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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862.

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Friedhof schuf, war eine unbestimmte Hoffnung lebendig, aber
kein bestimmter siegesgewisser Glaube
. Ein Geist der Liebe
und Humanität schwebt über dem Ganzen, aber nirgends eine
Hindeutung auf das Kreuz, nirgends der Ausdruck eines uner-
schütterlichen Vertrauens. Das sollen nicht Splitterrichter-Worte
sein, am wenigsten Worte der Anklage; sie würden dem nicht
ziemen, der selbst lebendiger ist in der Hoffnung als im Glauben;
aber ich durfte den einen Punkt nicht unberührt und ungenannt
lassen, der, unter allen märkischen Edelsitzen, dieses Schloß und
diesen Friedhof zu einem Unicum macht. Die märkischen Schlösser,
wenn nicht ausschließlich feste Burgen altlutherischer Confession,
haben abwechselnd den Glauben und den Unglauben in ihren
Mauern gesehen; straffe Kirchlichkeit und laxe Freigeisterei haben
sich innerhalb derselben abgelöst. Nur Schloß Tegel hat ein
drittes Element in seinen Mauern beherbergt, gleich weit entfernt
von Orthodoxie wie von Frivolität, jenen Geist, der sich inmitten
der Antike und Classicität langsam, aber sicher auszubilden pflegt,
und lächelnd über die Kämpfe und Befehdungen beider Extreme,
das Diesseits genießt und auf das räthselvolle Jenseits hofft.



Friedhof ſchuf, war eine unbeſtimmte Hoffnung lebendig, aber
kein beſtimmter ſiegesgewiſſer Glaube
. Ein Geiſt der Liebe
und Humanität ſchwebt über dem Ganzen, aber nirgends eine
Hindeutung auf das Kreuz, nirgends der Ausdruck eines uner-
ſchütterlichen Vertrauens. Das ſollen nicht Splitterrichter-Worte
ſein, am wenigſten Worte der Anklage; ſie würden dem nicht
ziemen, der ſelbſt lebendiger iſt in der Hoffnung als im Glauben;
aber ich durfte den einen Punkt nicht unberührt und ungenannt
laſſen, der, unter allen märkiſchen Edelſitzen, dieſes Schloß und
dieſen Friedhof zu einem Unicum macht. Die märkiſchen Schlöſſer,
wenn nicht ausſchließlich feſte Burgen altlutheriſcher Confeſſion,
haben abwechſelnd den Glauben und den Unglauben in ihren
Mauern geſehen; ſtraffe Kirchlichkeit und laxe Freigeiſterei haben
ſich innerhalb derſelben abgelöſt. Nur Schloß Tegel hat ein
drittes Element in ſeinen Mauern beherbergt, gleich weit entfernt
von Orthodoxie wie von Frivolität, jenen Geiſt, der ſich inmitten
der Antike und Claſſicität langſam, aber ſicher auszubilden pflegt,
und lächelnd über die Kämpfe und Befehdungen beider Extreme,
das Dieſſeits genießt und auf das räthſelvolle Jenſeits hofft.



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[205/0223] Friedhof ſchuf, war eine unbeſtimmte Hoffnung lebendig, aber kein beſtimmter ſiegesgewiſſer Glaube. Ein Geiſt der Liebe und Humanität ſchwebt über dem Ganzen, aber nirgends eine Hindeutung auf das Kreuz, nirgends der Ausdruck eines uner- ſchütterlichen Vertrauens. Das ſollen nicht Splitterrichter-Worte ſein, am wenigſten Worte der Anklage; ſie würden dem nicht ziemen, der ſelbſt lebendiger iſt in der Hoffnung als im Glauben; aber ich durfte den einen Punkt nicht unberührt und ungenannt laſſen, der, unter allen märkiſchen Edelſitzen, dieſes Schloß und dieſen Friedhof zu einem Unicum macht. Die märkiſchen Schlöſſer, wenn nicht ausſchließlich feſte Burgen altlutheriſcher Confeſſion, haben abwechſelnd den Glauben und den Unglauben in ihren Mauern geſehen; ſtraffe Kirchlichkeit und laxe Freigeiſterei haben ſich innerhalb derſelben abgelöſt. Nur Schloß Tegel hat ein drittes Element in ſeinen Mauern beherbergt, gleich weit entfernt von Orthodoxie wie von Frivolität, jenen Geiſt, der ſich inmitten der Antike und Claſſicität langſam, aber ſicher auszubilden pflegt, und lächelnd über die Kämpfe und Befehdungen beider Extreme, das Dieſſeits genießt und auf das räthſelvolle Jenſeits hofft.

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/223>, abgerufen am 28.04.2024.