Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

Bild:
<< vorherige Seite

zu zeihen, das ist auch keine Sache der Theorie, sondern eine
Gewissenssache, kein Wesen der Vernunft, sondern des Ge-
müths.

Da nun aber der praktische Standpunkt allein der Stand-
punkt der Religion ist, da ihr folglich auch nur der praktische,
vorsätzliche, nur nach seinen bewußten, sei es nun physischen
oder moralischen Zwecken handelnde und die Welt nur in Be-
ziehung auf diese Zwecke und Bedürfnisse, nicht an sich selbst
betrachtende Mensch für den ganzen, wesentlichen Menschen
gilt; so fällt ihr Alles, was hinter dem praktischen Bewußt-
sein liegt, aber der wesentliche Gegenstand der Theorie ist --
Theorie im ursprünglichsten und allgemeinsten Sinne, im Sinne
der theoretischen Anschauung und Erfahrung, der Vernunft,
der Wissenschaft überhaupt -- außer den Menschen und
die Natur
hinaus in ein besonderes persönliches Wesen.
Alles Gute, doch hauptsächlich nur solches, welches unwill-
kührlich den Menschen ergreift, welches sich nicht zusammen-
reimt mit Vorsatz und Absicht, welches über die Gränzen des
praktischen Bewußtseins hinausgeht, kommt von Gott; alles
Schlimme, Böse, Ueble, doch hauptsächlich nur solches, welches
ihn unwillkührlich mitten in seinen besten moralischen Vorsätzen
überfällt oder mit furchtbarer Gewalt fortreißt, kommt vom
Teufel. Zur Erkenntniß des Wesens der Religion gehört die
Erkenntniß des Teufels, des Satans, der Dämone *). Man

*) Ueber die biblischen Vorstellungen vom Satan, seiner Macht und
Wirkung s. Lützelberger's Grundzüge der Paulinischen Glaubenslehre
und G. Ch. Knapp's Vorles. über d. christl. Glaubensl. §. 62--65.
Hieher gehören auch die dämonischen Krankheiten, die Teufelsbesitzungen.
Auch diese Krankheiten sind in der Bibel, der göttlichen Offenbarung,
begründet. S. Knapp (§. 65. III. 2. 3.).

zu zeihen, das iſt auch keine Sache der Theorie, ſondern eine
Gewiſſensſache, kein Weſen der Vernunft, ſondern des Ge-
müths.

Da nun aber der praktiſche Standpunkt allein der Stand-
punkt der Religion iſt, da ihr folglich auch nur der praktiſche,
vorſätzliche, nur nach ſeinen bewußten, ſei es nun phyſiſchen
oder moraliſchen Zwecken handelnde und die Welt nur in Be-
ziehung auf dieſe Zwecke und Bedürfniſſe, nicht an ſich ſelbſt
betrachtende Menſch für den ganzen, weſentlichen Menſchen
gilt; ſo fällt ihr Alles, was hinter dem praktiſchen Bewußt-
ſein liegt, aber der weſentliche Gegenſtand der Theorie iſt —
Theorie im urſprünglichſten und allgemeinſten Sinne, im Sinne
der theoretiſchen Anſchauung und Erfahrung, der Vernunft,
der Wiſſenſchaft überhaupt — außer den Menſchen und
die Natur
hinaus in ein beſonderes perſönliches Weſen.
Alles Gute, doch hauptſächlich nur ſolches, welches unwill-
kührlich den Menſchen ergreift, welches ſich nicht zuſammen-
reimt mit Vorſatz und Abſicht, welches über die Gränzen des
praktiſchen Bewußtſeins hinausgeht, kommt von Gott; alles
Schlimme, Böſe, Ueble, doch hauptſächlich nur ſolches, welches
ihn unwillkührlich mitten in ſeinen beſten moraliſchen Vorſätzen
überfällt oder mit furchtbarer Gewalt fortreißt, kommt vom
Teufel. Zur Erkenntniß des Weſens der Religion gehört die
Erkenntniß des Teufels, des Satans, der Dämone *). Man

*) Ueber die bibliſchen Vorſtellungen vom Satan, ſeiner Macht und
Wirkung ſ. Lützelberger’s Grundzüge der Pauliniſchen Glaubenslehre
und G. Ch. Knapp’s Vorleſ. über d. chriſtl. Glaubensl. §. 62—65.
Hieher gehören auch die dämoniſchen Krankheiten, die Teufelsbeſitzungen.
Auch dieſe Krankheiten ſind in der Bibel, der göttlichen Offenbarung,
begründet. S. Knapp (§. 65. III. 2. 3.).
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0269" n="251"/>
zu zeihen, das i&#x017F;t auch keine Sache der Theorie, &#x017F;ondern eine<lb/>
Gewi&#x017F;&#x017F;ens&#x017F;ache, kein We&#x017F;en der Vernunft, &#x017F;ondern des Ge-<lb/>
müths.</p><lb/>
          <p>Da nun aber der prakti&#x017F;che Standpunkt allein der Stand-<lb/>
punkt der Religion i&#x017F;t, da ihr folglich auch nur der prakti&#x017F;che,<lb/>
vor&#x017F;ätzliche, nur nach &#x017F;einen bewußten, &#x017F;ei es nun phy&#x017F;i&#x017F;chen<lb/>
oder morali&#x017F;chen Zwecken handelnde und die Welt nur in Be-<lb/>
ziehung auf die&#x017F;e Zwecke und Bedürfni&#x017F;&#x017F;e, nicht an &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
betrachtende Men&#x017F;ch für den ganzen, we&#x017F;entlichen Men&#x017F;chen<lb/>
gilt; &#x017F;o fällt ihr Alles, was <hi rendition="#g">hinter</hi> dem prakti&#x017F;chen Bewußt-<lb/>
&#x017F;ein liegt, aber der we&#x017F;entliche Gegen&#x017F;tand der Theorie i&#x017F;t &#x2014;<lb/>
Theorie im ur&#x017F;prünglich&#x017F;ten und allgemein&#x017F;ten Sinne, im Sinne<lb/>
der theoreti&#x017F;chen An&#x017F;chauung und Erfahrung, der Vernunft,<lb/>
der Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft überhaupt &#x2014; <hi rendition="#g">außer den Men&#x017F;chen und<lb/>
die Natur</hi> hinaus in ein be&#x017F;onderes per&#x017F;önliches We&#x017F;en.<lb/>
Alles Gute, doch haupt&#x017F;ächlich nur &#x017F;olches, welches unwill-<lb/>
kührlich den Men&#x017F;chen ergreift, welches &#x017F;ich nicht zu&#x017F;ammen-<lb/>
reimt mit Vor&#x017F;atz und Ab&#x017F;icht, welches über die Gränzen des<lb/>
prakti&#x017F;chen Bewußt&#x017F;eins hinausgeht, kommt von <hi rendition="#g">Gott</hi>; alles<lb/>
Schlimme, Bö&#x017F;e, Ueble, doch haupt&#x017F;ächlich nur &#x017F;olches, welches<lb/>
ihn unwillkührlich mitten in &#x017F;einen be&#x017F;ten morali&#x017F;chen Vor&#x017F;ätzen<lb/>
überfällt oder mit furchtbarer Gewalt fortreißt, kommt vom<lb/><hi rendition="#g">Teufel</hi>. Zur Erkenntniß des We&#x017F;ens der Religion gehört die<lb/>
Erkenntniß des Teufels, des Satans, der Dämone <note place="foot" n="*)">Ueber die bibli&#x017F;chen Vor&#x017F;tellungen vom Satan, &#x017F;einer Macht und<lb/>
Wirkung &#x017F;. <hi rendition="#g">Lützelberger</hi>&#x2019;s Grundzüge der Paulini&#x017F;chen Glaubenslehre<lb/>
und G. Ch. <hi rendition="#g">Knapp</hi>&#x2019;s Vorle&#x017F;. über d. chri&#x017F;tl. Glaubensl. §. 62&#x2014;65.<lb/>
Hieher gehören auch die dämoni&#x017F;chen Krankheiten, die Teufelsbe&#x017F;itzungen.<lb/>
Auch die&#x017F;e Krankheiten &#x017F;ind in der Bibel, der göttlichen Offenbarung,<lb/>
begründet. S. Knapp (§. 65. <hi rendition="#aq">III.</hi> 2. 3.).</note>. Man<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[251/0269] zu zeihen, das iſt auch keine Sache der Theorie, ſondern eine Gewiſſensſache, kein Weſen der Vernunft, ſondern des Ge- müths. Da nun aber der praktiſche Standpunkt allein der Stand- punkt der Religion iſt, da ihr folglich auch nur der praktiſche, vorſätzliche, nur nach ſeinen bewußten, ſei es nun phyſiſchen oder moraliſchen Zwecken handelnde und die Welt nur in Be- ziehung auf dieſe Zwecke und Bedürfniſſe, nicht an ſich ſelbſt betrachtende Menſch für den ganzen, weſentlichen Menſchen gilt; ſo fällt ihr Alles, was hinter dem praktiſchen Bewußt- ſein liegt, aber der weſentliche Gegenſtand der Theorie iſt — Theorie im urſprünglichſten und allgemeinſten Sinne, im Sinne der theoretiſchen Anſchauung und Erfahrung, der Vernunft, der Wiſſenſchaft überhaupt — außer den Menſchen und die Natur hinaus in ein beſonderes perſönliches Weſen. Alles Gute, doch hauptſächlich nur ſolches, welches unwill- kührlich den Menſchen ergreift, welches ſich nicht zuſammen- reimt mit Vorſatz und Abſicht, welches über die Gränzen des praktiſchen Bewußtſeins hinausgeht, kommt von Gott; alles Schlimme, Böſe, Ueble, doch hauptſächlich nur ſolches, welches ihn unwillkührlich mitten in ſeinen beſten moraliſchen Vorſätzen überfällt oder mit furchtbarer Gewalt fortreißt, kommt vom Teufel. Zur Erkenntniß des Weſens der Religion gehört die Erkenntniß des Teufels, des Satans, der Dämone *). Man *) Ueber die bibliſchen Vorſtellungen vom Satan, ſeiner Macht und Wirkung ſ. Lützelberger’s Grundzüge der Pauliniſchen Glaubenslehre und G. Ch. Knapp’s Vorleſ. über d. chriſtl. Glaubensl. §. 62—65. Hieher gehören auch die dämoniſchen Krankheiten, die Teufelsbeſitzungen. Auch dieſe Krankheiten ſind in der Bibel, der göttlichen Offenbarung, begründet. S. Knapp (§. 65. III. 2. 3.).

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/269
Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/269>, abgerufen am 08.05.2024.