Ego. Erſt ſtählt das Ich ſeinen Blick in dem Auge eines Du, ehe es die Anſchauung eines Weſens erträgt, welches ihm nicht ſein eignes Bild zu- rückſtrahlt. Der andere Menſch iſt das Band zwiſchen mir und der Welt. Ich bin und fühle mich abhängig von der Welt, weil ich zuerſt von andern Menſchen mich abhängig fühle. Bedürfte ich nicht des Menſchen, ſo bedürfte ich auch nicht der Welt. Ich verſöhne, ich befreunde mich mit der Welt nur durch den andern Menſchen. Ohne den Andern wäre die Welt für mich nicht nur todt und leer, ſondern auch ſinn- und verſtandlos. Nur an dem Andern wird der Menſch ſich klar und ſelbſtbewußt; aber erſt, wenn ich mir ſelbſt klar, wird mir die Welt klar. Ein abſolut für ſich allein exiſtirender Menſch würde ſich ſelbſtlos und unterſchiedslos in dem Ocean der Na- tur verlieren; er würde weder ſich als Menſchen, noch die Natur als Natur erfaſſen. Der erſte Gegenſtand des Menſchen iſt der Menſch. Der Sinn für die Natur, der uns erſt das Bewußt- ſein der Welt als Welt erſchließt, iſt ein ſpäteres Erzeugniß; denn er entſteht erſt durch den Act der Abſonderung des Men- ſchen von ſich. Den Naturphiloſophen Griechenlands gehen

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/118>, abgerufen am 28.04.2024.