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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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Aber was ist denn nun Kraft und Stärke, die nur Kraft
und Stärke ist im Unterschiede von der geistigen Macht der
Güte und Intelligenz, als die leibliche Kraft und Stärke?
Ist denn eine bloße Kraft, eine bloße Stärke ohne ein wirk-
liches leibliches Substrat
nicht auch "dürftige Subtilität
eines abstracten Idealismus?" Kennst Du im Unterschiede von
der Macht der Güte und der Macht der Vernunft eine andere
Dir zu Gebote stehende Kraft als die Muskelkraft? Wenn
Du durch Güte und Vernunftgründe nichts ausrichten kannst,
so mußt Du zur Stärke Deine Zuflucht nehmen. Kannst Du
aber etwas "ausrichten" ohne kräftige Arme und Fäuste?
Kennst Du im Unterschiede von der Macht der morali-
schen Weltordnung
"andere und lebendigere Bewegungs-
kräfte" als die Hebel der peinlichen Halsgerichtsord-
nung
? Gibt es ein anderes System "lebendigen Realis-
mus's
" als das System des organischen Leibes? Ist
Natur ohne Leib nicht ein leerer, abgezogner Begriff? das
Geheimniß der Natur nicht das Geheimniß des Leibes?
Kennst Du eine andere Existenz, ein anderes Wesen der Na-
tur, als die leibliche Existenz, als das leibliche Wesen? Ist aber
nicht der höchste, der realste, der lebendigste Leib der Leib von
Fleisch und Blut? Kennst Du eine andere der Intelligenz ent-
gegengesetzte Kraft, als die Kraft von Fleisch und Blut, eine
andere Stärke der Natur als die Stärke der sinnlichen Triebe?
Ist aber nicht der stärkste, der der Intelligenz entgegengesetzteste
Naturtrieb der Geschlechtstrieb? Wer erinnert sich nicht an
den alten Spruch: Amare et Sapere vix Deo competit?
Wenn wir also eine Natur, ein dem Lichte der Intelligenz ent-
gegengesetztes Wesen in Gott setzen wollen, können wir uns
einen lebendigeren, realeren Gegensatz denken, als den Gegen-

Aber was iſt denn nun Kraft und Stärke, die nur Kraft
und Stärke iſt im Unterſchiede von der geiſtigen Macht der
Güte und Intelligenz, als die leibliche Kraft und Stärke?
Iſt denn eine bloße Kraft, eine bloße Stärke ohne ein wirk-
liches leibliches Subſtrat
nicht auch „dürftige Subtilität
eines abſtracten Idealismus?“ Kennſt Du im Unterſchiede von
der Macht der Güte und der Macht der Vernunft eine andere
Dir zu Gebote ſtehende Kraft als die Muskelkraft? Wenn
Du durch Güte und Vernunftgründe nichts ausrichten kannſt,
ſo mußt Du zur Stärke Deine Zuflucht nehmen. Kannſt Du
aber etwas „ausrichten“ ohne kräftige Arme und Fäuſte?
Kennſt Du im Unterſchiede von der Macht der morali-
ſchen Weltordnung
„andere und lebendigere Bewegungs-
kräfte“ als die Hebel der peinlichen Halsgerichtsord-
nung
? Gibt es ein anderes Syſtem „lebendigen Realis-
mus’s
“ als das Syſtem des organiſchen Leibes? Iſt
Natur ohne Leib nicht ein leerer, abgezogner Begriff? das
Geheimniß der Natur nicht das Geheimniß des Leibes?
Kennſt Du eine andere Exiſtenz, ein anderes Weſen der Na-
tur, als die leibliche Exiſtenz, als das leibliche Weſen? Iſt aber
nicht der höchſte, der realſte, der lebendigſte Leib der Leib von
Fleiſch und Blut? Kennſt Du eine andere der Intelligenz ent-
gegengeſetzte Kraft, als die Kraft von Fleiſch und Blut, eine
andere Stärke der Natur als die Stärke der ſinnlichen Triebe?
Iſt aber nicht der ſtärkſte, der der Intelligenz entgegengeſetzteſte
Naturtrieb der Geſchlechtstrieb? Wer erinnert ſich nicht an
den alten Spruch: Amare et Sapere vix Deo competit?
Wenn wir alſo eine Natur, ein dem Lichte der Intelligenz ent-
gegengeſetztes Weſen in Gott ſetzen wollen, können wir uns
einen lebendigeren, realeren Gegenſatz denken, als den Gegen-

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[111/0129] Aber was iſt denn nun Kraft und Stärke, die nur Kraft und Stärke iſt im Unterſchiede von der geiſtigen Macht der Güte und Intelligenz, als die leibliche Kraft und Stärke? Iſt denn eine bloße Kraft, eine bloße Stärke ohne ein wirk- liches leibliches Subſtrat nicht auch „dürftige Subtilität eines abſtracten Idealismus?“ Kennſt Du im Unterſchiede von der Macht der Güte und der Macht der Vernunft eine andere Dir zu Gebote ſtehende Kraft als die Muskelkraft? Wenn Du durch Güte und Vernunftgründe nichts ausrichten kannſt, ſo mußt Du zur Stärke Deine Zuflucht nehmen. Kannſt Du aber etwas „ausrichten“ ohne kräftige Arme und Fäuſte? Kennſt Du im Unterſchiede von der Macht der morali- ſchen Weltordnung „andere und lebendigere Bewegungs- kräfte“ als die Hebel der peinlichen Halsgerichtsord- nung? Gibt es ein anderes Syſtem „lebendigen Realis- mus’s“ als das Syſtem des organiſchen Leibes? Iſt Natur ohne Leib nicht ein leerer, abgezogner Begriff? das Geheimniß der Natur nicht das Geheimniß des Leibes? Kennſt Du eine andere Exiſtenz, ein anderes Weſen der Na- tur, als die leibliche Exiſtenz, als das leibliche Weſen? Iſt aber nicht der höchſte, der realſte, der lebendigſte Leib der Leib von Fleiſch und Blut? Kennſt Du eine andere der Intelligenz ent- gegengeſetzte Kraft, als die Kraft von Fleiſch und Blut, eine andere Stärke der Natur als die Stärke der ſinnlichen Triebe? Iſt aber nicht der ſtärkſte, der der Intelligenz entgegengeſetzteſte Naturtrieb der Geſchlechtstrieb? Wer erinnert ſich nicht an den alten Spruch: Amare et Sapere vix Deo competit? Wenn wir alſo eine Natur, ein dem Lichte der Intelligenz ent- gegengeſetztes Weſen in Gott ſetzen wollen, können wir uns einen lebendigeren, realeren Gegenſatz denken, als den Gegen-

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/129>, abgerufen am 27.04.2024.