Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

Bild:
<< vorherige Seite

Wahrheit eine nur illusorische, imaginäre -- eine Zeugung,
welcher die Bestimmtheit, durch welche die Zeugung Zeu-
gung
ist, abgeht, denn es fehlt die Geschlechtsdifferenz --
eine Zeugung also, welcher die Natur und Vernunft wi-
derspricht
, aber eben deßwegen, weil sie ein Widerspruch
ist, weil sie nichts Bestimmtes ausspricht, Nichts zu den-
ken
gibt, der Phantasie einen um so größern Spielraum läßt
und dadurch auf das Gemüth den Eindruck der Tiefe macht.
Gott ist Vater und Sohn -- Gott, denke nur! Gott. Der
Affect bemeistert sich des Gedankens; das Gefühl der Iden-
tität mit Gott setzt den Menschen vor Entzückung außer sich --
das Fernste wird mit dem Nächsten, das Andre mit dem
Eigensten, das Höchste mit dem Niedrigsten, das Ueberna-
türliche
mit dem Natürlichen bezeichnet, d. h. das Ueber-
natürliche als das Natürliche, das Göttliche als das
Menschliche
gesetzt, geläugnet, daß das Göttliche etwas
Andres
ist als das Menschliche. Aber diese Identität des
Göttlichen und Menschlichen wird sogleich wieder geläugnet:
was Gott mit dem Menschen gemein hat, das soll in Gott
etwas ganz Andres bedeuten als im Menschen -- so wird
das Eigene wieder zum Fremden, das Bekannte zum Unbe-
kannten, das Nächste zum Fernsten. Gott zeugt nicht, wie
die Natur, ist nicht Vater, nicht Sohn, wie wir -- nun wie
denn
? ja das ist eben das Unbegreifliche, das unaussprech-
lich Tiefe der göttlichen Zeugung. So setzt die Religion das
Natürliche, das Menschliche, was sie negirt, immer zuletzt
wieder in Gott, aber im Widerspruch mit dem Wesen des
Menschen, mit dem Wesen der Natur, weil es in Gott etwas
Andres sein soll, aber in Wahrheit doch nichts An-
dres ist.

Wahrheit eine nur illuſoriſche, imaginäre — eine Zeugung,
welcher die Beſtimmtheit, durch welche die Zeugung Zeu-
gung
iſt, abgeht, denn es fehlt die Geſchlechtsdifferenz —
eine Zeugung alſo, welcher die Natur und Vernunft wi-
derſpricht
, aber eben deßwegen, weil ſie ein Widerſpruch
iſt, weil ſie nichts Beſtimmtes ausſpricht, Nichts zu den-
ken
gibt, der Phantaſie einen um ſo größern Spielraum läßt
und dadurch auf das Gemüth den Eindruck der Tiefe macht.
Gott iſt Vater und Sohn — Gott, denke nur! Gott. Der
Affect bemeiſtert ſich des Gedankens; das Gefühl der Iden-
tität mit Gott ſetzt den Menſchen vor Entzückung außer ſich —
das Fernſte wird mit dem Nächſten, das Andre mit dem
Eigenſten, das Höchſte mit dem Niedrigſten, das Ueberna-
türliche
mit dem Natürlichen bezeichnet, d. h. das Ueber-
natürliche als das Natürliche, das Göttliche als das
Menſchliche
geſetzt, geläugnet, daß das Göttliche etwas
Andres
iſt als das Menſchliche. Aber dieſe Identität des
Göttlichen und Menſchlichen wird ſogleich wieder geläugnet:
was Gott mit dem Menſchen gemein hat, das ſoll in Gott
etwas ganz Andres bedeuten als im Menſchen — ſo wird
das Eigene wieder zum Fremden, das Bekannte zum Unbe-
kannten, das Nächſte zum Fernſten. Gott zeugt nicht, wie
die Natur, iſt nicht Vater, nicht Sohn, wie wir — nun wie
denn
? ja das iſt eben das Unbegreifliche, das unausſprech-
lich Tiefe der göttlichen Zeugung. So ſetzt die Religion das
Natürliche, das Menſchliche, was ſie negirt, immer zuletzt
wieder in Gott, aber im Widerſpruch mit dem Weſen des
Menſchen, mit dem Weſen der Natur, weil es in Gott etwas
Andres ſein ſoll, aber in Wahrheit doch nichts An-
dres iſt.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0321" n="303"/>
Wahrheit eine nur illu&#x017F;ori&#x017F;che, <hi rendition="#g">imaginäre</hi> &#x2014; eine Zeugung,<lb/>
welcher <hi rendition="#g">die</hi> Be&#x017F;timmtheit, durch welche die Zeugung <hi rendition="#g">Zeu-<lb/>
gung</hi> i&#x017F;t, abgeht, denn es fehlt die Ge&#x017F;chlechtsdifferenz &#x2014;<lb/>
eine Zeugung al&#x017F;o, welcher die <hi rendition="#g">Natur und Vernunft wi-<lb/>
der&#x017F;pricht</hi>, aber eben deßwegen, weil &#x017F;ie ein <hi rendition="#g">Wider&#x017F;pruch</hi><lb/>
i&#x017F;t, weil &#x017F;ie nichts <hi rendition="#g">Be&#x017F;timmtes</hi> aus&#x017F;pricht, <hi rendition="#g">Nichts zu den-<lb/>
ken</hi> gibt, der Phanta&#x017F;ie einen um &#x017F;o größern Spielraum läßt<lb/>
und dadurch auf das Gemüth den Eindruck der <hi rendition="#g">Tiefe</hi> macht.<lb/>
Gott i&#x017F;t <hi rendition="#g">Vater</hi> und <hi rendition="#g">Sohn</hi> &#x2014; Gott, denke nur! <hi rendition="#g">Gott</hi>. Der<lb/>
Affect <hi rendition="#g">bemei&#x017F;tert</hi> &#x017F;ich des Gedankens; das Gefühl der Iden-<lb/>
tität mit Gott &#x017F;etzt den Men&#x017F;chen vor Entzückung außer &#x017F;ich &#x2014;<lb/>
das <hi rendition="#g">Fern&#x017F;te</hi> wird mit dem <hi rendition="#g">Näch&#x017F;ten</hi>, das <hi rendition="#g">Andre</hi> mit dem<lb/><hi rendition="#g">Eigen&#x017F;ten</hi>, das Höch&#x017F;te mit dem Niedrig&#x017F;ten, das <hi rendition="#g">Ueberna-<lb/>
türliche</hi> mit dem <hi rendition="#g">Natürlichen</hi> bezeichnet, d. h. das Ueber-<lb/>
natürliche <hi rendition="#g">als das Natürliche</hi>, das Göttliche <hi rendition="#g">als das<lb/>
Men&#x017F;chliche</hi> ge&#x017F;etzt, geläugnet, daß das Göttliche <hi rendition="#g">etwas<lb/>
Andres</hi> i&#x017F;t als das Men&#x017F;chliche. Aber <hi rendition="#g">die&#x017F;e Identität</hi> des<lb/>
Göttlichen und Men&#x017F;chlichen wird &#x017F;ogleich wieder <hi rendition="#g">geläugnet</hi>:<lb/>
was Gott mit dem Men&#x017F;chen gemein hat, das &#x017F;oll in Gott<lb/>
etwas ganz Andres <hi rendition="#g">bedeuten</hi> als im Men&#x017F;chen &#x2014; &#x017F;o wird<lb/>
das Eigene wieder zum Fremden, das Bekannte zum Unbe-<lb/>
kannten, das Näch&#x017F;te zum Fern&#x017F;ten. Gott zeugt <hi rendition="#g">nicht</hi>, wie<lb/>
die Natur, i&#x017F;t <hi rendition="#g">nicht</hi> Vater, <hi rendition="#g">nicht</hi> Sohn, wie wir &#x2014; nun <hi rendition="#g">wie<lb/>
denn</hi>? ja das i&#x017F;t eben das Unbegreifliche, das unaus&#x017F;prech-<lb/>
lich Tiefe der göttlichen Zeugung. So &#x017F;etzt die Religion das<lb/>
Natürliche, das Men&#x017F;chliche, was &#x017F;ie negirt, immer zuletzt<lb/>
wieder in Gott, aber <hi rendition="#g">im Wider&#x017F;pruch</hi> mit dem We&#x017F;en des<lb/>
Men&#x017F;chen, mit dem We&#x017F;en der Natur, weil es in Gott etwas<lb/>
Andres <hi rendition="#g">&#x017F;ein &#x017F;oll</hi>, aber in Wahrheit doch <hi rendition="#g">nichts</hi> An-<lb/>
dres i&#x017F;t.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[303/0321] Wahrheit eine nur illuſoriſche, imaginäre — eine Zeugung, welcher die Beſtimmtheit, durch welche die Zeugung Zeu- gung iſt, abgeht, denn es fehlt die Geſchlechtsdifferenz — eine Zeugung alſo, welcher die Natur und Vernunft wi- derſpricht, aber eben deßwegen, weil ſie ein Widerſpruch iſt, weil ſie nichts Beſtimmtes ausſpricht, Nichts zu den- ken gibt, der Phantaſie einen um ſo größern Spielraum läßt und dadurch auf das Gemüth den Eindruck der Tiefe macht. Gott iſt Vater und Sohn — Gott, denke nur! Gott. Der Affect bemeiſtert ſich des Gedankens; das Gefühl der Iden- tität mit Gott ſetzt den Menſchen vor Entzückung außer ſich — das Fernſte wird mit dem Nächſten, das Andre mit dem Eigenſten, das Höchſte mit dem Niedrigſten, das Ueberna- türliche mit dem Natürlichen bezeichnet, d. h. das Ueber- natürliche als das Natürliche, das Göttliche als das Menſchliche geſetzt, geläugnet, daß das Göttliche etwas Andres iſt als das Menſchliche. Aber dieſe Identität des Göttlichen und Menſchlichen wird ſogleich wieder geläugnet: was Gott mit dem Menſchen gemein hat, das ſoll in Gott etwas ganz Andres bedeuten als im Menſchen — ſo wird das Eigene wieder zum Fremden, das Bekannte zum Unbe- kannten, das Nächſte zum Fernſten. Gott zeugt nicht, wie die Natur, iſt nicht Vater, nicht Sohn, wie wir — nun wie denn? ja das iſt eben das Unbegreifliche, das unausſprech- lich Tiefe der göttlichen Zeugung. So ſetzt die Religion das Natürliche, das Menſchliche, was ſie negirt, immer zuletzt wieder in Gott, aber im Widerſpruch mit dem Weſen des Menſchen, mit dem Weſen der Natur, weil es in Gott etwas Andres ſein ſoll, aber in Wahrheit doch nichts An- dres iſt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/321
Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 303. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/321>, abgerufen am 12.05.2024.