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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863.

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Schablonenhafte und das Beziehungslose. Hier hat alles
eine Beziehung, eine Geschichte, wäre diese Beziehung auch oft keine
andere, als, innerhalb der Kleinwelt, eine mühevolle Eroberungs-
Geschichte.

Unser Poet hat sich inzwischen reisefertig gemacht und bietet
uns freundlich seine Führerdienste an. Wer wäre dazu geeigneter,
als er, der nicht nur alle Wege und Stege der Umgegend kennt,
sondern auch die schönsten Punkte in Berg und Thal besungen
hat; die vorgeschrittene Stunde aber macht es uns wünschenswerth,
auf entferntere Touren zu verzichten und unsere Wünsche beschei-
dentlich in ein "je näher, je besser" kleidend, schreiten wir dem
unmittelbar vor der Stadt gelegenen Schloßgartenberg zu, dessen
bauliche Anlagen (Schloß, Pavillon etc.) wir schon in einem frü-
heren Kapitel kennen lernten.

Aber heute lassen wir Schloß und Pavillon am Abhang des
Berges liegen und steigen höher hinauf, wo schmale durchs Park-
holz geschlagene Wege in endlosen Windungen die obere Hälfte
des Hügels umziehen. Kein besserer Plauderweg denkbar, als solch
ein Schlängelweg. Die gerade Linie, die den Raum mißt, hat
auch etwas von einem Zeitmesser, und die 7mal auf- und abge-
schrittene Avenue wirkt unwillkürlich wie ein 7mal gerückter Zeiger;
aber der Schlängelweg entzieht sich jeder Zeitcontrole und die
Frage nach dem "zuviel" wird rein praktisch durch den ermüdeten
oder nicht ermüdeten Fuß entschieden. Die Füße aber ermüden
schwer bei guter Unterhaltung und solcher erfreuen wir uns an
der Seite unseres Führers und Genossen. Von Zeit zu Zeit, wo
eine Lichtung im Park einen Blick ins Freie gestattet, stockt das
Gespräch, aber es ist nur ein lässiges Fallenlassen des Fadens, --
er ruht nur, er ist nicht abgeschnitten. Ungesucht nimmt sich das
Gespräch an selber Stelle wieder auf und in die stille Abendland-
schaft, mit ihrem wechselnden Hintergrund, stellt sich immer klarer
die Gestalt, das Bild unseres Freundes, wie sein eignes Wort es
vor uns entrollt.

Er beginnt mit Schilderungen aus seiner Heimath, seiner

Schablonenhafte und das Beziehungsloſe. Hier hat alles
eine Beziehung, eine Geſchichte, wäre dieſe Beziehung auch oft keine
andere, als, innerhalb der Kleinwelt, eine mühevolle Eroberungs-
Geſchichte.

Unſer Poet hat ſich inzwiſchen reiſefertig gemacht und bietet
uns freundlich ſeine Führerdienſte an. Wer wäre dazu geeigneter,
als er, der nicht nur alle Wege und Stege der Umgegend kennt,
ſondern auch die ſchönſten Punkte in Berg und Thal beſungen
hat; die vorgeſchrittene Stunde aber macht es uns wünſchenswerth,
auf entferntere Touren zu verzichten und unſere Wünſche beſchei-
dentlich in ein „je näher, je beſſer“ kleidend, ſchreiten wir dem
unmittelbar vor der Stadt gelegenen Schloßgartenberg zu, deſſen
bauliche Anlagen (Schloß, Pavillon ꝛc.) wir ſchon in einem frü-
heren Kapitel kennen lernten.

Aber heute laſſen wir Schloß und Pavillon am Abhang des
Berges liegen und ſteigen höher hinauf, wo ſchmale durchs Park-
holz geſchlagene Wege in endloſen Windungen die obere Hälfte
des Hügels umziehen. Kein beſſerer Plauderweg denkbar, als ſolch
ein Schlängelweg. Die gerade Linie, die den Raum mißt, hat
auch etwas von einem Zeitmeſſer, und die 7mal auf- und abge-
ſchrittene Avenue wirkt unwillkürlich wie ein 7mal gerückter Zeiger;
aber der Schlängelweg entzieht ſich jeder Zeitcontrole und die
Frage nach dem „zuviel“ wird rein praktiſch durch den ermüdeten
oder nicht ermüdeten Fuß entſchieden. Die Füße aber ermüden
ſchwer bei guter Unterhaltung und ſolcher erfreuen wir uns an
der Seite unſeres Führers und Genoſſen. Von Zeit zu Zeit, wo
eine Lichtung im Park einen Blick ins Freie geſtattet, ſtockt das
Geſpräch, aber es iſt nur ein läſſiges Fallenlaſſen des Fadens, —
er ruht nur, er iſt nicht abgeſchnitten. Ungeſucht nimmt ſich das
Geſpräch an ſelber Stelle wieder auf und in die ſtille Abendland-
ſchaft, mit ihrem wechſelnden Hintergrund, ſtellt ſich immer klarer
die Geſtalt, das Bild unſeres Freundes, wie ſein eignes Wort es
vor uns entrollt.

Er beginnt mit Schilderungen aus ſeiner Heimath, ſeiner

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[297/0309] Schablonenhafte und das Beziehungsloſe. Hier hat alles eine Beziehung, eine Geſchichte, wäre dieſe Beziehung auch oft keine andere, als, innerhalb der Kleinwelt, eine mühevolle Eroberungs- Geſchichte. Unſer Poet hat ſich inzwiſchen reiſefertig gemacht und bietet uns freundlich ſeine Führerdienſte an. Wer wäre dazu geeigneter, als er, der nicht nur alle Wege und Stege der Umgegend kennt, ſondern auch die ſchönſten Punkte in Berg und Thal beſungen hat; die vorgeſchrittene Stunde aber macht es uns wünſchenswerth, auf entferntere Touren zu verzichten und unſere Wünſche beſchei- dentlich in ein „je näher, je beſſer“ kleidend, ſchreiten wir dem unmittelbar vor der Stadt gelegenen Schloßgartenberg zu, deſſen bauliche Anlagen (Schloß, Pavillon ꝛc.) wir ſchon in einem frü- heren Kapitel kennen lernten. Aber heute laſſen wir Schloß und Pavillon am Abhang des Berges liegen und ſteigen höher hinauf, wo ſchmale durchs Park- holz geſchlagene Wege in endloſen Windungen die obere Hälfte des Hügels umziehen. Kein beſſerer Plauderweg denkbar, als ſolch ein Schlängelweg. Die gerade Linie, die den Raum mißt, hat auch etwas von einem Zeitmeſſer, und die 7mal auf- und abge- ſchrittene Avenue wirkt unwillkürlich wie ein 7mal gerückter Zeiger; aber der Schlängelweg entzieht ſich jeder Zeitcontrole und die Frage nach dem „zuviel“ wird rein praktiſch durch den ermüdeten oder nicht ermüdeten Fuß entſchieden. Die Füße aber ermüden ſchwer bei guter Unterhaltung und ſolcher erfreuen wir uns an der Seite unſeres Führers und Genoſſen. Von Zeit zu Zeit, wo eine Lichtung im Park einen Blick ins Freie geſtattet, ſtockt das Geſpräch, aber es iſt nur ein läſſiges Fallenlaſſen des Fadens, — er ruht nur, er iſt nicht abgeſchnitten. Ungeſucht nimmt ſich das Geſpräch an ſelber Stelle wieder auf und in die ſtille Abendland- ſchaft, mit ihrem wechſelnden Hintergrund, ſtellt ſich immer klarer die Geſtalt, das Bild unſeres Freundes, wie ſein eignes Wort es vor uns entrollt. Er beginnt mit Schilderungen aus ſeiner Heimath, ſeiner

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 297. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/309>, abgerufen am 29.04.2024.