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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863.

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sich die Zeiten) kuckte nicht mehr aus Busch und Haide, sondern
aus hohen Roggenfeldern hervor.

Nun Haiderevier, dann wieder freies Feld, bis plötzlich die
Höhe, auf der wir bis dahin fuhren, steil abfällt und eine Nie-
derung, zunächst ein Kesselthal vor uns liegt, in das wir hin-
unterrollen. Die Postillone blasen (wir haben drei Beichaisen), die
ersten Häuser schimmern hinter Bäumen hervor, die Leute vor den
Thüren richten sich auf und grüßen, und die Jungen werfen ihre
Mützen und schreien Hurrah. Es ist ein Lärm, der einer Residenz
zur Ehre gereichen würde, und doch ist es nur Wusterhausen,
freilich -- zu Pfingsten.

Wir halten vor der Post; drüben ist ein Gasthof mit Staub-
rouleaux, Waschtoiletten und Klingelzügen, alles großstädtisch, und
während mir zwei Lichter auf den Tisch gesetzt werden, richt' ich
unwillkürlich die Frage an mich: ist dies dasselbe Wusterhausen,
von dem wir jene klassische, aber freilich wenig schmeichelhafte Be-
schreibung haben, die eine Seite in den Memoiren der Mark-
gräfin von Baireuth, der Lieblingsschwester Friedrichs des Großen,
füllt? Laß doch sehen, was sie schreibt.

Ich war wohlweislich nicht ohne dies Buch aufgebrochen,
(das, wenn man so will, der "älteste Fremdenführer von Wuster-
hausen" ist), und las wie folgt:

"Mit unsäglicher Mühe hatte der König an diesem Orte
einen Hügel aufführen lassen, der die Aussicht so gut begrenzte,
daß man das verzauberte Schloß nicht eher sah, als bis man
herabgestiegen war. Dieses sogenannte Palais bestand aus einem
sehr kleinen Hauptgebäude, dessen Schönheit durch einen alten
Thurm erhöht wurde, zu dem hinauf eine hölzerne Wendeltreppe
führte. (In der ersten Ausgabe heißt es von diesem alten Thurm:
"er war ein ehemaliger Diebeswinkel, von einer Bande Räuber
erbaut, denen dies Schloß früher gehört hatte.") Das Gebäude
war von einem Erdwall und einem Graben umgeben, dessen
schwarzes und fauliges Wasser dem Styxe glich. Drei Brücken
verbanden es mit dem Hofe (in Front des Schlosses), mit dem

ſich die Zeiten) kuckte nicht mehr aus Buſch und Haide, ſondern
aus hohen Roggenfeldern hervor.

Nun Haiderevier, dann wieder freies Feld, bis plötzlich die
Höhe, auf der wir bis dahin fuhren, ſteil abfällt und eine Nie-
derung, zunächſt ein Keſſelthal vor uns liegt, in das wir hin-
unterrollen. Die Poſtillone blaſen (wir haben drei Beichaiſen), die
erſten Häuſer ſchimmern hinter Bäumen hervor, die Leute vor den
Thüren richten ſich auf und grüßen, und die Jungen werfen ihre
Mützen und ſchreien Hurrah. Es iſt ein Lärm, der einer Reſidenz
zur Ehre gereichen würde, und doch iſt es nur Wuſterhauſen,
freilich — zu Pfingſten.

Wir halten vor der Poſt; drüben iſt ein Gaſthof mit Staub-
rouleaux, Waſchtoiletten und Klingelzügen, alles großſtädtiſch, und
während mir zwei Lichter auf den Tiſch geſetzt werden, richt’ ich
unwillkürlich die Frage an mich: iſt dies daſſelbe Wuſterhauſen,
von dem wir jene klaſſiſche, aber freilich wenig ſchmeichelhafte Be-
ſchreibung haben, die eine Seite in den Memoiren der Mark-
gräfin von Baireuth, der Lieblingsſchweſter Friedrichs des Großen,
füllt? Laß doch ſehen, was ſie ſchreibt.

Ich war wohlweislich nicht ohne dies Buch aufgebrochen,
(das, wenn man ſo will, der „älteſte Fremdenführer von Wuſter-
hauſen“ iſt), und las wie folgt:

„Mit unſäglicher Mühe hatte der König an dieſem Orte
einen Hügel aufführen laſſen, der die Ausſicht ſo gut begrenzte,
daß man das verzauberte Schloß nicht eher ſah, als bis man
herabgeſtiegen war. Dieſes ſogenannte Palais beſtand aus einem
ſehr kleinen Hauptgebäude, deſſen Schönheit durch einen alten
Thurm erhöht wurde, zu dem hinauf eine hölzerne Wendeltreppe
führte. (In der erſten Ausgabe heißt es von dieſem alten Thurm:
„er war ein ehemaliger Diebeswinkel, von einer Bande Räuber
erbaut, denen dies Schloß früher gehört hatte.“) Das Gebäude
war von einem Erdwall und einem Graben umgeben, deſſen
ſchwarzes und fauliges Waſſer dem Styxe glich. Drei Brücken
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[119/0131] ſich die Zeiten) kuckte nicht mehr aus Buſch und Haide, ſondern aus hohen Roggenfeldern hervor. Nun Haiderevier, dann wieder freies Feld, bis plötzlich die Höhe, auf der wir bis dahin fuhren, ſteil abfällt und eine Nie- derung, zunächſt ein Keſſelthal vor uns liegt, in das wir hin- unterrollen. Die Poſtillone blaſen (wir haben drei Beichaiſen), die erſten Häuſer ſchimmern hinter Bäumen hervor, die Leute vor den Thüren richten ſich auf und grüßen, und die Jungen werfen ihre Mützen und ſchreien Hurrah. Es iſt ein Lärm, der einer Reſidenz zur Ehre gereichen würde, und doch iſt es nur Wuſterhauſen, freilich — zu Pfingſten. Wir halten vor der Poſt; drüben iſt ein Gaſthof mit Staub- rouleaux, Waſchtoiletten und Klingelzügen, alles großſtädtiſch, und während mir zwei Lichter auf den Tiſch geſetzt werden, richt’ ich unwillkürlich die Frage an mich: iſt dies daſſelbe Wuſterhauſen, von dem wir jene klaſſiſche, aber freilich wenig ſchmeichelhafte Be- ſchreibung haben, die eine Seite in den Memoiren der Mark- gräfin von Baireuth, der Lieblingsſchweſter Friedrichs des Großen, füllt? Laß doch ſehen, was ſie ſchreibt. Ich war wohlweislich nicht ohne dies Buch aufgebrochen, (das, wenn man ſo will, der „älteſte Fremdenführer von Wuſter- hauſen“ iſt), und las wie folgt: „Mit unſäglicher Mühe hatte der König an dieſem Orte einen Hügel aufführen laſſen, der die Ausſicht ſo gut begrenzte, daß man das verzauberte Schloß nicht eher ſah, als bis man herabgeſtiegen war. Dieſes ſogenannte Palais beſtand aus einem ſehr kleinen Hauptgebäude, deſſen Schönheit durch einen alten Thurm erhöht wurde, zu dem hinauf eine hölzerne Wendeltreppe führte. (In der erſten Ausgabe heißt es von dieſem alten Thurm: „er war ein ehemaliger Diebeswinkel, von einer Bande Räuber erbaut, denen dies Schloß früher gehört hatte.“) Das Gebäude war von einem Erdwall und einem Graben umgeben, deſſen ſchwarzes und fauliges Waſſer dem Styxe glich. Drei Brücken verbanden es mit dem Hofe (in Front des Schloſſes), mit dem

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/131>, abgerufen am 29.04.2024.