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Fontane, Theodor: Irrungen, Wirrungen. Leipzig, 1888.

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56 oder mehr ist er noch wie vernarrt in seine
Frau und blos weil sie so groß ist. Beide haben
mir die wunderlichsten Geständnisse darüber ge¬
macht. Ich bekenne Dir offen, mein Geschmack wäre
sie nicht."

"Da hast Du aber Unrecht, Lene; sie macht eine
Figur."

"Ja," lachte Lene, "sie macht eine Figur, aber
sie hat keine. Siehst Du denn gar nicht, daß ihr
die Hüften eine Hand breit zu hoch sitzen? Aber
so was seht ihr nicht und "Figur" und "stattlich" ist
immer euer drittes Wort, ohne daß sich wer drum
kümmert, wo denn die Stattlichkeit eigentlich her¬
kommt."

So plaudernd und neckend blieb sie stehn und
bückte sich, um auf einem langen und schmalen Erd¬
beerbeete, das sich in Front von Zaun und Hecke
hinzog, nach einer Früh-Erdbeere zu suchen. Endlich
hatte sie, was sie wollte, nahm das Stengelchen
eines wahren Prachtexemplares zwischen die Lippen
und trat vor ihn hin und sah ihn an.

Er war auch nicht säumig, pflückte die Beere
von ihrem Munde fort und umarmte sie und
küßte sie.

"Meine süße Lene, das hast Du recht gemacht.
Aber höre nur, wie Sultan blafft; er will bei Dir
sein; soll ich ihn losmachen?"

56 oder mehr iſt er noch wie vernarrt in ſeine
Frau und blos weil ſie ſo groß iſt. Beide haben
mir die wunderlichſten Geſtändniſſe darüber ge¬
macht. Ich bekenne Dir offen, mein Geſchmack wäre
ſie nicht.“

„Da haſt Du aber Unrecht, Lene; ſie macht eine
Figur.“

„Ja,“ lachte Lene, „ſie macht eine Figur, aber
ſie hat keine. Siehſt Du denn gar nicht, daß ihr
die Hüften eine Hand breit zu hoch ſitzen? Aber
ſo was ſeht ihr nicht und „Figur“ und „ſtattlich“ iſt
immer euer drittes Wort, ohne daß ſich wer drum
kümmert, wo denn die Stattlichkeit eigentlich her¬
kommt.“

So plaudernd und neckend blieb ſie ſtehn und
bückte ſich, um auf einem langen und ſchmalen Erd¬
beerbeete, das ſich in Front von Zaun und Hecke
hinzog, nach einer Früh-Erdbeere zu ſuchen. Endlich
hatte ſie, was ſie wollte, nahm das Stengelchen
eines wahren Prachtexemplares zwiſchen die Lippen
und trat vor ihn hin und ſah ihn an.

Er war auch nicht ſäumig, pflückte die Beere
von ihrem Munde fort und umarmte ſie und
küßte ſie.

„Meine ſüße Lene, das haſt Du recht gemacht.
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[45/0055] 56 oder mehr iſt er noch wie vernarrt in ſeine Frau und blos weil ſie ſo groß iſt. Beide haben mir die wunderlichſten Geſtändniſſe darüber ge¬ macht. Ich bekenne Dir offen, mein Geſchmack wäre ſie nicht.“ „Da haſt Du aber Unrecht, Lene; ſie macht eine Figur.“ „Ja,“ lachte Lene, „ſie macht eine Figur, aber ſie hat keine. Siehſt Du denn gar nicht, daß ihr die Hüften eine Hand breit zu hoch ſitzen? Aber ſo was ſeht ihr nicht und „Figur“ und „ſtattlich“ iſt immer euer drittes Wort, ohne daß ſich wer drum kümmert, wo denn die Stattlichkeit eigentlich her¬ kommt.“ So plaudernd und neckend blieb ſie ſtehn und bückte ſich, um auf einem langen und ſchmalen Erd¬ beerbeete, das ſich in Front von Zaun und Hecke hinzog, nach einer Früh-Erdbeere zu ſuchen. Endlich hatte ſie, was ſie wollte, nahm das Stengelchen eines wahren Prachtexemplares zwiſchen die Lippen und trat vor ihn hin und ſah ihn an. Er war auch nicht ſäumig, pflückte die Beere von ihrem Munde fort und umarmte ſie und küßte ſie. „Meine ſüße Lene, das haſt Du recht gemacht. Aber höre nur, wie Sultan blafft; er will bei Dir ſein; ſoll ich ihn losmachen?“

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Irrungen, Wirrungen. Leipzig, 1888, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_irrungen_1888/55>, abgerufen am 27.04.2024.