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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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nur der Zeit, sondern auch dem Range nach -- das Prin-
cip
, aus dem sich alle weitern Wunder von selbst ergeben. Der
Beweis ist die Geschichte selbst. Alle Wunder hat man aus
der Allmacht, die die Welt aus Nichts geschaffen, gerechtfer-
tigt, erklärt und veranschaulicht. Wer die Welt aus Nichts
gemacht, wie sollte der nicht aus Wasser Wein machen, aus
einem Efel menschliche Worte hervorbringen, aus einem Felsen
Wasser hervorzaubern können? Aber das Wunder ist, wie wir
weiter sehen werden, nur ein Product und Object der Ein-
bildungskraft
-- also auch die Schöpfung aus Nichts als
das primitive Wunder. Man hat deßwegen die Lehre von
der Schöpfung aus Nichts für eine übernatürliche erklärt, auf
welche die Vernunft nicht von selbst hätte kommen können und
sich auf die heidnischen Philosophen berufen, als welche aus
einer schon vorhandenen Materie die Welt durch die göttliche
Vernunft bilden ließen. Allein dieses übernatürliche Princip
ist kein andres, als das Princip der Subjectivität, welches sich
im Christenthume zur unbeschränkten Universalmonarchie erhob,
während die alten Philosophen nicht so subjectiv waren, das
absolut subjective Wesen als das schlechtweg, das ausschließlich
absolute Wesen zu erfassen, weil sie durch die Anschauung der
Welt oder Wirklichkeit die Subjectivität beschränkten -- weil
ihnen die Welt eine Wahrheit war.

Die Schöpfung aus Nichts ist, als identisch mit dem
Wunder, eins mit der Vorsehung; denn die Idee der Vor-
sehung
ist -- ursprünglich, in ihrer wahren religiösen Bedeu-
tung, wo sie noch nicht bedrängt und beschränkt worden durch
den ungläubigen Verstand -- eines mit der Idee des

der natürlichen Vernunft unbegreiflich, nur ein Articulus fidei, wie der-
selbe sagt: de mirab. sci. Dei. P. I. Tract. 13. Qu. 53. membr. I.

nur der Zeit, ſondern auch dem Range nach — das Prin-
cip
, aus dem ſich alle weitern Wunder von ſelbſt ergeben. Der
Beweis iſt die Geſchichte ſelbſt. Alle Wunder hat man aus
der Allmacht, die die Welt aus Nichts geſchaffen, gerechtfer-
tigt, erklärt und veranſchaulicht. Wer die Welt aus Nichts
gemacht, wie ſollte der nicht aus Waſſer Wein machen, aus
einem Efel menſchliche Worte hervorbringen, aus einem Felſen
Waſſer hervorzaubern können? Aber das Wunder iſt, wie wir
weiter ſehen werden, nur ein Product und Object der Ein-
bildungskraft
— alſo auch die Schöpfung aus Nichts als
das primitive Wunder. Man hat deßwegen die Lehre von
der Schöpfung aus Nichts für eine übernatürliche erklärt, auf
welche die Vernunft nicht von ſelbſt hätte kommen können und
ſich auf die heidniſchen Philoſophen berufen, als welche aus
einer ſchon vorhandenen Materie die Welt durch die göttliche
Vernunft bilden ließen. Allein dieſes übernatürliche Princip
iſt kein andres, als das Princip der Subjectivität, welches ſich
im Chriſtenthume zur unbeſchränkten Univerſalmonarchie erhob,
während die alten Philoſophen nicht ſo ſubjectiv waren, das
abſolut ſubjective Weſen als das ſchlechtweg, das ausſchließlich
abſolute Weſen zu erfaſſen, weil ſie durch die Anſchauung der
Welt oder Wirklichkeit die Subjectivität beſchränkten — weil
ihnen die Welt eine Wahrheit war.

Die Schöpfung aus Nichts iſt, als identiſch mit dem
Wunder, eins mit der Vorſehung; denn die Idee der Vor-
ſehung
iſt — urſprünglich, in ihrer wahren religiöſen Bedeu-
tung, wo ſie noch nicht bedrängt und beſchränkt worden durch
den ungläubigen Verſtand — eines mit der Idee des

der natuͤrlichen Vernunft unbegreiflich, nur ein Articulus fidei, wie der-
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[128/0146] nur der Zeit, ſondern auch dem Range nach — das Prin- cip, aus dem ſich alle weitern Wunder von ſelbſt ergeben. Der Beweis iſt die Geſchichte ſelbſt. Alle Wunder hat man aus der Allmacht, die die Welt aus Nichts geſchaffen, gerechtfer- tigt, erklärt und veranſchaulicht. Wer die Welt aus Nichts gemacht, wie ſollte der nicht aus Waſſer Wein machen, aus einem Efel menſchliche Worte hervorbringen, aus einem Felſen Waſſer hervorzaubern können? Aber das Wunder iſt, wie wir weiter ſehen werden, nur ein Product und Object der Ein- bildungskraft — alſo auch die Schöpfung aus Nichts als das primitive Wunder. Man hat deßwegen die Lehre von der Schöpfung aus Nichts für eine übernatürliche erklärt, auf welche die Vernunft nicht von ſelbſt hätte kommen können und ſich auf die heidniſchen Philoſophen berufen, als welche aus einer ſchon vorhandenen Materie die Welt durch die göttliche Vernunft bilden ließen. Allein dieſes übernatürliche Princip iſt kein andres, als das Princip der Subjectivität, welches ſich im Chriſtenthume zur unbeſchränkten Univerſalmonarchie erhob, während die alten Philoſophen nicht ſo ſubjectiv waren, das abſolut ſubjective Weſen als das ſchlechtweg, das ausſchließlich abſolute Weſen zu erfaſſen, weil ſie durch die Anſchauung der Welt oder Wirklichkeit die Subjectivität beſchränkten — weil ihnen die Welt eine Wahrheit war. Die Schöpfung aus Nichts iſt, als identiſch mit dem Wunder, eins mit der Vorſehung; denn die Idee der Vor- ſehung iſt — urſprünglich, in ihrer wahren religiöſen Bedeu- tung, wo ſie noch nicht bedrängt und beſchränkt worden durch den ungläubigen Verſtand — eines mit der Idee des **) **) der natuͤrlichen Vernunft unbegreiflich, nur ein Articulus fidei, wie der- ſelbe ſagt: de mirab. sci. Dei. P. I. Tract. 13. Qu. 53. membr. I.

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/146>, abgerufen am 27.04.2024.