Kauf oder Tausch oder Erbschaft an die Rohr und die Jürgaß überging. Das war ohngefähr zu Anfang des vorigen Jahrhun- derts und das Dorf nahm allmälig den Charakter eines zweige- theilten Besitzes an. Diesen Charakter hat es sich bis diesen Tag in einer so markanten und zugleich so malerischen Weise gewahrt, wie mir kein zweites Beispiel in der Grafschaft bekannt geworden ist.
Wir halten vor der breiten Dorfgasse und schwanken, ob wir unser Fuhrwerk nach links oder rechts lenken sollen, denn einander gegenüber stehen zwei Krugwirthschaften, beide mit dem üblichen Vorbau, beide mit Stehkrippen und beide mit einem Wirth in der Thür. Wir entscheiden uns endlich für links und sind, ohne es zu wissen, auf der Rohr'schen Seite gelandet.
Die Dorfgasse macht die Grenze, was links liegt, ist alter Rohr'scher, was rechts liegt, alter Jürgaß'scher Besitz. Jede Seite hat ihren Krug, ihr Herrenhaus, ihren Park, nur die Dorfgasse ist das Gemeinschaftliche und Kirche und Kirchhof.
Wir haben im Krug ein Gespräch angeknüpft und über die beiden alten Herren von Jürgaß (es waren zwei Brüder) zu plau- dern gesucht, die nun seit zwanzig Jahren und drüber das Zeit- liche gesegnet haben, aber sei es, daß unser Wirth, als "Rohr- scher," sich um die Jürgasse von drüben niemals recht gekümmert hat, oder sei es, daß 25 Aussaaten und Erndten, die zwischen jetzt und damals liegen, die Bilder der beiden alten Herren in seiner Erinnerung abgeblaßt haben, gleichviel, seine Mittheilungen beschränken sich darauf, "dat de een en beten streng wör" und "dat de anner et ümmer weer good machen un 'nen Daler gewen däht, wenn de Broder to streng west wor." "Aber -- so schloß er -- he däht et so, dat de Broder nischt merken kunnt."
Wir verabschieden uns nun und treten in die malerische Dorf- gasse hinaus. Prächtige alte Bäume: Pappeln und Eichen, Kasta- nien und Rüstern, dazwischen Ebreschenbäume mit ihren lachenden rothen Beeren, fassen den Weg ein und geben Schatten. Links vom Wege, von hohen Ulmen und Linden rings umstellt, schim- mern die weißen Wände des alten Rohrschen Herrenhauses zu uns
Kauf oder Tauſch oder Erbſchaft an die Rohr und die Jürgaß überging. Das war ohngefähr zu Anfang des vorigen Jahrhun- derts und das Dorf nahm allmälig den Charakter eines zweige- theilten Beſitzes an. Dieſen Charakter hat es ſich bis dieſen Tag in einer ſo markanten und zugleich ſo maleriſchen Weiſe gewahrt, wie mir kein zweites Beiſpiel in der Grafſchaft bekannt geworden iſt.
Wir halten vor der breiten Dorfgaſſe und ſchwanken, ob wir unſer Fuhrwerk nach links oder rechts lenken ſollen, denn einander gegenüber ſtehen zwei Krugwirthſchaften, beide mit dem üblichen Vorbau, beide mit Stehkrippen und beide mit einem Wirth in der Thür. Wir entſcheiden uns endlich für links und ſind, ohne es zu wiſſen, auf der Rohr’ſchen Seite gelandet.
Die Dorfgaſſe macht die Grenze, was links liegt, iſt alter Rohr’ſcher, was rechts liegt, alter Jürgaß’ſcher Beſitz. Jede Seite hat ihren Krug, ihr Herrenhaus, ihren Park, nur die Dorfgaſſe iſt das Gemeinſchaftliche und Kirche und Kirchhof.
Wir haben im Krug ein Geſpräch angeknüpft und über die beiden alten Herren von Jürgaß (es waren zwei Brüder) zu plau- dern geſucht, die nun ſeit zwanzig Jahren und drüber das Zeit- liche geſegnet haben, aber ſei es, daß unſer Wirth, als „Rohr- ſcher,“ ſich um die Jürgaſſe von drüben niemals recht gekümmert hat, oder ſei es, daß 25 Ausſaaten und Erndten, die zwiſchen jetzt und damals liegen, die Bilder der beiden alten Herren in ſeiner Erinnerung abgeblaßt haben, gleichviel, ſeine Mittheilungen beſchränken ſich darauf, „dat de een en beten ſtreng wör“ und „dat de anner et ümmer weer good machen un ’nen Daler gewen däht, wenn de Broder to ſtreng weſt wor.“ „Aber — ſo ſchloß er — he däht et ſo, dat de Broder niſcht merken kunnt.“
Wir verabſchieden uns nun und treten in die maleriſche Dorf- gaſſe hinaus. Prächtige alte Bäume: Pappeln und Eichen, Kaſta- nien und Rüſtern, dazwiſchen Ebreſchenbäume mit ihren lachenden rothen Beeren, faſſen den Weg ein und geben Schatten. Links vom Wege, von hohen Ulmen und Linden rings umſtellt, ſchim- mern die weißen Wände des alten Rohrſchen Herrenhauſes zu uns
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Kauf oder Tauſch oder Erbſchaft an die Rohr und die Jürgaß
überging. Das war ohngefähr zu Anfang des vorigen Jahrhun-
derts und das Dorf nahm allmälig den Charakter eines zweige-
theilten Beſitzes an. Dieſen Charakter hat es ſich bis dieſen Tag
in einer ſo markanten und zugleich ſo maleriſchen Weiſe gewahrt,
wie mir kein zweites Beiſpiel in der Grafſchaft bekannt geworden iſt.
Wir halten vor der breiten Dorfgaſſe und ſchwanken, ob wir
unſer Fuhrwerk nach links oder rechts lenken ſollen, denn einander
gegenüber ſtehen zwei Krugwirthſchaften, beide mit dem üblichen
Vorbau, beide mit Stehkrippen und beide mit einem Wirth in der
Thür. Wir entſcheiden uns endlich für links und ſind, ohne es
zu wiſſen, auf der Rohr’ſchen Seite gelandet.
Die Dorfgaſſe macht die Grenze, was links liegt, iſt alter
Rohr’ſcher, was rechts liegt, alter Jürgaß’ſcher Beſitz. Jede Seite
hat ihren Krug, ihr Herrenhaus, ihren Park, nur die Dorfgaſſe
iſt das Gemeinſchaftliche und Kirche und Kirchhof.
Wir haben im Krug ein Geſpräch angeknüpft und über die
beiden alten Herren von Jürgaß (es waren zwei Brüder) zu plau-
dern geſucht, die nun ſeit zwanzig Jahren und drüber das Zeit-
liche geſegnet haben, aber ſei es, daß unſer Wirth, als „Rohr-
ſcher,“ ſich um die Jürgaſſe von drüben niemals recht gekümmert
hat, oder ſei es, daß 25 Ausſaaten und Erndten, die zwiſchen
jetzt und damals liegen, die Bilder der beiden alten Herren in
ſeiner Erinnerung abgeblaßt haben, gleichviel, ſeine Mittheilungen
beſchränken ſich darauf, „dat de een en beten ſtreng wör“ und
„dat de anner et ümmer weer good machen un ’nen Daler gewen
däht, wenn de Broder to ſtreng weſt wor.“ „Aber — ſo ſchloß
er — he däht et ſo, dat de Broder niſcht merken kunnt.“
Wir verabſchieden uns nun und treten in die maleriſche Dorf-
gaſſe hinaus. Prächtige alte Bäume: Pappeln und Eichen, Kaſta-
nien und Rüſtern, dazwiſchen Ebreſchenbäume mit ihren lachenden
rothen Beeren, faſſen den Weg ein und geben Schatten. Links
vom Wege, von hohen Ulmen und Linden rings umſtellt, ſchim-
mern die weißen Wände des alten Rohrſchen Herrenhauſes zu uns
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der erste Band "Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow" 1862 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/171>, abgerufen am 27.04.2024.
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