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Fontane, Theodor: Irrungen, Wirrungen. Leipzig, 1888.

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liche Handschrift seiner Mutter unschwer erkannt
hatte. "Dacht' ich's doch . . Ich weiß schon, eh ich
gelesen. Arme Lene."

Und nun brach er den Brief auf und las:

"Schloß Zehden. 29. Juni 1875. Mein
lieber Botho. Was ich Dir als Befürchtung in
meinem letzten Briefe mittheilte, das hat sich nun
erfüllt: Rothmüller in Arnswalde hat sein Kapital
zum 1. Oktober gekündigt und nur "aus alter
Freundschaft" hinzugefügt, daß er bis Neujahr
warten wolle, wenn es mir eine Verlegenheit schaffe.
"Denn er wisse wohl, was er dem Andenken des
seligen Herrn Barons schuldig sei." Diese Hinzu¬
fügung, so gut sie gemeint sein mag, ist doch doppelt
empfindlich für mich: es mischt sich so viel prätentiöse
Rücksichtnahme mit ein, die niemals angenehm be¬
rührt, am wenigsten von solcher Seite her. Du
begreifst vielleicht die Verstimmung und Sorge, die
mir diese Zeilen geschaffen haben. Onkel Kurt
Anton würde helfen, wie schon bei frührer Gelegen¬
heit, er liebt mich und vor Allem Dich, aber seine
Geneigtheit immer wieder in Anspruch zu nehmen,
hat doch etwas Bedrückliches und hat es um so
mehr, als er unsrer ganzen Familie, speziell aber
uns beiden, die Schuld an unsren ewigen Verlegen¬
heiten zuschiebt. Ich bin ihm, trotz meines redlichen
mich Kümmerns um die Wirthschaft, nicht wirth¬

liche Handſchrift ſeiner Mutter unſchwer erkannt
hatte. „Dacht' ich's doch . . Ich weiß ſchon, eh ich
geleſen. Arme Lene.“

Und nun brach er den Brief auf und las:

Schloß Zehden. 29. Juni 1875. Mein
lieber Botho. Was ich Dir als Befürchtung in
meinem letzten Briefe mittheilte, das hat ſich nun
erfüllt: Rothmüller in Arnswalde hat ſein Kapital
zum 1. Oktober gekündigt und nur „aus alter
Freundſchaft“ hinzugefügt, daß er bis Neujahr
warten wolle, wenn es mir eine Verlegenheit ſchaffe.
„Denn er wiſſe wohl, was er dem Andenken des
ſeligen Herrn Barons ſchuldig ſei.“ Dieſe Hinzu¬
fügung, ſo gut ſie gemeint ſein mag, iſt doch doppelt
empfindlich für mich: es miſcht ſich ſo viel prätentiöſe
Rückſichtnahme mit ein, die niemals angenehm be¬
rührt, am wenigſten von ſolcher Seite her. Du
begreifſt vielleicht die Verſtimmung und Sorge, die
mir dieſe Zeilen geſchaffen haben. Onkel Kurt
Anton würde helfen, wie ſchon bei frührer Gelegen¬
heit, er liebt mich und vor Allem Dich, aber ſeine
Geneigtheit immer wieder in Anſpruch zu nehmen,
hat doch etwas Bedrückliches und hat es um ſo
mehr, als er unſrer ganzen Familie, ſpeziell aber
uns beiden, die Schuld an unſren ewigen Verlegen¬
heiten zuſchiebt. Ich bin ihm, trotz meines redlichen
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[148/0158] liche Handſchrift ſeiner Mutter unſchwer erkannt hatte. „Dacht' ich's doch . . Ich weiß ſchon, eh ich geleſen. Arme Lene.“ Und nun brach er den Brief auf und las: „Schloß Zehden. 29. Juni 1875. Mein lieber Botho. Was ich Dir als Befürchtung in meinem letzten Briefe mittheilte, das hat ſich nun erfüllt: Rothmüller in Arnswalde hat ſein Kapital zum 1. Oktober gekündigt und nur „aus alter Freundſchaft“ hinzugefügt, daß er bis Neujahr warten wolle, wenn es mir eine Verlegenheit ſchaffe. „Denn er wiſſe wohl, was er dem Andenken des ſeligen Herrn Barons ſchuldig ſei.“ Dieſe Hinzu¬ fügung, ſo gut ſie gemeint ſein mag, iſt doch doppelt empfindlich für mich: es miſcht ſich ſo viel prätentiöſe Rückſichtnahme mit ein, die niemals angenehm be¬ rührt, am wenigſten von ſolcher Seite her. Du begreifſt vielleicht die Verſtimmung und Sorge, die mir dieſe Zeilen geſchaffen haben. Onkel Kurt Anton würde helfen, wie ſchon bei frührer Gelegen¬ heit, er liebt mich und vor Allem Dich, aber ſeine Geneigtheit immer wieder in Anſpruch zu nehmen, hat doch etwas Bedrückliches und hat es um ſo mehr, als er unſrer ganzen Familie, ſpeziell aber uns beiden, die Schuld an unſren ewigen Verlegen¬ heiten zuſchiebt. Ich bin ihm, trotz meines redlichen mich Kümmerns um die Wirthſchaft, nicht wirth¬

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Irrungen, Wirrungen. Leipzig, 1888, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_irrungen_1888/158>, abgerufen am 30.04.2024.