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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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wahrhaft, so wie es die Wahrheit gebietet, wenn ich sie
durch sich selbst begründe. Etwas in Gott setzen oder aus
Gott ableiten, das heißt nichts weiter als etwas der prüfenden
Vernunft entziehen, ohne Rechenschaft abzulegen, als etwas
Unbezweifelbares, Unverletzliches, Heiliges hinstellen. Selbst-
verblendung, wo nicht selbst böse, hinterlistige Absicht, liegt
darum allen Begründungen der Moral, des Rechts durch die
Theologie zu Grunde. Wo es Ernst mit dem Recht ist, be-
dürfen wir keiner Anfeuerung und Unterstützung von Oben
her. Wir brauchen keine christlichen Könige; wir brauchen
nur Könige, die Könige sind, groß gesinnt, gerecht und
weise*). Das Richtige, Wahre, Gute hat überall seinen Hei-
ligungsgrund in sich selbst, in seiner Qualität
. Wo
es Ernst mit der Ethik ist, da gilt sie eben an und für sich
selbst für eine göttliche Macht. Für das Volk mag sich aller-
dings der Bestand der ethischen und rechtlichen Verhältnisse an
den Bestand der positiven Religion knüpfen, aber nur dann,
wann die religiösen Bestimmungen, die Bestimmungen Gottes
selbst sittliche Bestimmungen sind. So kommen wir immer
wieder auf die Begründung des Rechts, der Ethik durch sich
selbst. Hat die Moral keinen Grund in sich selbst, so gibt es
auch keine innere Nothwendigkeit zur Moral; die Moral ist
dann der bodenlosen Willkühr der Religion preis gegeben.

Es handelt sich also im Verhältniß der selbstbewußten
Vernunft zur Religion nur um die Vernichtung einer Illu-
sion
-- einer Illusion aber, die keineswegs indifferent ist,

*) Es ist der größte Widerspruch mit dem Christenthum, das Kö-
nightum aus dem Christenthum abzuleiten. Der wahre Christ singt viel-
mehr mit Asmus: "Ich danke Gott, daß ich nicht König worden
bin."

wahrhaft, ſo wie es die Wahrheit gebietet, wenn ich ſie
durch ſich ſelbſt begründe. Etwas in Gott ſetzen oder aus
Gott ableiten, das heißt nichts weiter als etwas der prüfenden
Vernunft entziehen, ohne Rechenſchaft abzulegen, als etwas
Unbezweifelbares, Unverletzliches, Heiliges hinſtellen. Selbſt-
verblendung, wo nicht ſelbſt böſe, hinterliſtige Abſicht, liegt
darum allen Begründungen der Moral, des Rechts durch die
Theologie zu Grunde. Wo es Ernſt mit dem Recht iſt, be-
dürfen wir keiner Anfeuerung und Unterſtützung von Oben
her. Wir brauchen keine chriſtlichen Könige; wir brauchen
nur Könige, die Könige ſind, groß geſinnt, gerecht und
weiſe*). Das Richtige, Wahre, Gute hat überall ſeinen Hei-
ligungsgrund in ſich ſelbſt, in ſeiner Qualität
. Wo
es Ernſt mit der Ethik iſt, da gilt ſie eben an und für ſich
ſelbſt für eine göttliche Macht. Für das Volk mag ſich aller-
dings der Beſtand der ethiſchen und rechtlichen Verhältniſſe an
den Beſtand der poſitiven Religion knüpfen, aber nur dann,
wann die religiöſen Beſtimmungen, die Beſtimmungen Gottes
ſelbſt ſittliche Beſtimmungen ſind. So kommen wir immer
wieder auf die Begründung des Rechts, der Ethik durch ſich
ſelbſt. Hat die Moral keinen Grund in ſich ſelbſt, ſo gibt es
auch keine innere Nothwendigkeit zur Moral; die Moral iſt
dann der bodenloſen Willkühr der Religion preis gegeben.

Es handelt ſich alſo im Verhältniß der ſelbſtbewußten
Vernunft zur Religion nur um die Vernichtung einer Illu-
ſion
— einer Illuſion aber, die keineswegs indifferent iſt,

*) Es iſt der größte Widerſpruch mit dem Chriſtenthum, das Kö-
nightum aus dem Chriſtenthum abzuleiten. Der wahre Chriſt ſingt viel-
mehr mit Asmus: „Ich danke Gott, daß ich nicht König worden
bin.“
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[375/0393] wahrhaft, ſo wie es die Wahrheit gebietet, wenn ich ſie durch ſich ſelbſt begründe. Etwas in Gott ſetzen oder aus Gott ableiten, das heißt nichts weiter als etwas der prüfenden Vernunft entziehen, ohne Rechenſchaft abzulegen, als etwas Unbezweifelbares, Unverletzliches, Heiliges hinſtellen. Selbſt- verblendung, wo nicht ſelbſt böſe, hinterliſtige Abſicht, liegt darum allen Begründungen der Moral, des Rechts durch die Theologie zu Grunde. Wo es Ernſt mit dem Recht iſt, be- dürfen wir keiner Anfeuerung und Unterſtützung von Oben her. Wir brauchen keine chriſtlichen Könige; wir brauchen nur Könige, die Könige ſind, groß geſinnt, gerecht und weiſe *). Das Richtige, Wahre, Gute hat überall ſeinen Hei- ligungsgrund in ſich ſelbſt, in ſeiner Qualität. Wo es Ernſt mit der Ethik iſt, da gilt ſie eben an und für ſich ſelbſt für eine göttliche Macht. Für das Volk mag ſich aller- dings der Beſtand der ethiſchen und rechtlichen Verhältniſſe an den Beſtand der poſitiven Religion knüpfen, aber nur dann, wann die religiöſen Beſtimmungen, die Beſtimmungen Gottes ſelbſt ſittliche Beſtimmungen ſind. So kommen wir immer wieder auf die Begründung des Rechts, der Ethik durch ſich ſelbſt. Hat die Moral keinen Grund in ſich ſelbſt, ſo gibt es auch keine innere Nothwendigkeit zur Moral; die Moral iſt dann der bodenloſen Willkühr der Religion preis gegeben. Es handelt ſich alſo im Verhältniß der ſelbſtbewußten Vernunft zur Religion nur um die Vernichtung einer Illu- ſion — einer Illuſion aber, die keineswegs indifferent iſt, *) Es iſt der größte Widerſpruch mit dem Chriſtenthum, das Kö- nightum aus dem Chriſtenthum abzuleiten. Der wahre Chriſt ſingt viel- mehr mit Asmus: „Ich danke Gott, daß ich nicht König worden bin.“

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 375. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/393>, abgerufen am 27.04.2024.