Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863.

Bild:
<< vorherige Seite

wissen, richtiger, alles was wir von ihnen zu erzählen haben wer-
den, in eine sagenhafte und eine historische Zeit. Die histo-
rische Zeit, die etwa gegen Ausgang des 14. Jahrhunderts be-
ginnt, findet die Uchtenhagens bereits in Freienwalde vor; aber
die Frage bleibt ungelöst (wenigstens von der Geschichte): wie ka-
men die Uchtenhagens nach Freienwalde hin? Der Lösung dieser
Frage unterzieht sich ausschließlich die Sage, ja sie geht noch einen
Schritt weiter und beantwortet, ohne historische Skrupel, zugleich
die Frage nach dem eigentlichen Ursprung des Geschlechts.

Die Sage, selbstverständlich, schwankt in ihren Angaben über
diesen Punkt und führt in ihrer einen Version den Ursprung
des Geschlechts auf die märkischen Jagows, in der andern Ver-
sion auf die pommerschen Wedells zurück, auf die Wedells, deren
einer (so erzählt sie) seinen Lehnsherrn, den Pommernherzog, mit-
ten in der Schlacht an den brandenburgischen Markgrafen ver-
rieth, und für diesen Verrath mit Freienwalde belohnt und be-
lehnt wurde. Uebrigens ein Verrath nicht um Goldes willen, son-
dern aus Zorn und Rache.

Die andre, die Jagow-Version, hat einen einschmeichelnderen
Klang und sei darum an dieser Stelle in Kürze erzählt. Hennig
von Jagow ("klein an Gestalt, aber hoch an Gemüth", wie es
von ihm heißt,) nachdem er sich, verdient oder unverdient, die Un-
gnade des Markgrafen zugezogen hatte, war aus dem Lande ver-
bannt worden. Ein Preis stand auf seinen Kopf. Jagow indessen,
unwillig, das Land zu verlassen, daran er hing, zog sich, bis an
die Oder hin, in die Sümpfe und Wälder zurück, die damals die
Ostgrenze des markgräflichen Besitzes bildeten, also aller Wahr-
scheinlichkeit nach in die Berge und Brüche der Freienwalder Ge-
gend. Hier lebte er, mit andren Verbannten und Ausgestoßnen,
das Leben der Geächteten, ungekannt, namenlos, aber sicher im
Schutz der Wälder. Es war ein Leben voll Kampf und Gefahr,
voll Uebermuth, Raub und Poesie, genau so, wie uns alte Bal-
laden und Volksgesänge das Leben des Robin Hood, dieses un-
erreichten Vorbilds poetischen Wald- und Räuberlebens, geschildert

20

wiſſen, richtiger, alles was wir von ihnen zu erzählen haben wer-
den, in eine ſagenhafte und eine hiſtoriſche Zeit. Die hiſto-
riſche Zeit, die etwa gegen Ausgang des 14. Jahrhunderts be-
ginnt, findet die Uchtenhagens bereits in Freienwalde vor; aber
die Frage bleibt ungelöſt (wenigſtens von der Geſchichte): wie ka-
men die Uchtenhagens nach Freienwalde hin? Der Löſung dieſer
Frage unterzieht ſich ausſchließlich die Sage, ja ſie geht noch einen
Schritt weiter und beantwortet, ohne hiſtoriſche Skrupel, zugleich
die Frage nach dem eigentlichen Urſprung des Geſchlechts.

Die Sage, ſelbſtverſtändlich, ſchwankt in ihren Angaben über
dieſen Punkt und führt in ihrer einen Verſion den Urſprung
des Geſchlechts auf die märkiſchen Jagows, in der andern Ver-
ſion auf die pommerſchen Wedells zurück, auf die Wedells, deren
einer (ſo erzählt ſie) ſeinen Lehnsherrn, den Pommernherzog, mit-
ten in der Schlacht an den brandenburgiſchen Markgrafen ver-
rieth, und für dieſen Verrath mit Freienwalde belohnt und be-
lehnt wurde. Uebrigens ein Verrath nicht um Goldes willen, ſon-
dern aus Zorn und Rache.

Die andre, die Jagow-Verſion, hat einen einſchmeichelnderen
Klang und ſei darum an dieſer Stelle in Kürze erzählt. Hennig
von Jagow („klein an Geſtalt, aber hoch an Gemüth“, wie es
von ihm heißt,) nachdem er ſich, verdient oder unverdient, die Un-
gnade des Markgrafen zugezogen hatte, war aus dem Lande ver-
bannt worden. Ein Preis ſtand auf ſeinen Kopf. Jagow indeſſen,
unwillig, das Land zu verlaſſen, daran er hing, zog ſich, bis an
die Oder hin, in die Sümpfe und Wälder zurück, die damals die
Oſtgrenze des markgräflichen Beſitzes bildeten, alſo aller Wahr-
ſcheinlichkeit nach in die Berge und Brüche der Freienwalder Ge-
gend. Hier lebte er, mit andren Verbannten und Ausgeſtoßnen,
das Leben der Geächteten, ungekannt, namenlos, aber ſicher im
Schutz der Wälder. Es war ein Leben voll Kampf und Gefahr,
voll Uebermuth, Raub und Poeſie, genau ſo, wie uns alte Bal-
laden und Volksgeſänge das Leben des Robin Hood, dieſes un-
erreichten Vorbilds poetiſchen Wald- und Räuberlebens, geſchildert

20
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0317" n="305"/>
wi&#x017F;&#x017F;en, richtiger, alles was wir von ihnen zu erzählen haben wer-<lb/>
den, in eine <hi rendition="#g">&#x017F;agenhafte</hi> und eine <hi rendition="#g">hi&#x017F;tori&#x017F;che</hi> Zeit. Die hi&#x017F;to-<lb/>
ri&#x017F;che Zeit, die etwa gegen Ausgang des 14. Jahrhunderts be-<lb/>
ginnt, findet die Uchtenhagens bereits in Freienwalde <hi rendition="#g">vor</hi>; aber<lb/>
die Frage bleibt ungelö&#x017F;t (wenig&#x017F;tens von der Ge&#x017F;chichte): wie ka-<lb/>
men die Uchtenhagens nach Freienwalde <hi rendition="#g">hin</hi>? Der Lö&#x017F;ung die&#x017F;er<lb/>
Frage unterzieht &#x017F;ich aus&#x017F;chließlich die Sage, ja &#x017F;ie geht noch einen<lb/>
Schritt weiter und beantwortet, ohne hi&#x017F;tori&#x017F;che Skrupel, zugleich<lb/>
die Frage nach dem eigentlichen Ur&#x017F;prung des Ge&#x017F;chlechts.</p><lb/>
        <p>Die Sage, &#x017F;elb&#x017F;tver&#x017F;tändlich, &#x017F;chwankt in ihren Angaben über<lb/>
die&#x017F;en Punkt und führt in ihrer <hi rendition="#g">einen</hi> Ver&#x017F;ion den Ur&#x017F;prung<lb/>
des Ge&#x017F;chlechts auf die märki&#x017F;chen Jagows, in der andern Ver-<lb/>
&#x017F;ion auf die pommer&#x017F;chen Wedells zurück, auf die Wedells, deren<lb/>
einer (&#x017F;o erzählt &#x017F;ie) &#x017F;einen Lehnsherrn, den Pommernherzog, mit-<lb/>
ten in der Schlacht an den brandenburgi&#x017F;chen Markgrafen ver-<lb/>
rieth, und für die&#x017F;en Verrath mit Freienwalde belohnt und be-<lb/>
lehnt wurde. Uebrigens ein Verrath nicht um Goldes willen, &#x017F;on-<lb/>
dern aus Zorn und Rache.</p><lb/>
        <p>Die andre, die Jagow-Ver&#x017F;ion, hat einen ein&#x017F;chmeichelnderen<lb/>
Klang und &#x017F;ei darum an die&#x017F;er Stelle in Kürze erzählt. Hennig<lb/>
von Jagow (&#x201E;klein an Ge&#x017F;talt, aber hoch an Gemüth&#x201C;, wie es<lb/>
von ihm heißt,) nachdem er &#x017F;ich, verdient oder unverdient, die Un-<lb/>
gnade des Markgrafen zugezogen hatte, war aus dem Lande ver-<lb/>
bannt worden. Ein Preis &#x017F;tand auf &#x017F;einen Kopf. Jagow inde&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
unwillig, das Land zu verla&#x017F;&#x017F;en, daran er hing, zog &#x017F;ich, bis an<lb/>
die Oder hin, in die Sümpfe und Wälder zurück, die damals die<lb/>
O&#x017F;tgrenze des markgräflichen Be&#x017F;itzes bildeten, al&#x017F;o aller Wahr-<lb/>
&#x017F;cheinlichkeit nach in die Berge und Brüche der Freienwalder Ge-<lb/>
gend. Hier lebte er, mit andren Verbannten und Ausge&#x017F;toßnen,<lb/>
das Leben der Geächteten, ungekannt, namenlos, aber &#x017F;icher im<lb/>
Schutz der Wälder. Es war ein Leben voll Kampf und Gefahr,<lb/>
voll Uebermuth, Raub und Poe&#x017F;ie, genau &#x017F;o, wie uns alte Bal-<lb/>
laden und Volksge&#x017F;änge das Leben des Robin Hood, die&#x017F;es un-<lb/>
erreichten Vorbilds poeti&#x017F;chen Wald- und Räuberlebens, ge&#x017F;childert<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">20</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[305/0317] wiſſen, richtiger, alles was wir von ihnen zu erzählen haben wer- den, in eine ſagenhafte und eine hiſtoriſche Zeit. Die hiſto- riſche Zeit, die etwa gegen Ausgang des 14. Jahrhunderts be- ginnt, findet die Uchtenhagens bereits in Freienwalde vor; aber die Frage bleibt ungelöſt (wenigſtens von der Geſchichte): wie ka- men die Uchtenhagens nach Freienwalde hin? Der Löſung dieſer Frage unterzieht ſich ausſchließlich die Sage, ja ſie geht noch einen Schritt weiter und beantwortet, ohne hiſtoriſche Skrupel, zugleich die Frage nach dem eigentlichen Urſprung des Geſchlechts. Die Sage, ſelbſtverſtändlich, ſchwankt in ihren Angaben über dieſen Punkt und führt in ihrer einen Verſion den Urſprung des Geſchlechts auf die märkiſchen Jagows, in der andern Ver- ſion auf die pommerſchen Wedells zurück, auf die Wedells, deren einer (ſo erzählt ſie) ſeinen Lehnsherrn, den Pommernherzog, mit- ten in der Schlacht an den brandenburgiſchen Markgrafen ver- rieth, und für dieſen Verrath mit Freienwalde belohnt und be- lehnt wurde. Uebrigens ein Verrath nicht um Goldes willen, ſon- dern aus Zorn und Rache. Die andre, die Jagow-Verſion, hat einen einſchmeichelnderen Klang und ſei darum an dieſer Stelle in Kürze erzählt. Hennig von Jagow („klein an Geſtalt, aber hoch an Gemüth“, wie es von ihm heißt,) nachdem er ſich, verdient oder unverdient, die Un- gnade des Markgrafen zugezogen hatte, war aus dem Lande ver- bannt worden. Ein Preis ſtand auf ſeinen Kopf. Jagow indeſſen, unwillig, das Land zu verlaſſen, daran er hing, zog ſich, bis an die Oder hin, in die Sümpfe und Wälder zurück, die damals die Oſtgrenze des markgräflichen Beſitzes bildeten, alſo aller Wahr- ſcheinlichkeit nach in die Berge und Brüche der Freienwalder Ge- gend. Hier lebte er, mit andren Verbannten und Ausgeſtoßnen, das Leben der Geächteten, ungekannt, namenlos, aber ſicher im Schutz der Wälder. Es war ein Leben voll Kampf und Gefahr, voll Uebermuth, Raub und Poeſie, genau ſo, wie uns alte Bal- laden und Volksgeſänge das Leben des Robin Hood, dieſes un- erreichten Vorbilds poetiſchen Wald- und Räuberlebens, geſchildert 20

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/317
Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 305. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/317>, abgerufen am 03.05.2024.