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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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Pensees confuses als göttliche Kräfte oder Poten-
zen
. Aber die Pensees confuses, die verworrnen, dunkeln
Vorstellungen und Gedanken, richtiger Bilder repräsentiren das
Fleisch, die Materie: eine reine, von der Materie abgeson-
derte Intelligenz hat nur lichte, freie Gedanken, keine dunkeln,
d. i. fleischliche Vorstellungen, keine materiellen, die Phan-
tasie erregende, das Blut in Aufruhr bringende Bilder. Die
Nacht in Gott sagt daher nichts andres aus, als: Gott ist
nicht nur ein geistiges, sondern auch materielles, leibli-
ches, fleischliches Wesen
; aber wie der Mensch Mensch ist
und heißt nicht nach seinem Fleisch, sondern seinem Geist, so
auch Gott.

Aber die Nacht spricht dieß nur in dunkeln, mystischen,
unbestimmten, hinterhaltigen
Bildern aus. Statt des
kräftigen, aber eben deßwegen präcisen und picanten Ausdrucks
Fleisch setzt sie die vieldeutigen, abstracten Worte: Natur
und Grund
. "Da nichts vor oder außer Gott ist, so muß
er den Grund seiner Existenz in sich selbst haben. Das sagen
alle Philosophien, aber sie reden von diesem Grund als einem
bloßen Begriff, ohne ihn zu etwas Reellem und Wirk-
lichem
zu machen. Dieser Grund seiner Existenz, den Gott
in sich hat, ist nicht Gott absolut betrachtet, d. h. sofern er
existirt; denn er ist ja nur der Grund seiner Existenz. Er ist die
Natur -- in Gott; ein von ihm zwar unabtrennliches, aber
doch unterschiednes Wesen. Analogisch (?) kann dieses
Verhältniß durch das der Schwerkraft und des Lichts in der
Natur erläutert werden." Aber dieser Grund ist das Nicht-
intelligente
in Gott. "Was der Anfang einer Intelligenz
(in ihr selber) ist, kann nicht wieder intelligent sein." "Aus
diesem Verstandlosen ist im eigentlichen Sinne der Verstand

Pensées confuses als göttliche Kräfte oder Poten-
zen
. Aber die Pensées confuses, die verworrnen, dunkeln
Vorſtellungen und Gedanken, richtiger Bilder repräſentiren das
Fleiſch, die Materie: eine reine, von der Materie abgeſon-
derte Intelligenz hat nur lichte, freie Gedanken, keine dunkeln,
d. i. fleiſchliche Vorſtellungen, keine materiellen, die Phan-
taſie erregende, das Blut in Aufruhr bringende Bilder. Die
Nacht in Gott ſagt daher nichts andres aus, als: Gott iſt
nicht nur ein geiſtiges, ſondern auch materielles, leibli-
ches, fleiſchliches Weſen
; aber wie der Menſch Menſch iſt
und heißt nicht nach ſeinem Fleiſch, ſondern ſeinem Geiſt, ſo
auch Gott.

Aber die Nacht ſpricht dieß nur in dunkeln, myſtiſchen,
unbeſtimmten, hinterhaltigen
Bildern aus. Statt des
kräftigen, aber eben deßwegen präciſen und picanten Ausdrucks
Fleiſch ſetzt ſie die vieldeutigen, abſtracten Worte: Natur
und Grund
. „Da nichts vor oder außer Gott iſt, ſo muß
er den Grund ſeiner Exiſtenz in ſich ſelbſt haben. Das ſagen
alle Philoſophien, aber ſie reden von dieſem Grund als einem
bloßen Begriff, ohne ihn zu etwas Reellem und Wirk-
lichem
zu machen. Dieſer Grund ſeiner Exiſtenz, den Gott
in ſich hat, iſt nicht Gott abſolut betrachtet, d. h. ſofern er
exiſtirt; denn er iſt ja nur der Grund ſeiner Exiſtenz. Er iſt die
Natur — in Gott; ein von ihm zwar unabtrennliches, aber
doch unterſchiednes Weſen. Analogiſch (?) kann dieſes
Verhältniß durch das der Schwerkraft und des Lichts in der
Natur erläutert werden.“ Aber dieſer Grund iſt das Nicht-
intelligente
in Gott. „Was der Anfang einer Intelligenz
(in ihr ſelber) iſt, kann nicht wieder intelligent ſein.“ „Aus
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[109/0127] Pensées confuses als göttliche Kräfte oder Poten- zen. Aber die Pensées confuses, die verworrnen, dunkeln Vorſtellungen und Gedanken, richtiger Bilder repräſentiren das Fleiſch, die Materie: eine reine, von der Materie abgeſon- derte Intelligenz hat nur lichte, freie Gedanken, keine dunkeln, d. i. fleiſchliche Vorſtellungen, keine materiellen, die Phan- taſie erregende, das Blut in Aufruhr bringende Bilder. Die Nacht in Gott ſagt daher nichts andres aus, als: Gott iſt nicht nur ein geiſtiges, ſondern auch materielles, leibli- ches, fleiſchliches Weſen; aber wie der Menſch Menſch iſt und heißt nicht nach ſeinem Fleiſch, ſondern ſeinem Geiſt, ſo auch Gott. Aber die Nacht ſpricht dieß nur in dunkeln, myſtiſchen, unbeſtimmten, hinterhaltigen Bildern aus. Statt des kräftigen, aber eben deßwegen präciſen und picanten Ausdrucks Fleiſch ſetzt ſie die vieldeutigen, abſtracten Worte: Natur und Grund. „Da nichts vor oder außer Gott iſt, ſo muß er den Grund ſeiner Exiſtenz in ſich ſelbſt haben. Das ſagen alle Philoſophien, aber ſie reden von dieſem Grund als einem bloßen Begriff, ohne ihn zu etwas Reellem und Wirk- lichem zu machen. Dieſer Grund ſeiner Exiſtenz, den Gott in ſich hat, iſt nicht Gott abſolut betrachtet, d. h. ſofern er exiſtirt; denn er iſt ja nur der Grund ſeiner Exiſtenz. Er iſt die Natur — in Gott; ein von ihm zwar unabtrennliches, aber doch unterſchiednes Weſen. Analogiſch (?) kann dieſes Verhältniß durch das der Schwerkraft und des Lichts in der Natur erläutert werden.“ Aber dieſer Grund iſt das Nicht- intelligente in Gott. „Was der Anfang einer Intelligenz (in ihr ſelber) iſt, kann nicht wieder intelligent ſein.“ „Aus dieſem Verſtandloſen iſt im eigentlichen Sinne der Verſtand

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/127>, abgerufen am 27.04.2024.