Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862.

Bild:
<< vorherige Seite

eine Klarheit, in seinem Auge eine Tiefe und ein Feuer, daß
man sich schon durch seine bloße Erscheinung zu ihm hingezogen
fühlte. Größer aber noch war die Gewalt seines Wortes,
wenn das, was ihn innerlich beschäftigte, unwillkürlich
und unvorbereitet auf seine Lippen trat
."

Von dieser "Gewalt des Wortes" giebt an mehr denn einer
Stelle der in wahrhaft klassischer Sprache geschriebene Brief
Zeugniß, den wir der Güte einer Nichte Schinkels, des Fräulein
Wagner in Ruppin, verdanken, und den wir, mit Beibehaltung
der kleinen Abweichungen der damaligen Orthographie, in Nach-
stehendem folgen lassen:

Messina, 14. Mai 1804. "Mit günstigem Ost verließ
ich am 8. Mai den Hafen Neapels, als noch des Vesuv's zwie-
gespaltener Gipfel die frühe Sonne barg. Ein braver Capitain
und eine lustige Schiffsgesellschaft sicherten mir die Entschädigung
für das Ungemach der Seefahrt. Wir hatten uns, mein alter
Reisegefährter und ich, mit zweien Freunden aus Rom verbunden,
die ganze Reise durch Sicilien zusammen zu machen, um durch
gegenseitige Mittheilung so viel Nutzen als Vergnügen zu haben.
Mittags flog das Schiff durch die Enge von Capri's Fels-
wänden und dem Vorgebirg von Massa; der Abend brachte
uns die schöne Uebersicht der Küste von Salerno und des
Golfo di Napoli, den die dämmernden Vorgebirge der Stadt
am Horizonte beschlossen, verschönert durch den Sonnenuntergang,
den wir traulich auf dem Verdeck in aller Muße genossen. Mit
dem Grau des Morgens war jede Aussicht auf's Land verloren,
nur Himmel und unendliche Fluth. Später stiegen am Horizont
die Liparischen Inseln empor, zunächst der Strombolo, dem
wir Mittags nahe vorbeisegelten. Sein dampfendes Haupt warf
zuckend Asche in die Luft, und Felsen, die sich aus des Kraters
Rande lösten, rollten rauchend über die herabgeglittene Asche in's
Meer. Oestlich zieht ein sanftes Ufer hinauf, ein wohlbebautes
Ländchen, dessen Bewohner, den drohenden Gipfel nicht fürchtend,
zufrieden des Weinbaues und des Fischfanges pflegen. -- Am

5*

eine Klarheit, in ſeinem Auge eine Tiefe und ein Feuer, daß
man ſich ſchon durch ſeine bloße Erſcheinung zu ihm hingezogen
fühlte. Größer aber noch war die Gewalt ſeines Wortes,
wenn das, was ihn innerlich beſchäftigte, unwillkürlich
und unvorbereitet auf ſeine Lippen trat
.“

Von dieſer „Gewalt des Wortes“ giebt an mehr denn einer
Stelle der in wahrhaft klaſſiſcher Sprache geſchriebene Brief
Zeugniß, den wir der Güte einer Nichte Schinkels, des Fräulein
Wagner in Ruppin, verdanken, und den wir, mit Beibehaltung
der kleinen Abweichungen der damaligen Orthographie, in Nach-
ſtehendem folgen laſſen:

Meſſina, 14. Mai 1804. „Mit günſtigem Oſt verließ
ich am 8. Mai den Hafen Neapels, als noch des Veſuv’s zwie-
geſpaltener Gipfel die frühe Sonne barg. Ein braver Capitain
und eine luſtige Schiffsgeſellſchaft ſicherten mir die Entſchädigung
für das Ungemach der Seefahrt. Wir hatten uns, mein alter
Reiſegefährter und ich, mit zweien Freunden aus Rom verbunden,
die ganze Reiſe durch Sicilien zuſammen zu machen, um durch
gegenſeitige Mittheilung ſo viel Nutzen als Vergnügen zu haben.
Mittags flog das Schiff durch die Enge von Capri’s Fels-
wänden und dem Vorgebirg von Maſſa; der Abend brachte
uns die ſchöne Ueberſicht der Küſte von Salerno und des
Golfo di Napoli, den die dämmernden Vorgebirge der Stadt
am Horizonte beſchloſſen, verſchönert durch den Sonnenuntergang,
den wir traulich auf dem Verdeck in aller Muße genoſſen. Mit
dem Grau des Morgens war jede Ausſicht auf’s Land verloren,
nur Himmel und unendliche Fluth. Später ſtiegen am Horizont
die Lipariſchen Inſeln empor, zunächſt der Strombolo, dem
wir Mittags nahe vorbeiſegelten. Sein dampfendes Haupt warf
zuckend Aſche in die Luft, und Felſen, die ſich aus des Kraters
Rande löſten, rollten rauchend über die herabgeglittene Aſche in’s
Meer. Oeſtlich zieht ein ſanftes Ufer hinauf, ein wohlbebautes
Ländchen, deſſen Bewohner, den drohenden Gipfel nicht fürchtend,
zufrieden des Weinbaues und des Fiſchfanges pflegen. — Am

5*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0085" n="67"/>
eine Klarheit, in &#x017F;einem Auge eine Tiefe und ein Feuer, daß<lb/>
man &#x017F;ich &#x017F;chon durch &#x017F;eine bloße Er&#x017F;cheinung zu ihm hingezogen<lb/>
fühlte. <hi rendition="#g">Größer aber noch war die Gewalt &#x017F;eines Wortes,<lb/>
wenn das, was ihn innerlich be&#x017F;chäftigte, unwillkürlich<lb/>
und unvorbereitet auf &#x017F;eine Lippen trat</hi>.&#x201C;</p><lb/>
            <p>Von die&#x017F;er &#x201E;Gewalt des Wortes&#x201C; giebt an mehr denn einer<lb/>
Stelle der in wahrhaft kla&#x017F;&#x017F;i&#x017F;cher Sprache ge&#x017F;chriebene Brief<lb/>
Zeugniß, den wir der Güte einer Nichte Schinkels, des Fräulein<lb/>
Wagner in Ruppin, verdanken, und den wir, mit Beibehaltung<lb/>
der kleinen Abweichungen der damaligen Orthographie, in Nach-<lb/>
&#x017F;tehendem folgen la&#x017F;&#x017F;en:</p><lb/>
            <p><hi rendition="#g">Me&#x017F;&#x017F;ina, 14. Mai 1804</hi>. &#x201E;Mit gün&#x017F;tigem O&#x017F;t verließ<lb/>
ich am 8. Mai den Hafen <hi rendition="#g">Neapels</hi>, als noch des Ve&#x017F;uv&#x2019;s zwie-<lb/>
ge&#x017F;paltener Gipfel die frühe Sonne barg. Ein braver Capitain<lb/>
und eine lu&#x017F;tige Schiffsge&#x017F;ell&#x017F;chaft &#x017F;icherten mir die Ent&#x017F;chädigung<lb/>
für das Ungemach der Seefahrt. Wir hatten uns, mein alter<lb/>
Rei&#x017F;egefährter und ich, mit zweien Freunden aus Rom verbunden,<lb/>
die ganze Rei&#x017F;e durch Sicilien zu&#x017F;ammen zu machen, um durch<lb/>
gegen&#x017F;eitige Mittheilung &#x017F;o viel Nutzen als Vergnügen zu haben.<lb/>
Mittags flog das Schiff durch die Enge von <hi rendition="#g">Capri</hi>&#x2019;s Fels-<lb/>
wänden und dem <hi rendition="#g">Vorgebirg von Ma&#x017F;&#x017F;a</hi>; der Abend brachte<lb/>
uns die &#x017F;chöne Ueber&#x017F;icht der <hi rendition="#g">&#x017F;te von Salerno</hi> und des<lb/><hi rendition="#g">Golfo di Napoli</hi>, den die dämmernden Vorgebirge der Stadt<lb/>
am Horizonte be&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, ver&#x017F;chönert durch den Sonnenuntergang,<lb/>
den wir traulich auf dem Verdeck in aller Muße geno&#x017F;&#x017F;en. Mit<lb/>
dem Grau des Morgens war jede Aus&#x017F;icht auf&#x2019;s Land verloren,<lb/>
nur Himmel und unendliche Fluth. Später &#x017F;tiegen am Horizont<lb/>
die <hi rendition="#g">Lipari&#x017F;chen In&#x017F;eln</hi> empor, zunäch&#x017F;t der <hi rendition="#g">Strombolo</hi>, dem<lb/>
wir Mittags nahe vorbei&#x017F;egelten. Sein dampfendes Haupt warf<lb/>
zuckend A&#x017F;che in die Luft, und Fel&#x017F;en, die &#x017F;ich aus des Kraters<lb/>
Rande lö&#x017F;ten, rollten rauchend über die herabgeglittene A&#x017F;che in&#x2019;s<lb/>
Meer. Oe&#x017F;tlich zieht ein &#x017F;anftes Ufer hinauf, ein wohlbebautes<lb/>
Ländchen, de&#x017F;&#x017F;en Bewohner, den drohenden Gipfel nicht fürchtend,<lb/>
zufrieden des Weinbaues und des Fi&#x017F;chfanges pflegen. &#x2014; Am<lb/>
<fw type="sig" place="bottom">5*</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[67/0085] eine Klarheit, in ſeinem Auge eine Tiefe und ein Feuer, daß man ſich ſchon durch ſeine bloße Erſcheinung zu ihm hingezogen fühlte. Größer aber noch war die Gewalt ſeines Wortes, wenn das, was ihn innerlich beſchäftigte, unwillkürlich und unvorbereitet auf ſeine Lippen trat.“ Von dieſer „Gewalt des Wortes“ giebt an mehr denn einer Stelle der in wahrhaft klaſſiſcher Sprache geſchriebene Brief Zeugniß, den wir der Güte einer Nichte Schinkels, des Fräulein Wagner in Ruppin, verdanken, und den wir, mit Beibehaltung der kleinen Abweichungen der damaligen Orthographie, in Nach- ſtehendem folgen laſſen: Meſſina, 14. Mai 1804. „Mit günſtigem Oſt verließ ich am 8. Mai den Hafen Neapels, als noch des Veſuv’s zwie- geſpaltener Gipfel die frühe Sonne barg. Ein braver Capitain und eine luſtige Schiffsgeſellſchaft ſicherten mir die Entſchädigung für das Ungemach der Seefahrt. Wir hatten uns, mein alter Reiſegefährter und ich, mit zweien Freunden aus Rom verbunden, die ganze Reiſe durch Sicilien zuſammen zu machen, um durch gegenſeitige Mittheilung ſo viel Nutzen als Vergnügen zu haben. Mittags flog das Schiff durch die Enge von Capri’s Fels- wänden und dem Vorgebirg von Maſſa; der Abend brachte uns die ſchöne Ueberſicht der Küſte von Salerno und des Golfo di Napoli, den die dämmernden Vorgebirge der Stadt am Horizonte beſchloſſen, verſchönert durch den Sonnenuntergang, den wir traulich auf dem Verdeck in aller Muße genoſſen. Mit dem Grau des Morgens war jede Ausſicht auf’s Land verloren, nur Himmel und unendliche Fluth. Später ſtiegen am Horizont die Lipariſchen Inſeln empor, zunächſt der Strombolo, dem wir Mittags nahe vorbeiſegelten. Sein dampfendes Haupt warf zuckend Aſche in die Luft, und Felſen, die ſich aus des Kraters Rande löſten, rollten rauchend über die herabgeglittene Aſche in’s Meer. Oeſtlich zieht ein ſanftes Ufer hinauf, ein wohlbebautes Ländchen, deſſen Bewohner, den drohenden Gipfel nicht fürchtend, zufrieden des Weinbaues und des Fiſchfanges pflegen. — Am 5*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/85
Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/85>, abgerufen am 11.05.2024.