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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862.

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Horizont her, fast wie Wolkengebilde, blicken Dörfer und Thürme
in die grüne Oede hinein; Gräben, Gras und Torf dehnen sich
endlos in's Weite, und nichts Lebendes unterbricht die Stille des
Orts, als die unheimlichen Pelotons der von rechts und links in's
Wasser springenden Frösche, oder das Kreischen der wilden Gänse,
die über das Luch hinziehen. Von Zeit zu Zeit sperrt ein Torf-
kahn den Weg ab und weicht endlich mürrisch zur Seite, um unser
Boot vorbei zu lassen. Kein Schiffer wird sichtbar, eine räthsel-
hafte Hand lenkt das Steuer des Kahns, und wir fahren mit
stillem Grauen an dem häßlichen alten Schuppen-Thier vorbei, als
sei es ein Torf-Ichthyosaurus, ein alter Beherrscher dieses Luch's,
der sich noch besönne, ob er der neuen Zeit und dem Menschen
das Feld räumen solle oder nicht.

So waren wir bis in die Mitte des Luch's gekommen. Die
Kirchthürme an der Südseite waren uns aus dem Gesicht ver-
schwunden und die Dörfer, die am Nordrand liegen, ließen noch
auf sich warten. Da brach das Gewitter los, das seit drei Stun-
den um das Luch herum seine Kreise gezogen und geschwankt hatte,
ob es auf der Höhe bleiben, oder in die Niederung des Luch's
hinabsteigen sollte. Die Luch-Gewitter erfreuen sich des besten Rufs;
sie kommen selten aber gut. Ein solches Wetter entlud sich jetzt
über uns. Kein Haus, kein Baum, kein Strauch in Näh' und
Ferne: so war es das Beste, die Reise fortzusetzen, als läge
Sonnenschein rundum. Der Regen fiel in Strömen, unser einge-
schirrter Torfarbeiter that sein Bestes und trabte gegen Wind und
Wetter an. Der Boden wurde immer glitschiger und mehr denn
einmal sank er in die Knie; aber rasch war er wieder auf und
unverdrossen ging es weiter. Wir saßen derweilen schweigsam da,
bemaßen das Wasser im Boot, das von Minute zu Minute stieg
und blickten alsbald nicht ohne Neid auf den vor uns her traben-
den Graukittel, der in der Lust des Kampfs Gefahr und Noth
vergessen mochte, während wir in der Lage von Reserve-Bataillonen
waren, die Gewehr bei Fuß dastehen müssen, wenn die Kugeln
einschlagen und ihre Wirkung thun.

Jeder hat solche Situation durchgemacht und kennt die fast

Horizont her, faſt wie Wolkengebilde, blicken Dörfer und Thürme
in die grüne Oede hinein; Gräben, Gras und Torf dehnen ſich
endlos in’s Weite, und nichts Lebendes unterbricht die Stille des
Orts, als die unheimlichen Pelotons der von rechts und links in’s
Waſſer ſpringenden Fröſche, oder das Kreiſchen der wilden Gänſe,
die über das Luch hinziehen. Von Zeit zu Zeit ſperrt ein Torf-
kahn den Weg ab und weicht endlich mürriſch zur Seite, um unſer
Boot vorbei zu laſſen. Kein Schiffer wird ſichtbar, eine räthſel-
hafte Hand lenkt das Steuer des Kahns, und wir fahren mit
ſtillem Grauen an dem häßlichen alten Schuppen-Thier vorbei, als
ſei es ein Torf-Ichthyoſaurus, ein alter Beherrſcher dieſes Luch’s,
der ſich noch beſönne, ob er der neuen Zeit und dem Menſchen
das Feld räumen ſolle oder nicht.

So waren wir bis in die Mitte des Luch’s gekommen. Die
Kirchthürme an der Südſeite waren uns aus dem Geſicht ver-
ſchwunden und die Dörfer, die am Nordrand liegen, ließen noch
auf ſich warten. Da brach das Gewitter los, das ſeit drei Stun-
den um das Luch herum ſeine Kreiſe gezogen und geſchwankt hatte,
ob es auf der Höhe bleiben, oder in die Niederung des Luch’s
hinabſteigen ſollte. Die Luch-Gewitter erfreuen ſich des beſten Rufs;
ſie kommen ſelten aber gut. Ein ſolches Wetter entlud ſich jetzt
über uns. Kein Haus, kein Baum, kein Strauch in Näh’ und
Ferne: ſo war es das Beſte, die Reiſe fortzuſetzen, als läge
Sonnenſchein rundum. Der Regen fiel in Strömen, unſer einge-
ſchirrter Torfarbeiter that ſein Beſtes und trabte gegen Wind und
Wetter an. Der Boden wurde immer glitſchiger und mehr denn
einmal ſank er in die Knie; aber raſch war er wieder auf und
unverdroſſen ging es weiter. Wir ſaßen derweilen ſchweigſam da,
bemaßen das Waſſer im Boot, das von Minute zu Minute ſtieg
und blickten alsbald nicht ohne Neid auf den vor uns her traben-
den Graukittel, der in der Luſt des Kampfs Gefahr und Noth
vergeſſen mochte, während wir in der Lage von Reſerve-Bataillonen
waren, die Gewehr bei Fuß daſtehen müſſen, wenn die Kugeln
einſchlagen und ihre Wirkung thun.

Jeder hat ſolche Situation durchgemacht und kennt die faſt

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[184/0202] Horizont her, faſt wie Wolkengebilde, blicken Dörfer und Thürme in die grüne Oede hinein; Gräben, Gras und Torf dehnen ſich endlos in’s Weite, und nichts Lebendes unterbricht die Stille des Orts, als die unheimlichen Pelotons der von rechts und links in’s Waſſer ſpringenden Fröſche, oder das Kreiſchen der wilden Gänſe, die über das Luch hinziehen. Von Zeit zu Zeit ſperrt ein Torf- kahn den Weg ab und weicht endlich mürriſch zur Seite, um unſer Boot vorbei zu laſſen. Kein Schiffer wird ſichtbar, eine räthſel- hafte Hand lenkt das Steuer des Kahns, und wir fahren mit ſtillem Grauen an dem häßlichen alten Schuppen-Thier vorbei, als ſei es ein Torf-Ichthyoſaurus, ein alter Beherrſcher dieſes Luch’s, der ſich noch beſönne, ob er der neuen Zeit und dem Menſchen das Feld räumen ſolle oder nicht. So waren wir bis in die Mitte des Luch’s gekommen. Die Kirchthürme an der Südſeite waren uns aus dem Geſicht ver- ſchwunden und die Dörfer, die am Nordrand liegen, ließen noch auf ſich warten. Da brach das Gewitter los, das ſeit drei Stun- den um das Luch herum ſeine Kreiſe gezogen und geſchwankt hatte, ob es auf der Höhe bleiben, oder in die Niederung des Luch’s hinabſteigen ſollte. Die Luch-Gewitter erfreuen ſich des beſten Rufs; ſie kommen ſelten aber gut. Ein ſolches Wetter entlud ſich jetzt über uns. Kein Haus, kein Baum, kein Strauch in Näh’ und Ferne: ſo war es das Beſte, die Reiſe fortzuſetzen, als läge Sonnenſchein rundum. Der Regen fiel in Strömen, unſer einge- ſchirrter Torfarbeiter that ſein Beſtes und trabte gegen Wind und Wetter an. Der Boden wurde immer glitſchiger und mehr denn einmal ſank er in die Knie; aber raſch war er wieder auf und unverdroſſen ging es weiter. Wir ſaßen derweilen ſchweigſam da, bemaßen das Waſſer im Boot, das von Minute zu Minute ſtieg und blickten alsbald nicht ohne Neid auf den vor uns her traben- den Graukittel, der in der Luſt des Kampfs Gefahr und Noth vergeſſen mochte, während wir in der Lage von Reſerve-Bataillonen waren, die Gewehr bei Fuß daſtehen müſſen, wenn die Kugeln einſchlagen und ihre Wirkung thun. Jeder hat ſolche Situation durchgemacht und kennt die faſt

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/202>, abgerufen am 10.05.2024.