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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873.

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Jahre lang lag er im Lazareth (die Kugel hatte ihm ein Stück
Tragband mit in die Lunge gejagt); dann stand er auf und
war ein genesener Mann. Kein Mensch in Potsdam sprach
von dem, was vorher gegangen war; in Mitleid war jede
andere Betrachtung untergegangen; jeder hatte ein tiefes Mit-
gefühl für den Mann von Ehre, der die leise Schuld, die ihn
traf, mit seinem Blute bezahlt hatte. Er verließ das Lazareth
und wurde Förster in der Pirschhaide. Hier, wo die Lichtung
ist, dort stand sein Haus.

Das Trauerspiel war aus; das Idyll begann. Er schloß
eine glückliche Ehe, und ehe zehn Jahre in's Land gegangen
waren, war er eine "Figur" in Havelland und Zauche. Er
trat wie ein Sonnenschein in jeden Kreis; jedes Gesicht wurde
heiterer, die Kinder liefen ihm entgegen und reichten ihm die
Hand. Er hatte die glücklichste Mischung: einen festen Sinn
und ein freundliches Herz.

So lebte er in unserer Mitte, unseres Dorfes Stolz, sich
und Anderen zur Freude. Aber er sollte nicht zu hohen Jahren
kommen. Eines Morgens -- alle Dächer lagen in Reif und
die Sonne stand wie eine rothe Kugel über den Bäumen, --
da lief es von Haus zu Haus: Schupke ist todt. Es war nur
allzu wahr.

Er hatte einen eigenen Tod gehabt. Einen etwas engen
Stiefel mit Gewalt anziehend, war eines der vernarbten Blut-
gefäße wieder geplatzt und der Erguß in die Lunge hatte seinem
Leben ein Ziel gesetzt.

Drei Tage später haben wir ihn begraben. Keiner fehlte.
Es waren herzliche Thränen, die auf sein Grab fielen. Die
Pirschhaide hatte keinen bessern Mann gesehen.

So erzählte unser Führer. Die Sonne war inzwischen
untergegangen; wir gaben unsern Lukenplatz auf und stiegen
hinunter. Ein weißer, kaum fußhoher Nebel zog über den
Kirchhof hin und hüllte die Gräber ein; aber die Kreuze [ - 1 Zeichen fehlt]agte[ - 1 Zeichen fehlt]
hell darüber hinaus und auf der goldenen Inschrift des einen
lag es wie ein letzter Schimmer.


Jahre lang lag er im Lazareth (die Kugel hatte ihm ein Stück
Tragband mit in die Lunge gejagt); dann ſtand er auf und
war ein geneſener Mann. Kein Menſch in Potsdam ſprach
von dem, was vorher gegangen war; in Mitleid war jede
andere Betrachtung untergegangen; jeder hatte ein tiefes Mit-
gefühl für den Mann von Ehre, der die leiſe Schuld, die ihn
traf, mit ſeinem Blute bezahlt hatte. Er verließ das Lazareth
und wurde Förſter in der Pirſchhaide. Hier, wo die Lichtung
iſt, dort ſtand ſein Haus.

Das Trauerſpiel war aus; das Idyll begann. Er ſchloß
eine glückliche Ehe, und ehe zehn Jahre in’s Land gegangen
waren, war er eine „Figur“ in Havelland und Zauche. Er
trat wie ein Sonnenſchein in jeden Kreis; jedes Geſicht wurde
heiterer, die Kinder liefen ihm entgegen und reichten ihm die
Hand. Er hatte die glücklichſte Miſchung: einen feſten Sinn
und ein freundliches Herz.

So lebte er in unſerer Mitte, unſeres Dorfes Stolz, ſich
und Anderen zur Freude. Aber er ſollte nicht zu hohen Jahren
kommen. Eines Morgens — alle Dächer lagen in Reif und
die Sonne ſtand wie eine rothe Kugel über den Bäumen, —
da lief es von Haus zu Haus: Schupke iſt todt. Es war nur
allzu wahr.

Er hatte einen eigenen Tod gehabt. Einen etwas engen
Stiefel mit Gewalt anziehend, war eines der vernarbten Blut-
gefäße wieder geplatzt und der Erguß in die Lunge hatte ſeinem
Leben ein Ziel geſetzt.

Drei Tage ſpäter haben wir ihn begraben. Keiner fehlte.
Es waren herzliche Thränen, die auf ſein Grab fielen. Die
Pirſchhaide hatte keinen beſſern Mann geſehen.

So erzählte unſer Führer. Die Sonne war inzwiſchen
untergegangen; wir gaben unſern Lukenplatz auf und ſtiegen
hinunter. Ein weißer, kaum fußhoher Nebel zog über den
Kirchhof hin und hüllte die Gräber ein; aber die Kreuze [ – 1 Zeichen fehlt]agte[ – 1 Zeichen fehlt]
hell darüber hinaus und auf der goldenen Inſchrift des einen
lag es wie ein letzter Schimmer.


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[207/0225] Jahre lang lag er im Lazareth (die Kugel hatte ihm ein Stück Tragband mit in die Lunge gejagt); dann ſtand er auf und war ein geneſener Mann. Kein Menſch in Potsdam ſprach von dem, was vorher gegangen war; in Mitleid war jede andere Betrachtung untergegangen; jeder hatte ein tiefes Mit- gefühl für den Mann von Ehre, der die leiſe Schuld, die ihn traf, mit ſeinem Blute bezahlt hatte. Er verließ das Lazareth und wurde Förſter in der Pirſchhaide. Hier, wo die Lichtung iſt, dort ſtand ſein Haus. Das Trauerſpiel war aus; das Idyll begann. Er ſchloß eine glückliche Ehe, und ehe zehn Jahre in’s Land gegangen waren, war er eine „Figur“ in Havelland und Zauche. Er trat wie ein Sonnenſchein in jeden Kreis; jedes Geſicht wurde heiterer, die Kinder liefen ihm entgegen und reichten ihm die Hand. Er hatte die glücklichſte Miſchung: einen feſten Sinn und ein freundliches Herz. So lebte er in unſerer Mitte, unſeres Dorfes Stolz, ſich und Anderen zur Freude. Aber er ſollte nicht zu hohen Jahren kommen. Eines Morgens — alle Dächer lagen in Reif und die Sonne ſtand wie eine rothe Kugel über den Bäumen, — da lief es von Haus zu Haus: Schupke iſt todt. Es war nur allzu wahr. Er hatte einen eigenen Tod gehabt. Einen etwas engen Stiefel mit Gewalt anziehend, war eines der vernarbten Blut- gefäße wieder geplatzt und der Erguß in die Lunge hatte ſeinem Leben ein Ziel geſetzt. Drei Tage ſpäter haben wir ihn begraben. Keiner fehlte. Es waren herzliche Thränen, die auf ſein Grab fielen. Die Pirſchhaide hatte keinen beſſern Mann geſehen. So erzählte unſer Führer. Die Sonne war inzwiſchen untergegangen; wir gaben unſern Lukenplatz auf und ſtiegen hinunter. Ein weißer, kaum fußhoher Nebel zog über den Kirchhof hin und hüllte die Gräber ein; aber die Kreuze _agte_ hell darüber hinaus und auf der goldenen Inſchrift des einen lag es wie ein letzter Schimmer.

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/225>, abgerufen am 28.04.2024.