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Fichte, Johann Gottlieb: Über den Begriff der Wissenschaftslehre oder der sogenannten Philosophie. Weimar, 1794.

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in seiner Kritik der Urtheilskraft, gestanden, die
er uns aber nie bestimmt, und als die letzte Grenze
des endlichen Wissens angegeben hat. Er weiss
es, dass er nie etwas wird sagen können, worauf
nicht schon Kant, unmittelbar oder mittelbar, deut-
licher oder dunkler gedeutet habe. Er überlässt
e[s] den zukünftigen Zeitaltern das Genie des Man-
nes zu ergründen, der von dem Standpunkte aus,
auf welchem er die philosophierende Urtheilskraft
fand, oft wie durch höhere Eingebung geleitet,
sie so gewaltig gegen ihr letztes Ziel hinriss. --
Er ist eben so innig überzeugt, dass nach dem ge-
nialischen Geiste Kants der Philosophie kein höhe-
res Geschenk gemacht werden konnte, als durch
den systematischen Geist Reinholds; und er glaubt
den ehrenvollen Platz zu kennen, welchen die Ele-
mentar-Philosophie des letztern, bey den weitern
Vorschriften, die die Philosophie, an wessen Hand
es auch sey, nothwendig machen muss, dennoch
immer behaupten wird. Es ist nicht in seiner Den-
kungsart irgend ein Verdienst muthwillig zu ver-
kennen, oder es verkleinern zu wollen; er glaubt
einzusehen, dass jede Stuffe, die die Wissenschaft
je bestiegen hat, erst bestiegen seyn musste, ehe sie
eine höhere betreten konnte; er hält es wahrhaf-
tig nicht für persönliches Verdienst durch einen
glücklichen Zufall nach vortreflichen Arbeitern an
die Arbeit gerufen zu werden; und er weiss, dass

alles

in ſeiner Kritik der Urtheilskraft, geſtanden, die
er uns aber nie beſtimmt, und als die letzte Grenze
des endlichen Wiſſens angegeben hat. Er weiſs
es, daſs er nie etwas wird ſagen können, worauf
nicht ſchon Kant, unmittelbar oder mittelbar, deut-
licher oder dunkler gedeutet habe. Er überläſst
e[s] den zukünftigen Zeitaltern das Genie des Man-
nes zu ergründen, der von dem Standpunkte aus,
auf welchem er die philoſophierende Urtheilskraft
fand, oft wie durch höhere Eingebung geleitet,
ſie ſo gewaltig gegen ihr letztes Ziel hinriſs. —
Er iſt eben ſo innig überzeugt, daſs nach dem ge-
nialiſchen Geiſte Kants der Philoſophie kein höhe-
res Geſchenk gemacht werden konnte, als durch
den ſyſtematiſchen Geiſt Reinholds; und er glaubt
den ehrenvollen Platz zu kennen, welchen die Ele-
mentar-Philoſophie des letztern, bey den weitern
Vorſchriften, die die Philoſophie, an weſſen Hand
es auch ſey, nothwendig machen muſs, dennoch
immer behaupten wird. Es iſt nicht in ſeiner Den-
kungsart irgend ein Verdienſt muthwillig zu ver-
kennen, oder es verkleinern zu wollen; er glaubt
einzuſehen, daſs jede Stuffe, die die Wiſſenſchaft
je beſtiegen hat, erſt beſtiegen ſeyn muſste, ehe ſie
eine höhere betreten konnte; er hält es wahrhaf-
tig nicht für perſönliches Verdienſt durch einen
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[VI/0014] in ſeiner Kritik der Urtheilskraft, geſtanden, die er uns aber nie beſtimmt, und als die letzte Grenze des endlichen Wiſſens angegeben hat. Er weiſs es, daſs er nie etwas wird ſagen können, worauf nicht ſchon Kant, unmittelbar oder mittelbar, deut- licher oder dunkler gedeutet habe. Er überläſst es den zukünftigen Zeitaltern das Genie des Man- nes zu ergründen, der von dem Standpunkte aus, auf welchem er die philoſophierende Urtheilskraft fand, oft wie durch höhere Eingebung geleitet, ſie ſo gewaltig gegen ihr letztes Ziel hinriſs. — Er iſt eben ſo innig überzeugt, daſs nach dem ge- nialiſchen Geiſte Kants der Philoſophie kein höhe- res Geſchenk gemacht werden konnte, als durch den ſyſtematiſchen Geiſt Reinholds; und er glaubt den ehrenvollen Platz zu kennen, welchen die Ele- mentar-Philoſophie des letztern, bey den weitern Vorſchriften, die die Philoſophie, an weſſen Hand es auch ſey, nothwendig machen muſs, dennoch immer behaupten wird. Es iſt nicht in ſeiner Den- kungsart irgend ein Verdienſt muthwillig zu ver- kennen, oder es verkleinern zu wollen; er glaubt einzuſehen, daſs jede Stuffe, die die Wiſſenſchaft je beſtiegen hat, erſt beſtiegen ſeyn muſste, ehe ſie eine höhere betreten konnte; er hält es wahrhaf- tig nicht für perſönliches Verdienſt durch einen glücklichen Zufall nach vortreflichen Arbeitern an die Arbeit gerufen zu werden; und er weiſs, daſs alles

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Zitationshilfe: Fichte, Johann Gottlieb: Über den Begriff der Wissenschaftslehre oder der sogenannten Philosophie. Weimar, 1794, S. VI. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_wissenschaftslehre_1794/14>, abgerufen am 28.04.2024.