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Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896.

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Effi Briest

Den zweiten Tag danach traf ein Brief in
Hohen-Cremmen ein, der lautete: "Gnädigste Frau!
Meine alten freundschaftlichen Beziehungen zu den
Häusern Briest und Belling, und nicht zum wenigsten
die herzliche Liebe, die ich zu Ihrer Frau Tochter
hege, werden diese Zeilen rechtfertigen. Es geht
so nicht weiter. Ihre Frau Tochter, wenn nicht
etwas geschieht, das sie der Einsamkeit und dem
Schmerzlichen ihres nun seit Jahren geführten Lebens
entreißt, wird schnell hinsiechen. Eine Disposition zu
Phtisis war immer da, weshalb ich schon vor Jahren
Ems verordnete; zu diesem alten Übel hat sich nun
ein neues gesellt: ihre Nerven zehren sich auf. Dem
Einhalt zu thun, ist ein Luftwechsel nötig. Aber
wohin? Es würde nicht schwer sein, in den
schlesischen Bädern eine Auswahl zu treffen, Salz¬
brunn gut, und Reinerz, wegen der Nervenkomplikation,
noch besser. Aber es darf nur Hohen-Cremmen sein.
Denn, meine gnädigste Frau, was Ihrer Frau Tochter
Genesung bringen kann, ist nicht Luft allein; sie
siecht hin, weil sie nichts hat als Roswitha. Diener¬
treue ist schön, aber Elternliebe ist besser. Verzeihen
Sie einem alten Manne dies Sicheinmischen in Dinge,
die jenseits seines ärztlichen Berufes liegen. Und
doch auch wieder nicht, denn es ist schließlich auch
der Arzt, der hier spricht und seiner Pflicht nach,

Effi Brieſt

Den zweiten Tag danach traf ein Brief in
Hohen-Cremmen ein, der lautete: „Gnädigſte Frau!
Meine alten freundſchaftlichen Beziehungen zu den
Häuſern Brieſt und Belling, und nicht zum wenigſten
die herzliche Liebe, die ich zu Ihrer Frau Tochter
hege, werden dieſe Zeilen rechtfertigen. Es geht
ſo nicht weiter. Ihre Frau Tochter, wenn nicht
etwas geſchieht, das ſie der Einſamkeit und dem
Schmerzlichen ihres nun ſeit Jahren geführten Lebens
entreißt, wird ſchnell hinſiechen. Eine Dispoſition zu
Phtiſis war immer da, weshalb ich ſchon vor Jahren
Ems verordnete; zu dieſem alten Übel hat ſich nun
ein neues geſellt: ihre Nerven zehren ſich auf. Dem
Einhalt zu thun, iſt ein Luftwechſel nötig. Aber
wohin? Es würde nicht ſchwer ſein, in den
ſchleſiſchen Bädern eine Auswahl zu treffen, Salz¬
brunn gut, und Reinerz, wegen der Nervenkomplikation,
noch beſſer. Aber es darf nur Hohen-Cremmen ſein.
Denn, meine gnädigſte Frau, was Ihrer Frau Tochter
Geneſung bringen kann, iſt nicht Luft allein; ſie
ſiecht hin, weil ſie nichts hat als Roswitha. Diener¬
treue iſt ſchön, aber Elternliebe iſt beſſer. Verzeihen
Sie einem alten Manne dies Sicheinmiſchen in Dinge,
die jenſeits ſeines ärztlichen Berufes liegen. Und
doch auch wieder nicht, denn es iſt ſchließlich auch
der Arzt, der hier ſpricht und ſeiner Pflicht nach,

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[486/0495] Effi Brieſt Den zweiten Tag danach traf ein Brief in Hohen-Cremmen ein, der lautete: „Gnädigſte Frau! Meine alten freundſchaftlichen Beziehungen zu den Häuſern Brieſt und Belling, und nicht zum wenigſten die herzliche Liebe, die ich zu Ihrer Frau Tochter hege, werden dieſe Zeilen rechtfertigen. Es geht ſo nicht weiter. Ihre Frau Tochter, wenn nicht etwas geſchieht, das ſie der Einſamkeit und dem Schmerzlichen ihres nun ſeit Jahren geführten Lebens entreißt, wird ſchnell hinſiechen. Eine Dispoſition zu Phtiſis war immer da, weshalb ich ſchon vor Jahren Ems verordnete; zu dieſem alten Übel hat ſich nun ein neues geſellt: ihre Nerven zehren ſich auf. Dem Einhalt zu thun, iſt ein Luftwechſel nötig. Aber wohin? Es würde nicht ſchwer ſein, in den ſchleſiſchen Bädern eine Auswahl zu treffen, Salz¬ brunn gut, und Reinerz, wegen der Nervenkomplikation, noch beſſer. Aber es darf nur Hohen-Cremmen ſein. Denn, meine gnädigſte Frau, was Ihrer Frau Tochter Geneſung bringen kann, iſt nicht Luft allein; ſie ſiecht hin, weil ſie nichts hat als Roswitha. Diener¬ treue iſt ſchön, aber Elternliebe iſt beſſer. Verzeihen Sie einem alten Manne dies Sicheinmiſchen in Dinge, die jenſeits ſeines ärztlichen Berufes liegen. Und doch auch wieder nicht, denn es iſt ſchließlich auch der Arzt, der hier ſpricht und ſeiner Pflicht nach,

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896, S. 486. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896/495>, abgerufen am 05.05.2024.