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Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896.

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Effi Briest
Sonnenblick aus dem Gewölk hervor. Effi gedachte
des Tages, wo sie, vor jetzt gerade Fünfvierteljahren,
im offenen Wagen am Ufer eben dieses Breitlings
hin entlang gefahren war. Eine kurze Spanne Zeit,
und das Leben oft so still und einsam. Und doch,
was war alles seitdem geschehen!

So fuhr man die Wasserstraße hinauf und war
um zwei an der Station oder doch ganz in Nähe
derselben. Als man gleich danach das Gasthaus des
,Fürsten Bismarck' passierte, stand auch Golchowski
wieder in der Thür und versäumte nicht, den Herrn
Landrat und die gnädige Frau bis an die Stufen
der Böschung zu geleiten. Oben war der Zug noch
nicht angemeldet, und Effi und Innstetten schritten
auf dem Bahnsteig auf und ab. Ihr Gespräch drehte
sich um die Wohnungsfrage; man war einig über
den Stadtteil, und daß es zwischen dem Tiergarten
und dem Zoologischen Garten sein müsse. "Ich
will den Finkenschlag hören und die Papageien auch,"
sagte Innstetten, und Effi stimmte ihm zu.

Nun aber hörte man das Signal und der Zug
lief ein; der Bahnhofsinspektor war voller Entgegen¬
kommen, und Effi erhielt ein Coupe für sich.

Noch ein Händedruck, ein Wehen mit dem Tuch,
und der Zug setzte sich wieder in Bewegung.


Effi Brieſt
Sonnenblick aus dem Gewölk hervor. Effi gedachte
des Tages, wo ſie, vor jetzt gerade Fünfvierteljahren,
im offenen Wagen am Ufer eben dieſes Breitlings
hin entlang gefahren war. Eine kurze Spanne Zeit,
und das Leben oft ſo ſtill und einſam. Und doch,
was war alles ſeitdem geſchehen!

So fuhr man die Waſſerſtraße hinauf und war
um zwei an der Station oder doch ganz in Nähe
derſelben. Als man gleich danach das Gaſthaus des
‚Fürſten Bismarck‘ paſſierte, ſtand auch Golchowski
wieder in der Thür und verſäumte nicht, den Herrn
Landrat und die gnädige Frau bis an die Stufen
der Böſchung zu geleiten. Oben war der Zug noch
nicht angemeldet, und Effi und Innſtetten ſchritten
auf dem Bahnſteig auf und ab. Ihr Geſpräch drehte
ſich um die Wohnungsfrage; man war einig über
den Stadtteil, und daß es zwiſchen dem Tiergarten
und dem Zoologiſchen Garten ſein müſſe. „Ich
will den Finkenſchlag hören und die Papageien auch,“
ſagte Innſtetten, und Effi ſtimmte ihm zu.

Nun aber hörte man das Signal und der Zug
lief ein; der Bahnhofsinſpektor war voller Entgegen¬
kommen, und Effi erhielt ein Coupé für ſich.

Noch ein Händedruck, ein Wehen mit dem Tuch,
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[333/0342] Effi Brieſt Sonnenblick aus dem Gewölk hervor. Effi gedachte des Tages, wo ſie, vor jetzt gerade Fünfvierteljahren, im offenen Wagen am Ufer eben dieſes Breitlings hin entlang gefahren war. Eine kurze Spanne Zeit, und das Leben oft ſo ſtill und einſam. Und doch, was war alles ſeitdem geſchehen! So fuhr man die Waſſerſtraße hinauf und war um zwei an der Station oder doch ganz in Nähe derſelben. Als man gleich danach das Gaſthaus des ‚Fürſten Bismarck‘ paſſierte, ſtand auch Golchowski wieder in der Thür und verſäumte nicht, den Herrn Landrat und die gnädige Frau bis an die Stufen der Böſchung zu geleiten. Oben war der Zug noch nicht angemeldet, und Effi und Innſtetten ſchritten auf dem Bahnſteig auf und ab. Ihr Geſpräch drehte ſich um die Wohnungsfrage; man war einig über den Stadtteil, und daß es zwiſchen dem Tiergarten und dem Zoologiſchen Garten ſein müſſe. „Ich will den Finkenſchlag hören und die Papageien auch,“ ſagte Innſtetten, und Effi ſtimmte ihm zu. Nun aber hörte man das Signal und der Zug lief ein; der Bahnhofsinſpektor war voller Entgegen¬ kommen, und Effi erhielt ein Coupé für ſich. Noch ein Händedruck, ein Wehen mit dem Tuch, und der Zug ſetzte ſich wieder in Bewegung.

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896, S. 333. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896/342>, abgerufen am 29.04.2024.