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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862.

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starb in Folge der Anstrengungen, die er während des großen
Feuers, das im Jahre 1787 die ganze Stadt verzehrte, durch-
zumachen hatte. Auch die Superintendenten-Wohnung wurde in
Asche gelegt, so daß von dem Hause, drin Schinkel geboren wurde,
nichts mehr existirt. Es stand ungefähr an derselben Stelle, an
der sich die jetzige Superintendenten-Wohnung befindet, aber
etwas weiter vorgelegen, auf dem jetzigen Kirchplatz, nicht an
demselben. Die Mutter Schinkel's zog nach dem Tode ihres
Mannes in das sogenannte Prediger-Wittwenhaus, das, damals
vom Feuer verschont geblieben, sich bis diesen Tag in alter Un-
versehrtheit erhalten hat. In diesem Hause hat Schinkel seine
Knabenzeit vom 6. bis zum 14. Jahre zugebracht.

Aus seiner frühesten Jugend ist nur folgender kleiner Zug
aufbewahrt geblieben. Sein Vater zeichnete ihm öfter allerlei Dinge
auf Papier, namentlich Vögel. Der kleine Schinkel saß dann
dabei, war aber nie recht zufrieden und meinte immer: "Ein
Vogel sähe doch noch anders aus
." Sein Charakter nahm
früh ein bestimmtes Gepräge an; er war bescheiden, zurückhaltend,
gemüthvoll, aber schnell aufbrausend und zum Zorn geneigt. Eine
ächte Künstlernatur. *) Auf der Schule war er nicht ausgezeichnet,
vielleicht weil jede Art der Kunstübung ihn von früh auf fesselte
und ein intimeres Verhältniß zu den Büchern nicht aufkommen
ließ. Seine musikalische Begabung war groß; nachdem er eine
Oper gehört hatte, spielte er sie fast von Anfang bis zu Ende
auf dem Klavier nach. Theater war seine ganze Lust. Seine ältre
Schwester schrieb die Stücke, er malte die Figuren und schnitt sie
aus; am Abend gab es dann Puppenspiel. Seine malerischen
Fähigkeiten müssen früh entwickelt gewesen sein. Eine Zeichnung
seines eigenen Kopfes, die er in seinem 14. Jahre nach dem

*) Noch auf seinem letzten Krankenlager zeigte sich diese volle Künstler-
natur. Er lag 13 Monate lang in einem bewußtlosen Zustand; als es
aber hieß: "Thorwaldsen stehe an seinem Lager", richtete er sich auf
und das Bewußtsein kehrte ihm auf kurze Augenblicke zurück.

ſtarb in Folge der Anſtrengungen, die er während des großen
Feuers, das im Jahre 1787 die ganze Stadt verzehrte, durch-
zumachen hatte. Auch die Superintendenten-Wohnung wurde in
Aſche gelegt, ſo daß von dem Hauſe, drin Schinkel geboren wurde,
nichts mehr exiſtirt. Es ſtand ungefähr an derſelben Stelle, an
der ſich die jetzige Superintendenten-Wohnung befindet, aber
etwas weiter vorgelegen, auf dem jetzigen Kirchplatz, nicht an
demſelben. Die Mutter Schinkel’s zog nach dem Tode ihres
Mannes in das ſogenannte Prediger-Wittwenhaus, das, damals
vom Feuer verſchont geblieben, ſich bis dieſen Tag in alter Un-
verſehrtheit erhalten hat. In dieſem Hauſe hat Schinkel ſeine
Knabenzeit vom 6. bis zum 14. Jahre zugebracht.

Aus ſeiner früheſten Jugend iſt nur folgender kleiner Zug
aufbewahrt geblieben. Sein Vater zeichnete ihm öfter allerlei Dinge
auf Papier, namentlich Vögel. Der kleine Schinkel ſaß dann
dabei, war aber nie recht zufrieden und meinte immer: „Ein
Vogel ſähe doch noch anders aus
.“ Sein Charakter nahm
früh ein beſtimmtes Gepräge an; er war beſcheiden, zurückhaltend,
gemüthvoll, aber ſchnell aufbrauſend und zum Zorn geneigt. Eine
ächte Künſtlernatur. *) Auf der Schule war er nicht ausgezeichnet,
vielleicht weil jede Art der Kunſtübung ihn von früh auf feſſelte
und ein intimeres Verhältniß zu den Büchern nicht aufkommen
ließ. Seine muſikaliſche Begabung war groß; nachdem er eine
Oper gehört hatte, ſpielte er ſie faſt von Anfang bis zu Ende
auf dem Klavier nach. Theater war ſeine ganze Luſt. Seine ältre
Schweſter ſchrieb die Stücke, er malte die Figuren und ſchnitt ſie
aus; am Abend gab es dann Puppenſpiel. Seine maleriſchen
Fähigkeiten müſſen früh entwickelt geweſen ſein. Eine Zeichnung
ſeines eigenen Kopfes, die er in ſeinem 14. Jahre nach dem

*) Noch auf ſeinem letzten Krankenlager zeigte ſich dieſe volle Künſtler-
natur. Er lag 13 Monate lang in einem bewußtloſen Zuſtand; als es
aber hieß: „Thorwaldſen ſtehe an ſeinem Lager“, richtete er ſich auf
und das Bewußtſein kehrte ihm auf kurze Augenblicke zurück.
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[64/0082] ſtarb in Folge der Anſtrengungen, die er während des großen Feuers, das im Jahre 1787 die ganze Stadt verzehrte, durch- zumachen hatte. Auch die Superintendenten-Wohnung wurde in Aſche gelegt, ſo daß von dem Hauſe, drin Schinkel geboren wurde, nichts mehr exiſtirt. Es ſtand ungefähr an derſelben Stelle, an der ſich die jetzige Superintendenten-Wohnung befindet, aber etwas weiter vorgelegen, auf dem jetzigen Kirchplatz, nicht an demſelben. Die Mutter Schinkel’s zog nach dem Tode ihres Mannes in das ſogenannte Prediger-Wittwenhaus, das, damals vom Feuer verſchont geblieben, ſich bis dieſen Tag in alter Un- verſehrtheit erhalten hat. In dieſem Hauſe hat Schinkel ſeine Knabenzeit vom 6. bis zum 14. Jahre zugebracht. Aus ſeiner früheſten Jugend iſt nur folgender kleiner Zug aufbewahrt geblieben. Sein Vater zeichnete ihm öfter allerlei Dinge auf Papier, namentlich Vögel. Der kleine Schinkel ſaß dann dabei, war aber nie recht zufrieden und meinte immer: „Ein Vogel ſähe doch noch anders aus.“ Sein Charakter nahm früh ein beſtimmtes Gepräge an; er war beſcheiden, zurückhaltend, gemüthvoll, aber ſchnell aufbrauſend und zum Zorn geneigt. Eine ächte Künſtlernatur. *) Auf der Schule war er nicht ausgezeichnet, vielleicht weil jede Art der Kunſtübung ihn von früh auf feſſelte und ein intimeres Verhältniß zu den Büchern nicht aufkommen ließ. Seine muſikaliſche Begabung war groß; nachdem er eine Oper gehört hatte, ſpielte er ſie faſt von Anfang bis zu Ende auf dem Klavier nach. Theater war ſeine ganze Luſt. Seine ältre Schweſter ſchrieb die Stücke, er malte die Figuren und ſchnitt ſie aus; am Abend gab es dann Puppenſpiel. Seine maleriſchen Fähigkeiten müſſen früh entwickelt geweſen ſein. Eine Zeichnung ſeines eigenen Kopfes, die er in ſeinem 14. Jahre nach dem *) Noch auf ſeinem letzten Krankenlager zeigte ſich dieſe volle Künſtler- natur. Er lag 13 Monate lang in einem bewußtloſen Zuſtand; als es aber hieß: „Thorwaldſen ſtehe an ſeinem Lager“, richtete er ſich auf und das Bewußtſein kehrte ihm auf kurze Augenblicke zurück.

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/82>, abgerufen am 30.04.2024.