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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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sie schwängert ihn mit sinnlichen Vorstellungen und Präten-
sionen; werden diese daher nicht befriedigt, findet er vielmehr
die Erfahrung im Widerspruch mit diesen Vorstellungen, so ist
er vollkommen berechtigt, diese Existenz zu läugnen.

Kant hat bekanntlich in seiner Kritik der Beweise vom
Dasein Gottes behauptet, daß sich das Dasein Gottes nicht
aus der Vernunft beweisen lasse. Kant verdiente deßwegen
keinen solchen Tadel, als er von Hegel erfuhr. Der Begriff
der Existenz Gottes in jenen Beweisen ist ein durchaus empi-
rischer
. Aber aus einem Begriffe a priori kann ich nicht
die empirische Existenz ableiten. Nur in sofern verdient Kant
Tadel, als er damit etwas Besonderes aussagen wollte. Es
versteht sich dieß von selbst. Die Vernunft kann nicht ein Ob-
ject von sich zum Object der Sinne machen. Ich kann nicht
im Denken das, was ich denke, zugleich außer mir als ein
sinnliches Ding darstellen. Der Beweis vom Dasein Gottes
geht über die Gränzen der Vernunft; richtig; aber in demsel-
ben Sinne, in welchem Sehen, Hören, Riechen über die Grän-
zen der Vernunft geht. Thöricht ist es, der Vernunft darüber
einen Vorwurf zu machen, daß sie nicht eine Forderung be-
friedigt, die nur an die Sinne gestellt werden kann. Dasein,
empirisches Dasein geben mir nur die Sinne. Und das Da-
sein hat bei der Frage von der Existenz Gottes nicht die Be-
deutung der innern Realität, der Wahrheit, sondern die
Bedeutung einer förmlichen, äußerlichen Existenz. Darum
hat auch volle Wahrheit die Behauptung, daß der Glaube,
daß Gott sei oder nicht sei, keine Folgen für die inneren mora-
lischen Gesinnungen habe. Wohl begeistert der Gedanke: es
ist ein Gott; aber hier bedeutet das Ist die innere Realität;
hier ist die Existenz ein Moment der Begeisterung, ein Act der

Feuerbach. 18

ſie ſchwängert ihn mit ſinnlichen Vorſtellungen und Präten-
ſionen; werden dieſe daher nicht befriedigt, findet er vielmehr
die Erfahrung im Widerſpruch mit dieſen Vorſtellungen, ſo iſt
er vollkommen berechtigt, dieſe Exiſtenz zu läugnen.

Kant hat bekanntlich in ſeiner Kritik der Beweiſe vom
Daſein Gottes behauptet, daß ſich das Daſein Gottes nicht
aus der Vernunft beweiſen laſſe. Kant verdiente deßwegen
keinen ſolchen Tadel, als er von Hegel erfuhr. Der Begriff
der Exiſtenz Gottes in jenen Beweiſen iſt ein durchaus empi-
riſcher
. Aber aus einem Begriffe a priori kann ich nicht
die empiriſche Exiſtenz ableiten. Nur in ſofern verdient Kant
Tadel, als er damit etwas Beſonderes ausſagen wollte. Es
verſteht ſich dieß von ſelbſt. Die Vernunft kann nicht ein Ob-
ject von ſich zum Object der Sinne machen. Ich kann nicht
im Denken das, was ich denke, zugleich außer mir als ein
ſinnliches Ding darſtellen. Der Beweis vom Daſein Gottes
geht über die Gränzen der Vernunft; richtig; aber in demſel-
ben Sinne, in welchem Sehen, Hören, Riechen über die Grän-
zen der Vernunft geht. Thöricht iſt es, der Vernunft darüber
einen Vorwurf zu machen, daß ſie nicht eine Forderung be-
friedigt, die nur an die Sinne geſtellt werden kann. Daſein,
empiriſches Daſein geben mir nur die Sinne. Und das Da-
ſein hat bei der Frage von der Exiſtenz Gottes nicht die Be-
deutung der innern Realität, der Wahrheit, ſondern die
Bedeutung einer förmlichen, äußerlichen Exiſtenz. Darum
hat auch volle Wahrheit die Behauptung, daß der Glaube,
daß Gott ſei oder nicht ſei, keine Folgen für die inneren mora-
liſchen Geſinnungen habe. Wohl begeiſtert der Gedanke: es
iſt ein Gott; aber hier bedeutet das Iſt die innere Realität;
hier iſt die Exiſtenz ein Moment der Begeiſterung, ein Act der

Feuerbach. 18
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[273/0291] ſie ſchwängert ihn mit ſinnlichen Vorſtellungen und Präten- ſionen; werden dieſe daher nicht befriedigt, findet er vielmehr die Erfahrung im Widerſpruch mit dieſen Vorſtellungen, ſo iſt er vollkommen berechtigt, dieſe Exiſtenz zu läugnen. Kant hat bekanntlich in ſeiner Kritik der Beweiſe vom Daſein Gottes behauptet, daß ſich das Daſein Gottes nicht aus der Vernunft beweiſen laſſe. Kant verdiente deßwegen keinen ſolchen Tadel, als er von Hegel erfuhr. Der Begriff der Exiſtenz Gottes in jenen Beweiſen iſt ein durchaus empi- riſcher. Aber aus einem Begriffe a priori kann ich nicht die empiriſche Exiſtenz ableiten. Nur in ſofern verdient Kant Tadel, als er damit etwas Beſonderes ausſagen wollte. Es verſteht ſich dieß von ſelbſt. Die Vernunft kann nicht ein Ob- ject von ſich zum Object der Sinne machen. Ich kann nicht im Denken das, was ich denke, zugleich außer mir als ein ſinnliches Ding darſtellen. Der Beweis vom Daſein Gottes geht über die Gränzen der Vernunft; richtig; aber in demſel- ben Sinne, in welchem Sehen, Hören, Riechen über die Grän- zen der Vernunft geht. Thöricht iſt es, der Vernunft darüber einen Vorwurf zu machen, daß ſie nicht eine Forderung be- friedigt, die nur an die Sinne geſtellt werden kann. Daſein, empiriſches Daſein geben mir nur die Sinne. Und das Da- ſein hat bei der Frage von der Exiſtenz Gottes nicht die Be- deutung der innern Realität, der Wahrheit, ſondern die Bedeutung einer förmlichen, äußerlichen Exiſtenz. Darum hat auch volle Wahrheit die Behauptung, daß der Glaube, daß Gott ſei oder nicht ſei, keine Folgen für die inneren mora- liſchen Geſinnungen habe. Wohl begeiſtert der Gedanke: es iſt ein Gott; aber hier bedeutet das Iſt die innere Realität; hier iſt die Exiſtenz ein Moment der Begeiſterung, ein Act der Feuerbach. 18

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 273. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/291>, abgerufen am 01.05.2024.