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Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896.

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Effi Briest
fest protestantisch erzogen und würde sehr erschrocken
gewesen sein, wenn man an und in ihr 'was Ka¬
tholisches entdeckt hätte; trotzdem glaubte sie, daß der
Katholizismus uns gegen solche Dinge "wie da oben"
besser schütze; ja, diese Betrachtung hatte bei dem
Plane, Roswitha ins Haus zu nehmen, ganz er¬
heblich mitgewirkt.

Man lebte sich schnell ein, denn Effi hatte ganz
den liebenswürdigen Zug der meisten märkischen
Landfräulein, sich gern allerlei kleine Geschichten er¬
zählen zu lassen, und die verstorbene Frau Regi¬
stratorin und ihr Geiz und ihre Neffen und deren
Frauen boten einen unerschöpflichen Stoff. Auch
Johanna hörte dabei gerne zu.

Diese, wenn Effi bei den drastischen Stellen
oft laut lachte, lächelte freilich und verwunderte sich
im stillen, daß die gnädige Frau an all dem dummen
Zeuge so viel Gefallen finde; diese Verwunderung
aber, die mit einem starken Überlegenheitsgefühle
Hand in Hand ging, war doch auch wieder ein Glück
und sorgte dafür, daß keine Rangstreitigkeiten auf¬
kommen konnten. Roswitha war einfach die komische
Figur, und Neid gegen sie zu hegen, wäre für
Johanna nichts anderes gewesen, wie wenn sie Rollo
um seine Freundschaftsstellung beneidet hätte.

So verging eine Woche, plauderhaft und beinahe

Effi Brieſt
feſt proteſtantiſch erzogen und würde ſehr erſchrocken
geweſen ſein, wenn man an und in ihr 'was Ka¬
tholiſches entdeckt hätte; trotzdem glaubte ſie, daß der
Katholizismus uns gegen ſolche Dinge „wie da oben“
beſſer ſchütze; ja, dieſe Betrachtung hatte bei dem
Plane, Roswitha ins Haus zu nehmen, ganz er¬
heblich mitgewirkt.

Man lebte ſich ſchnell ein, denn Effi hatte ganz
den liebenswürdigen Zug der meiſten märkiſchen
Landfräulein, ſich gern allerlei kleine Geſchichten er¬
zählen zu laſſen, und die verſtorbene Frau Regi¬
ſtratorin und ihr Geiz und ihre Neffen und deren
Frauen boten einen unerſchöpflichen Stoff. Auch
Johanna hörte dabei gerne zu.

Dieſe, wenn Effi bei den draſtiſchen Stellen
oft laut lachte, lächelte freilich und verwunderte ſich
im ſtillen, daß die gnädige Frau an all dem dummen
Zeuge ſo viel Gefallen finde; dieſe Verwunderung
aber, die mit einem ſtarken Überlegenheitsgefühle
Hand in Hand ging, war doch auch wieder ein Glück
und ſorgte dafür, daß keine Rangſtreitigkeiten auf¬
kommen konnten. Roswitha war einfach die komiſche
Figur, und Neid gegen ſie zu hegen, wäre für
Johanna nichts anderes geweſen, wie wenn ſie Rollo
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[197/0206] Effi Brieſt feſt proteſtantiſch erzogen und würde ſehr erſchrocken geweſen ſein, wenn man an und in ihr 'was Ka¬ tholiſches entdeckt hätte; trotzdem glaubte ſie, daß der Katholizismus uns gegen ſolche Dinge „wie da oben“ beſſer ſchütze; ja, dieſe Betrachtung hatte bei dem Plane, Roswitha ins Haus zu nehmen, ganz er¬ heblich mitgewirkt. Man lebte ſich ſchnell ein, denn Effi hatte ganz den liebenswürdigen Zug der meiſten märkiſchen Landfräulein, ſich gern allerlei kleine Geſchichten er¬ zählen zu laſſen, und die verſtorbene Frau Regi¬ ſtratorin und ihr Geiz und ihre Neffen und deren Frauen boten einen unerſchöpflichen Stoff. Auch Johanna hörte dabei gerne zu. Dieſe, wenn Effi bei den draſtiſchen Stellen oft laut lachte, lächelte freilich und verwunderte ſich im ſtillen, daß die gnädige Frau an all dem dummen Zeuge ſo viel Gefallen finde; dieſe Verwunderung aber, die mit einem ſtarken Überlegenheitsgefühle Hand in Hand ging, war doch auch wieder ein Glück und ſorgte dafür, daß keine Rangſtreitigkeiten auf¬ kommen konnten. Roswitha war einfach die komiſche Figur, und Neid gegen ſie zu hegen, wäre für Johanna nichts anderes geweſen, wie wenn ſie Rollo um ſeine Freundſchaftsſtellung beneidet hätte. So verging eine Woche, plauderhaft und beinahe

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896/206>, abgerufen am 29.04.2024.