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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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sion der religiösen Einbildungskraft; denn das Ist im
Abendmahl ist selbst nur eine Einbildung, aber mit der Ein-
bildung, daß es keine Einbildung ist. Zwingli hat nur ein-
fach, nackt, prosaisch, rationalistisch, darum beleidigend ausge-
sprochen, was die Andern mystisch, indirect aussagten, in-
dem sie eingestanden *), daß nur von der würdigen Gesinnung
die Wirkung des Abendmahls abhängt, d. h. daß nur für
den Brot und Wein das Fleisch und Blut des Herrn, der
Herr selbst sind, für welchen sie die übernatürliche Bedeutung
des göttlichen Leibes haben, denn nur davon hängt die wür-
dige Gesinnung, der religiöse Affect ab.

Wenn aber das Abendmahl nichts wirkt, folglich nichts
ist -- denn nur was wirkt, ist -- ohne die Gesinnung, ohne
den Glauben, so liegt in diesen allein die Realität desselben;
die ganze Begebenheit geht im Gemüthe vor sich. Wirkt auch
die Vorstellung, daß ich hier den wirklichen Leib des Heilands
empfange, auf das religiöse Gemüth, so stammt doch selbst
wieder diese Vorstellung aus dem Gemüthe; sie bewirkt nur
fromme Gesinnungen, wenn und weil sie selbst schon eine
fromme Vorstellung ist. So wird also auch hier das reli-
giöse Subject von sich selbst als wie von einem andern
Wesen vermittelst der Vorstellung eines eingebilde-
ten Objects afficirt
. Ich könnte daher recht gut auch
ohne Vermittlung von Wein und Wort, ohne alle kirchliche
Ceremonie in mir selbst, in der Einbildung die Handlung des
Abendmahls vollbringen. Es gibt unzählige fromme Gedichte,

*) Selbst auch die Katholiken. Hujus sacramenti effectus, quem
in anima operatur digne sumentis, est adunatio hominis ad Christum
Concil. Florent. de S. Euchar.

ſion der religiöſen Einbildungskraft; denn das Iſt im
Abendmahl iſt ſelbſt nur eine Einbildung, aber mit der Ein-
bildung, daß es keine Einbildung iſt. Zwingli hat nur ein-
fach, nackt, proſaiſch, rationaliſtiſch, darum beleidigend ausge-
ſprochen, was die Andern myſtiſch, indirect ausſagten, in-
dem ſie eingeſtanden *), daß nur von der würdigen Geſinnung
die Wirkung des Abendmahls abhängt, d. h. daß nur für
den Brot und Wein das Fleiſch und Blut des Herrn, der
Herr ſelbſt ſind, für welchen ſie die übernatürliche Bedeutung
des göttlichen Leibes haben, denn nur davon hängt die wür-
dige Geſinnung, der religiöſe Affect ab.

Wenn aber das Abendmahl nichts wirkt, folglich nichts
iſt — denn nur was wirkt, iſt — ohne die Geſinnung, ohne
den Glauben, ſo liegt in dieſen allein die Realität deſſelben;
die ganze Begebenheit geht im Gemüthe vor ſich. Wirkt auch
die Vorſtellung, daß ich hier den wirklichen Leib des Heilands
empfange, auf das religiöſe Gemüth, ſo ſtammt doch ſelbſt
wieder dieſe Vorſtellung aus dem Gemüthe; ſie bewirkt nur
fromme Geſinnungen, wenn und weil ſie ſelbſt ſchon eine
fromme Vorſtellung iſt. So wird alſo auch hier das reli-
giöſe Subject von ſich ſelbſt als wie von einem andern
Weſen vermittelſt der Vorſtellung eines eingebilde-
ten Objects afficirt
. Ich könnte daher recht gut auch
ohne Vermittlung von Wein und Wort, ohne alle kirchliche
Ceremonie in mir ſelbſt, in der Einbildung die Handlung des
Abendmahls vollbringen. Es gibt unzählige fromme Gedichte,

*) Selbſt auch die Katholiken. Hujus sacramenti effectus, quem
in anima operatur digne sumentis, est adunatio hominis ad Christum
Concil. Florent. de S. Euchar.
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[333/0351] ſion der religiöſen Einbildungskraft; denn das Iſt im Abendmahl iſt ſelbſt nur eine Einbildung, aber mit der Ein- bildung, daß es keine Einbildung iſt. Zwingli hat nur ein- fach, nackt, proſaiſch, rationaliſtiſch, darum beleidigend ausge- ſprochen, was die Andern myſtiſch, indirect ausſagten, in- dem ſie eingeſtanden *), daß nur von der würdigen Geſinnung die Wirkung des Abendmahls abhängt, d. h. daß nur für den Brot und Wein das Fleiſch und Blut des Herrn, der Herr ſelbſt ſind, für welchen ſie die übernatürliche Bedeutung des göttlichen Leibes haben, denn nur davon hängt die wür- dige Geſinnung, der religiöſe Affect ab. Wenn aber das Abendmahl nichts wirkt, folglich nichts iſt — denn nur was wirkt, iſt — ohne die Geſinnung, ohne den Glauben, ſo liegt in dieſen allein die Realität deſſelben; die ganze Begebenheit geht im Gemüthe vor ſich. Wirkt auch die Vorſtellung, daß ich hier den wirklichen Leib des Heilands empfange, auf das religiöſe Gemüth, ſo ſtammt doch ſelbſt wieder dieſe Vorſtellung aus dem Gemüthe; ſie bewirkt nur fromme Geſinnungen, wenn und weil ſie ſelbſt ſchon eine fromme Vorſtellung iſt. So wird alſo auch hier das reli- giöſe Subject von ſich ſelbſt als wie von einem andern Weſen vermittelſt der Vorſtellung eines eingebilde- ten Objects afficirt. Ich könnte daher recht gut auch ohne Vermittlung von Wein und Wort, ohne alle kirchliche Ceremonie in mir ſelbſt, in der Einbildung die Handlung des Abendmahls vollbringen. Es gibt unzählige fromme Gedichte, *) Selbſt auch die Katholiken. Hujus sacramenti effectus, quem in anima operatur digne sumentis, est adunatio hominis ad Christum Concil. Florent. de S. Euchar.

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 333. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/351>, abgerufen am 29.04.2024.