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Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808.

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In wem nun jene höheren Anforderungen
an das Leben, nebst dem Gefühle ihres gött¬
lichen Rechts, dennoch lebendig und kräftig
bleiben, der fühlt mit tiefem Unwillen sich zu¬
rükgedrängt in jene ersten Zeiten des Christen¬
thums, zu denen gesagt ist: "Ihr sollt nicht
"widerstreben dem Uebel, sondern, so dir je¬
"mand einen Streich giebt auf den rechten
"Bakken, dem biete den andern auch dar, und
"so jemand deinen Rok nehmen will, dem laß
"auch den Mantel;" mit Recht das lezte, denn
so lange er noch einen Mantel an dir sieht, sucht
er einen Handel an dich, um dir auch diesen zu
nehmen, erst wie du ganz nakkend bist, entgehst
du seiner Aufmerksamkeit und hast vor ihm
Ruhe. Eben sein höherer Sinn, der ihn ehrt,
macht ihm die Erde zur Hölle, und zum Ekel,
er wünscht, nicht geboren zu seyn, er wünscht,
daß sein Auge je eher je lieber sich dem Anblicke
des Tages verschließe, unversiegbare Trauer
bis an das Grab erfaßt seine Tage; dem, was
ihm lieb ist, kann er keine bessere Gabe wün¬
schen, denn einen dumpfen, und genügsamen
Sinn, damit es mit weniger Schmerz einem

In wem nun jene hoͤheren Anforderungen
an das Leben, nebſt dem Gefuͤhle ihres goͤtt¬
lichen Rechts, dennoch lebendig und kraͤftig
bleiben, der fuͤhlt mit tiefem Unwillen ſich zu¬
ruͤkgedraͤngt in jene erſten Zeiten des Chriſten¬
thums, zu denen geſagt iſt: „Ihr ſollt nicht
„widerſtreben dem Uebel, ſondern, ſo dir je¬
„mand einen Streich giebt auf den rechten
„Bakken, dem biete den andern auch dar, und
„ſo jemand deinen Rok nehmen will, dem laß
„auch den Mantel;“ mit Recht das lezte, denn
ſo lange er noch einen Mantel an dir ſieht, ſucht
er einen Handel an dich, um dir auch dieſen zu
nehmen, erſt wie du ganz nakkend biſt, entgehſt
du ſeiner Aufmerkſamkeit und haſt vor ihm
Ruhe. Eben ſein hoͤherer Sinn, der ihn ehrt,
macht ihm die Erde zur Hoͤlle, und zum Ekel,
er wuͤnſcht, nicht geboren zu ſeyn, er wuͤnſcht,
daß ſein Auge je eher je lieber ſich dem Anblicke
des Tages verſchließe, unverſiegbare Trauer
bis an das Grab erfaßt ſeine Tage; dem, was
ihm lieb iſt, kann er keine beſſere Gabe wuͤn¬
ſchen, denn einen dumpfen, und genuͤgſamen
Sinn, damit es mit weniger Schmerz einem

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[279/0285] In wem nun jene hoͤheren Anforderungen an das Leben, nebſt dem Gefuͤhle ihres goͤtt¬ lichen Rechts, dennoch lebendig und kraͤftig bleiben, der fuͤhlt mit tiefem Unwillen ſich zu¬ ruͤkgedraͤngt in jene erſten Zeiten des Chriſten¬ thums, zu denen geſagt iſt: „Ihr ſollt nicht „widerſtreben dem Uebel, ſondern, ſo dir je¬ „mand einen Streich giebt auf den rechten „Bakken, dem biete den andern auch dar, und „ſo jemand deinen Rok nehmen will, dem laß „auch den Mantel;“ mit Recht das lezte, denn ſo lange er noch einen Mantel an dir ſieht, ſucht er einen Handel an dich, um dir auch dieſen zu nehmen, erſt wie du ganz nakkend biſt, entgehſt du ſeiner Aufmerkſamkeit und haſt vor ihm Ruhe. Eben ſein hoͤherer Sinn, der ihn ehrt, macht ihm die Erde zur Hoͤlle, und zum Ekel, er wuͤnſcht, nicht geboren zu ſeyn, er wuͤnſcht, daß ſein Auge je eher je lieber ſich dem Anblicke des Tages verſchließe, unverſiegbare Trauer bis an das Grab erfaßt ſeine Tage; dem, was ihm lieb iſt, kann er keine beſſere Gabe wuͤn¬ ſchen, denn einen dumpfen, und genuͤgſamen Sinn, damit es mit weniger Schmerz einem

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Zitationshilfe: Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808, S. 279. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/285>, abgerufen am 29.04.2024.