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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882.

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In brieflichen Mittheilungen über sie find' ich das Folgende:
"Die Gräfin, wie sie kurzweg genannt wurde, war eine Dame von
seltener Begabung und Bildung. Was Groeben durch drei Jahr-
zehnte hin war, war es, ohne den mitwirkenden Verdiensten An-
derer zu nahe treten zu wollen, in erster Reihe durch sie. Sie
gab den Ton an, sie bildete den geistigen Mittelpunkt, und war
-- übrigens ohne schön zu sein -- mit jener anmuthenden Vor-
nehmheit ausgestattet, wie wir uns etwa die Goethe'sche Leonore
denken.

"Ihr Interesse wandte sich allen Gebieten des Wissens zu,
was ihr aber, meines Erachtens, eine noch höhere Stellung an-
wies, das war ihre mustergiltige Hausfrauenschaft und ihr unbe-
grenzter, auf Näh und Ferne gerichteter Wohlthätigkeitssinn.
Immer bereit zu helfen, war doch die gleichzeitig von ihr gewährte
geistige Hilfe fast noch trost- und beistandsreicher als die materielle,
so reichlich sie diese bot. Es konnte dies geschehen, weil ihr die
seltene Gabe geworden war, den ihr aus der Fülle der Erfahrung
beinahe mehr noch als aus der Fülle des Glaubens zu Gebote
stehenden Rath immer nur in einer allerschonendsten Weise zu
spenden. In Grundsätzen streng, war sie mild in ihrer Anwendung
und überall richtete sie die Herzen auf, wo ihre vertrauenerweckende
Stimme gehört wurde.

"Selbstverständlich eigneten einer solchen Natur auch er-
zieherische Gaben, und da ihre Ehe kinderlos geblieben war, so
war nichts natürlicher, als daß sie -- wie zur Erprobung ihrer
pädagogischen Talente -- Kinder, namentlich junge Mädchen, in's
Haus nahm. Es waren dies Töchter aus achtbaren aber einfach
bürgerlichen Häusern, und ihr Erziehungstalent erwies sich in
nichts so sehr, als in der Art und Weise, wie sie diese jungen
Mädchen an allem was das Haus gesellschaftlich gewährte, theil-
nehmen ließ und sie doch zugleich für die Lebensstellungen erzog,
in die sie, früher oder später, wieder zurücktreten mußten. Es
gelang ihr, ihren Pfleglingen eine Sicherheit im Auftreten und
in den Formen zu geben, ohne daß in Folge davon der gefähr-
liche, weil so selten zu Vortheil und Segen führende Wunsch in
ihnen aufgekeimt wäre, die bescheidenere Geburtsstellung mit einer
anspruchsvolleren zu vertauschen. All das, ohne jemals durch

In brieflichen Mittheilungen über ſie find’ ich das Folgende:
„Die Gräfin, wie ſie kurzweg genannt wurde, war eine Dame von
ſeltener Begabung und Bildung. Was Groeben durch drei Jahr-
zehnte hin war, war es, ohne den mitwirkenden Verdienſten An-
derer zu nahe treten zu wollen, in erſter Reihe durch ſie. Sie
gab den Ton an, ſie bildete den geiſtigen Mittelpunkt, und war
— übrigens ohne ſchön zu ſein — mit jener anmuthenden Vor-
nehmheit ausgeſtattet, wie wir uns etwa die Goethe’ſche Leonore
denken.

„Ihr Intereſſe wandte ſich allen Gebieten des Wiſſens zu,
was ihr aber, meines Erachtens, eine noch höhere Stellung an-
wies, das war ihre muſtergiltige Hausfrauenſchaft und ihr unbe-
grenzter, auf Näh und Ferne gerichteter Wohlthätigkeitsſinn.
Immer bereit zu helfen, war doch die gleichzeitig von ihr gewährte
geiſtige Hilfe faſt noch troſt- und beiſtandsreicher als die materielle,
ſo reichlich ſie dieſe bot. Es konnte dies geſchehen, weil ihr die
ſeltene Gabe geworden war, den ihr aus der Fülle der Erfahrung
beinahe mehr noch als aus der Fülle des Glaubens zu Gebote
ſtehenden Rath immer nur in einer allerſchonendſten Weiſe zu
ſpenden. In Grundſätzen ſtreng, war ſie mild in ihrer Anwendung
und überall richtete ſie die Herzen auf, wo ihre vertrauenerweckende
Stimme gehört wurde.

„Selbſtverſtändlich eigneten einer ſolchen Natur auch er-
zieheriſche Gaben, und da ihre Ehe kinderlos geblieben war, ſo
war nichts natürlicher, als daß ſie — wie zur Erprobung ihrer
pädagogiſchen Talente — Kinder, namentlich junge Mädchen, in’s
Haus nahm. Es waren dies Töchter aus achtbaren aber einfach
bürgerlichen Häuſern, und ihr Erziehungstalent erwies ſich in
nichts ſo ſehr, als in der Art und Weiſe, wie ſie dieſe jungen
Mädchen an allem was das Haus geſellſchaftlich gewährte, theil-
nehmen ließ und ſie doch zugleich für die Lebensſtellungen erzog,
in die ſie, früher oder ſpäter, wieder zurücktreten mußten. Es
gelang ihr, ihren Pfleglingen eine Sicherheit im Auftreten und
in den Formen zu geben, ohne daß in Folge davon der gefähr-
liche, weil ſo ſelten zu Vortheil und Segen führende Wunſch in
ihnen aufgekeimt wäre, die beſcheidenere Geburtsſtellung mit einer
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[381/0397] In brieflichen Mittheilungen über ſie find’ ich das Folgende: „Die Gräfin, wie ſie kurzweg genannt wurde, war eine Dame von ſeltener Begabung und Bildung. Was Groeben durch drei Jahr- zehnte hin war, war es, ohne den mitwirkenden Verdienſten An- derer zu nahe treten zu wollen, in erſter Reihe durch ſie. Sie gab den Ton an, ſie bildete den geiſtigen Mittelpunkt, und war — übrigens ohne ſchön zu ſein — mit jener anmuthenden Vor- nehmheit ausgeſtattet, wie wir uns etwa die Goethe’ſche Leonore denken. „Ihr Intereſſe wandte ſich allen Gebieten des Wiſſens zu, was ihr aber, meines Erachtens, eine noch höhere Stellung an- wies, das war ihre muſtergiltige Hausfrauenſchaft und ihr unbe- grenzter, auf Näh und Ferne gerichteter Wohlthätigkeitsſinn. Immer bereit zu helfen, war doch die gleichzeitig von ihr gewährte geiſtige Hilfe faſt noch troſt- und beiſtandsreicher als die materielle, ſo reichlich ſie dieſe bot. Es konnte dies geſchehen, weil ihr die ſeltene Gabe geworden war, den ihr aus der Fülle der Erfahrung beinahe mehr noch als aus der Fülle des Glaubens zu Gebote ſtehenden Rath immer nur in einer allerſchonendſten Weiſe zu ſpenden. In Grundſätzen ſtreng, war ſie mild in ihrer Anwendung und überall richtete ſie die Herzen auf, wo ihre vertrauenerweckende Stimme gehört wurde. „Selbſtverſtändlich eigneten einer ſolchen Natur auch er- zieheriſche Gaben, und da ihre Ehe kinderlos geblieben war, ſo war nichts natürlicher, als daß ſie — wie zur Erprobung ihrer pädagogiſchen Talente — Kinder, namentlich junge Mädchen, in’s Haus nahm. Es waren dies Töchter aus achtbaren aber einfach bürgerlichen Häuſern, und ihr Erziehungstalent erwies ſich in nichts ſo ſehr, als in der Art und Weiſe, wie ſie dieſe jungen Mädchen an allem was das Haus geſellſchaftlich gewährte, theil- nehmen ließ und ſie doch zugleich für die Lebensſtellungen erzog, in die ſie, früher oder ſpäter, wieder zurücktreten mußten. Es gelang ihr, ihren Pfleglingen eine Sicherheit im Auftreten und in den Formen zu geben, ohne daß in Folge davon der gefähr- liche, weil ſo ſelten zu Vortheil und Segen führende Wunſch in ihnen aufgekeimt wäre, die beſcheidenere Geburtsſtellung mit einer anſpruchsvolleren zu vertauſchen. All das, ohne jemals durch

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 381. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/397>, abgerufen am 07.05.2024.