Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fiedler, Konrad: Der Ursprung der künstlerischen Thätigkeit. Leipzig, 1887.

Bild:
<< vorherige Seite

zu erheben, genöthigt, das Gebiet des Tastsinnes zu ver¬
lassen und uns auf das Gebiet der Sprach- und Begriffs¬
bildung zu begeben. Es ist klar, daß durch die Bildung
von Begriffen, mit denen wir ein durch den Tastsinn
Wahrnehmbares bezeichnen, an den Zuständen, auf denen
überhaupt unsere Wahrnehmung von Tastbarem beruht,
keine Veränderung stattfindet. Sobald wir uns von dem
Vorurtheil frei machen, daß es eine Vorstellung des Tast¬
sinnes sei, welche sich als Wort, als Begriff darstelle, so
werden wir inne werden, daß wir auf dem eigenen Gebiet
des Tastsinnes nach wie vor nichts anderes besitzen, als
was eben der Tastsinn liefern kann, Empfindungen und
Wahrnehmungen, aber keine Ausdrucksform, in der sich das
Vorhandensein von gestalteten Tastvorstellungen nachweisen
ließe. Nehmen wir irgend ein Wort, welches uns als
Ausdruck von etwas dient, was uns gar nicht zum Be¬
wußtsein kommen könnte, wenn wir nicht die Fähigkeit der
Tastempfindung besäßen, prüfen wir, was nun eigentlich
in dem Worte, welches ja selbst kein Gegenstand des Tast¬
sinns sein kann, an dem Gebiet des Tastsinnes zugehörigem
Stoff vorhanden ist, so finden wir durchaus nichts anderes
als ziemlich undeutliche und schwache Reminiscenzen an
Tastempfindungen und Tastwahrnehmungen, die sich mit
dem Wort in wechselnder und willkürlicher Weise associiren.
Wie weit man davon entfernt ist, in der sprachlichen Be¬
zeichnung eine Tastvorstellung realisiren zu können, zeigt
sich darin, daß in ihr die unmittelbare sinnliche Gewi߬
heit der Tastbarkeit anstatt gesteigert und entwickelt, abge¬

zu erheben, genöthigt, das Gebiet des Taſtſinnes zu ver¬
laſſen und uns auf das Gebiet der Sprach- und Begriffs¬
bildung zu begeben. Es iſt klar, daß durch die Bildung
von Begriffen, mit denen wir ein durch den Taſtſinn
Wahrnehmbares bezeichnen, an den Zuſtänden, auf denen
überhaupt unſere Wahrnehmung von Taſtbarem beruht,
keine Veränderung ſtattfindet. Sobald wir uns von dem
Vorurtheil frei machen, daß es eine Vorſtellung des Taſt¬
ſinnes ſei, welche ſich als Wort, als Begriff darſtelle, ſo
werden wir inne werden, daß wir auf dem eigenen Gebiet
des Taſtſinnes nach wie vor nichts anderes beſitzen, als
was eben der Taſtſinn liefern kann, Empfindungen und
Wahrnehmungen, aber keine Ausdrucksform, in der ſich das
Vorhandenſein von geſtalteten Taſtvorſtellungen nachweiſen
ließe. Nehmen wir irgend ein Wort, welches uns als
Ausdruck von etwas dient, was uns gar nicht zum Be¬
wußtſein kommen könnte, wenn wir nicht die Fähigkeit der
Taſtempfindung beſäßen, prüfen wir, was nun eigentlich
in dem Worte, welches ja ſelbſt kein Gegenſtand des Taſt¬
ſinns ſein kann, an dem Gebiet des Taſtſinnes zugehörigem
Stoff vorhanden iſt, ſo finden wir durchaus nichts anderes
als ziemlich undeutliche und ſchwache Reminiscenzen an
Taſtempfindungen und Taſtwahrnehmungen, die ſich mit
dem Wort in wechſelnder und willkürlicher Weiſe aſſociiren.
Wie weit man davon entfernt iſt, in der ſprachlichen Be¬
zeichnung eine Taſtvorſtellung realiſiren zu können, zeigt
ſich darin, daß in ihr die unmittelbare ſinnliche Gewi߬
heit der Taſtbarkeit anſtatt geſteigert und entwickelt, abge¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0089" n="77"/>
zu erheben, genöthigt, das Gebiet des Ta&#x017F;t&#x017F;innes zu ver¬<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en und uns auf das Gebiet der Sprach- und Begriffs¬<lb/>
bildung zu begeben. Es i&#x017F;t klar, daß durch die Bildung<lb/>
von Begriffen, mit denen wir ein durch den Ta&#x017F;t&#x017F;inn<lb/>
Wahrnehmbares bezeichnen, an den Zu&#x017F;tänden, auf denen<lb/>
überhaupt un&#x017F;ere Wahrnehmung von Ta&#x017F;tbarem beruht,<lb/>
keine Veränderung &#x017F;tattfindet. Sobald wir uns von dem<lb/>
Vorurtheil frei machen, daß es eine Vor&#x017F;tellung des Ta&#x017F;<lb/>
&#x017F;innes &#x017F;ei, welche &#x017F;ich als Wort, als Begriff dar&#x017F;telle, &#x017F;o<lb/>
werden wir inne werden, daß wir auf dem eigenen Gebiet<lb/>
des Ta&#x017F;t&#x017F;innes nach wie vor nichts anderes be&#x017F;itzen, als<lb/>
was eben der Ta&#x017F;t&#x017F;inn liefern kann, Empfindungen und<lb/>
Wahrnehmungen, aber keine Ausdrucksform, in der &#x017F;ich das<lb/>
Vorhanden&#x017F;ein von ge&#x017F;talteten Ta&#x017F;tvor&#x017F;tellungen nachwei&#x017F;en<lb/>
ließe. Nehmen wir irgend ein Wort, welches uns als<lb/>
Ausdruck von etwas dient, was uns gar nicht zum Be¬<lb/>
wußt&#x017F;ein kommen könnte, wenn wir nicht die Fähigkeit der<lb/>
Ta&#x017F;tempfindung be&#x017F;äßen, prüfen wir, was nun eigentlich<lb/>
in dem Worte, welches ja &#x017F;elb&#x017F;t kein Gegen&#x017F;tand des Ta&#x017F;<lb/>
&#x017F;inns &#x017F;ein kann, an dem Gebiet des Ta&#x017F;t&#x017F;innes zugehörigem<lb/>
Stoff vorhanden i&#x017F;t, &#x017F;o finden wir durchaus nichts anderes<lb/>
als ziemlich undeutliche und &#x017F;chwache Reminiscenzen an<lb/>
Ta&#x017F;tempfindungen und Ta&#x017F;twahrnehmungen, die &#x017F;ich mit<lb/>
dem Wort in wech&#x017F;elnder und willkürlicher Wei&#x017F;e a&#x017F;&#x017F;ociiren.<lb/>
Wie weit man davon entfernt i&#x017F;t, in der &#x017F;prachlichen Be¬<lb/>
zeichnung eine Ta&#x017F;tvor&#x017F;tellung reali&#x017F;iren zu können, zeigt<lb/>
&#x017F;ich darin, daß in ihr die unmittelbare &#x017F;innliche Gewi߬<lb/>
heit der Ta&#x017F;tbarkeit an&#x017F;tatt ge&#x017F;teigert und entwickelt, abge¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[77/0089] zu erheben, genöthigt, das Gebiet des Taſtſinnes zu ver¬ laſſen und uns auf das Gebiet der Sprach- und Begriffs¬ bildung zu begeben. Es iſt klar, daß durch die Bildung von Begriffen, mit denen wir ein durch den Taſtſinn Wahrnehmbares bezeichnen, an den Zuſtänden, auf denen überhaupt unſere Wahrnehmung von Taſtbarem beruht, keine Veränderung ſtattfindet. Sobald wir uns von dem Vorurtheil frei machen, daß es eine Vorſtellung des Taſt¬ ſinnes ſei, welche ſich als Wort, als Begriff darſtelle, ſo werden wir inne werden, daß wir auf dem eigenen Gebiet des Taſtſinnes nach wie vor nichts anderes beſitzen, als was eben der Taſtſinn liefern kann, Empfindungen und Wahrnehmungen, aber keine Ausdrucksform, in der ſich das Vorhandenſein von geſtalteten Taſtvorſtellungen nachweiſen ließe. Nehmen wir irgend ein Wort, welches uns als Ausdruck von etwas dient, was uns gar nicht zum Be¬ wußtſein kommen könnte, wenn wir nicht die Fähigkeit der Taſtempfindung beſäßen, prüfen wir, was nun eigentlich in dem Worte, welches ja ſelbſt kein Gegenſtand des Taſt¬ ſinns ſein kann, an dem Gebiet des Taſtſinnes zugehörigem Stoff vorhanden iſt, ſo finden wir durchaus nichts anderes als ziemlich undeutliche und ſchwache Reminiscenzen an Taſtempfindungen und Taſtwahrnehmungen, die ſich mit dem Wort in wechſelnder und willkürlicher Weiſe aſſociiren. Wie weit man davon entfernt iſt, in der ſprachlichen Be¬ zeichnung eine Taſtvorſtellung realiſiren zu können, zeigt ſich darin, daß in ihr die unmittelbare ſinnliche Gewi߬ heit der Taſtbarkeit anſtatt geſteigert und entwickelt, abge¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fiedler_kuenstlerische_1887
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fiedler_kuenstlerische_1887/89
Zitationshilfe: Fiedler, Konrad: Der Ursprung der künstlerischen Thätigkeit. Leipzig, 1887, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fiedler_kuenstlerische_1887/89>, abgerufen am 30.04.2024.