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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882.

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traurig; ihr Bruder ist angekommen und hat wohl noch einen
letzten Versuch gemacht, ihr in's Gewissen zu reden. -- Der
König scheint nur glücklich zu sein, wenn er sie sieht. Wo sie
ist, sieht er Niemand als sie, spricht nur mit ihr und hat nichts
Anderes mehr im Kopf als seine Leidenschaft. Ich sehe die
Sache dem schlimmsten Ende mit Gewalt zugehen, muß dabei
stehen und kann sie nicht aufhalten. -- Auch die Prinzessin
Friederike scheint jetzt das nahende Unglück zu ahnen und ist
sehr traurig. Sie ist jetzt 20 Jahr alt und steht dem Vater am
nächsten. Sie fühlt ganz wie seine und unsre Ehre bedroht ist. --
Der König klagte mir, meine Nichte behandle ihn schlecht; er
sei fast mit ihr brouillirt; aber dennoch spricht er leider immer-
fort mit ihr. -- Er saß allein mit ihr im Kabinet der alten
Königin; sie scheint in Wahrheit nicht mehr sehr grausam zu
sein; das empört mich und Gott allein weiß, wie unglücklich und
trostlos ich über diese Sache bin. -- Sack predigte heute schön,
aber schwermüthig. Die Sache mit Julie, und die Wendung,
die sie nimmt, zehrt an ihm. -- Heut war Hofconcert. Der
König verließ das Concert, um zur kranken Prinzessin zu gehen,
weil meine Nichte dort war. Diese Leidenschaft läßt ihn alles
Andere vergessen und jede Rücksicht verlieren. -- Das Benehmen
des Königs ist unverzeihlich. Immer verfolgt er sie mit den
Augen und spricht nur mit ihr. Es wäre besser, sie verließe
auch jetzt noch den Hof. -- Gott weiß, bis zu welchem Grade
es mich bekümmert und grämt, den König auf dem directen Wege
zu einem so großen Unrecht zu sehn, zu einem Unrecht, das
unsere Familie überdem so entehrt. -- Heute kam nun endlich,
was ich lange gefürchtet hatte: meine Nichte warf sich in meine
Arme um mir zu sagen, daß ihr Schicksal entschieden sei; sie
wolle dem König angehören, aus Pflicht für ihn und aus Liebe
zu ihm. Ich gesteh', ich finde sie so furchtbar zu beklagen, daß
ich kein Wort mehr habe, sie zu verdammen; sie wird bald
genug namenlos unglücklich sein, denn ihr Gewissen wird sie
nie mehr Ruh und Frieden finden lassen."

So zogen sich die Dinge noch eine Weile hin. In den Tage-
buchblättern immer dieselben Klagen. Eine Zeitlang spielte der
König den Gleichgültigen, oder war es wirklich, und ein Eifersuchts-

traurig; ihr Bruder iſt angekommen und hat wohl noch einen
letzten Verſuch gemacht, ihr in’s Gewiſſen zu reden. — Der
König ſcheint nur glücklich zu ſein, wenn er ſie ſieht. Wo ſie
iſt, ſieht er Niemand als ſie, ſpricht nur mit ihr und hat nichts
Anderes mehr im Kopf als ſeine Leidenſchaft. Ich ſehe die
Sache dem ſchlimmſten Ende mit Gewalt zugehen, muß dabei
ſtehen und kann ſie nicht aufhalten. — Auch die Prinzeſſin
Friederike ſcheint jetzt das nahende Unglück zu ahnen und iſt
ſehr traurig. Sie iſt jetzt 20 Jahr alt und ſteht dem Vater am
nächſten. Sie fühlt ganz wie ſeine und unſre Ehre bedroht iſt. —
Der König klagte mir, meine Nichte behandle ihn ſchlecht; er
ſei faſt mit ihr brouillirt; aber dennoch ſpricht er leider immer-
fort mit ihr. — Er ſaß allein mit ihr im Kabinet der alten
Königin; ſie ſcheint in Wahrheit nicht mehr ſehr grauſam zu
ſein; das empört mich und Gott allein weiß, wie unglücklich und
troſtlos ich über dieſe Sache bin. — Sack predigte heute ſchön,
aber ſchwermüthig. Die Sache mit Julie, und die Wendung,
die ſie nimmt, zehrt an ihm. — Heut war Hofconcert. Der
König verließ das Concert, um zur kranken Prinzeſſin zu gehen,
weil meine Nichte dort war. Dieſe Leidenſchaft läßt ihn alles
Andere vergeſſen und jede Rückſicht verlieren. — Das Benehmen
des Königs iſt unverzeihlich. Immer verfolgt er ſie mit den
Augen und ſpricht nur mit ihr. Es wäre beſſer, ſie verließe
auch jetzt noch den Hof. — Gott weiß, bis zu welchem Grade
es mich bekümmert und grämt, den König auf dem directen Wege
zu einem ſo großen Unrecht zu ſehn, zu einem Unrecht, das
unſere Familie überdem ſo entehrt. — Heute kam nun endlich,
was ich lange gefürchtet hatte: meine Nichte warf ſich in meine
Arme um mir zu ſagen, daß ihr Schickſal entſchieden ſei; ſie
wolle dem König angehören, aus Pflicht für ihn und aus Liebe
zu ihm. Ich geſteh’, ich finde ſie ſo furchtbar zu beklagen, daß
ich kein Wort mehr habe, ſie zu verdammen; ſie wird bald
genug namenlos unglücklich ſein, denn ihr Gewiſſen wird ſie
nie mehr Ruh und Frieden finden laſſen.“

So zogen ſich die Dinge noch eine Weile hin. In den Tage-
buchblättern immer dieſelben Klagen. Eine Zeitlang ſpielte der
König den Gleichgültigen, oder war es wirklich, und ein Eiferſuchts-

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[181/0197] traurig; ihr Bruder iſt angekommen und hat wohl noch einen letzten Verſuch gemacht, ihr in’s Gewiſſen zu reden. — Der König ſcheint nur glücklich zu ſein, wenn er ſie ſieht. Wo ſie iſt, ſieht er Niemand als ſie, ſpricht nur mit ihr und hat nichts Anderes mehr im Kopf als ſeine Leidenſchaft. Ich ſehe die Sache dem ſchlimmſten Ende mit Gewalt zugehen, muß dabei ſtehen und kann ſie nicht aufhalten. — Auch die Prinzeſſin Friederike ſcheint jetzt das nahende Unglück zu ahnen und iſt ſehr traurig. Sie iſt jetzt 20 Jahr alt und ſteht dem Vater am nächſten. Sie fühlt ganz wie ſeine und unſre Ehre bedroht iſt. — Der König klagte mir, meine Nichte behandle ihn ſchlecht; er ſei faſt mit ihr brouillirt; aber dennoch ſpricht er leider immer- fort mit ihr. — Er ſaß allein mit ihr im Kabinet der alten Königin; ſie ſcheint in Wahrheit nicht mehr ſehr grauſam zu ſein; das empört mich und Gott allein weiß, wie unglücklich und troſtlos ich über dieſe Sache bin. — Sack predigte heute ſchön, aber ſchwermüthig. Die Sache mit Julie, und die Wendung, die ſie nimmt, zehrt an ihm. — Heut war Hofconcert. Der König verließ das Concert, um zur kranken Prinzeſſin zu gehen, weil meine Nichte dort war. Dieſe Leidenſchaft läßt ihn alles Andere vergeſſen und jede Rückſicht verlieren. — Das Benehmen des Königs iſt unverzeihlich. Immer verfolgt er ſie mit den Augen und ſpricht nur mit ihr. Es wäre beſſer, ſie verließe auch jetzt noch den Hof. — Gott weiß, bis zu welchem Grade es mich bekümmert und grämt, den König auf dem directen Wege zu einem ſo großen Unrecht zu ſehn, zu einem Unrecht, das unſere Familie überdem ſo entehrt. — Heute kam nun endlich, was ich lange gefürchtet hatte: meine Nichte warf ſich in meine Arme um mir zu ſagen, daß ihr Schickſal entſchieden ſei; ſie wolle dem König angehören, aus Pflicht für ihn und aus Liebe zu ihm. Ich geſteh’, ich finde ſie ſo furchtbar zu beklagen, daß ich kein Wort mehr habe, ſie zu verdammen; ſie wird bald genug namenlos unglücklich ſein, denn ihr Gewiſſen wird ſie nie mehr Ruh und Frieden finden laſſen.“ So zogen ſich die Dinge noch eine Weile hin. In den Tage- buchblättern immer dieſelben Klagen. Eine Zeitlang ſpielte der König den Gleichgültigen, oder war es wirklich, und ein Eiferſuchts-

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/197>, abgerufen am 27.04.2024.