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Fontane, Theodor: Irrungen, Wirrungen. Leipzig, 1888.

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Pferd wieder beruhigt hatte, nahm er den früheren
Gedankengang wieder auf und wiederholte: "Weil
ich sie liebe! Ja. Und warum soll ich mich dieser
Neigung schämen? Das Gefühl ist souverän und
die Thatsache, daß man liebt, ist auch das Recht
dazu, möge die Welt noch so sehr den Kopf darüber
schütteln oder von Räthsel sprechen, Uebrigens ist
es kein Räthsel und wenn doch, so kann ich es lösen.
Jeder Mensch ist seiner Natur nach auf bestimmte,
mitunter sehr, sehr kleine Dinge gestellt. Dinge, die,
trotzdem sie klein sind, für ihn das Leben oder doch
des Lebens Bestes bedeuten. Und dies Beste heißt
mir Einfachheit, Wahrheit, Natürlichkeit. Das alles
hat Lene, damit hat sie mir's angethan, da liegt
der Zauber, aus dem mich zu lösen, mir jetzt so
schwer fällt."

In diesem Augenblicke stutzte sein Pferd und er
wurde eines aus einem Wiesenstreifen aufgescheuchten
Hasen gewahr, der dicht vor ihm auf die Jungfern¬
haide zujagte. Neugierig sah er ihm nach und nahm
seine Betrachtungen erst wieder auf, als der Flüch¬
tige zwischen den Stämmen der Haide verschwunden
war. "Und war es denn," fuhr er fort, "etwas so
Thörichtes und Unmögliches, was ich wollte? Nein.
Es liegt nicht in mir, die Welt herauszufordern und
ihr und ihren Vorurtheilen öffentlich den Krieg zu
erklären; ich bin durchaus gegen solche Donquixo¬

Pferd wieder beruhigt hatte, nahm er den früheren
Gedankengang wieder auf und wiederholte: „Weil
ich ſie liebe! Ja. Und warum ſoll ich mich dieſer
Neigung ſchämen? Das Gefühl iſt ſouverän und
die Thatſache, daß man liebt, iſt auch das Recht
dazu, möge die Welt noch ſo ſehr den Kopf darüber
ſchütteln oder von Räthſel ſprechen, Uebrigens iſt
es kein Räthſel und wenn doch, ſo kann ich es löſen.
Jeder Menſch iſt ſeiner Natur nach auf beſtimmte,
mitunter ſehr, ſehr kleine Dinge geſtellt. Dinge, die,
trotzdem ſie klein ſind, für ihn das Leben oder doch
des Lebens Beſtes bedeuten. Und dies Beſte heißt
mir Einfachheit, Wahrheit, Natürlichkeit. Das alles
hat Lene, damit hat ſie mir's angethan, da liegt
der Zauber, aus dem mich zu löſen, mir jetzt ſo
ſchwer fällt.“

In dieſem Augenblicke ſtutzte ſein Pferd und er
wurde eines aus einem Wieſenſtreifen aufgeſcheuchten
Haſen gewahr, der dicht vor ihm auf die Jungfern¬
haide zujagte. Neugierig ſah er ihm nach und nahm
ſeine Betrachtungen erſt wieder auf, als der Flüch¬
tige zwiſchen den Stämmen der Haide verſchwunden
war. „Und war es denn,“ fuhr er fort, „etwas ſo
Thörichtes und Unmögliches, was ich wollte? Nein.
Es liegt nicht in mir, die Welt herauszufordern und
ihr und ihren Vorurtheilen öffentlich den Krieg zu
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[154/0164] Pferd wieder beruhigt hatte, nahm er den früheren Gedankengang wieder auf und wiederholte: „Weil ich ſie liebe! Ja. Und warum ſoll ich mich dieſer Neigung ſchämen? Das Gefühl iſt ſouverän und die Thatſache, daß man liebt, iſt auch das Recht dazu, möge die Welt noch ſo ſehr den Kopf darüber ſchütteln oder von Räthſel ſprechen, Uebrigens iſt es kein Räthſel und wenn doch, ſo kann ich es löſen. Jeder Menſch iſt ſeiner Natur nach auf beſtimmte, mitunter ſehr, ſehr kleine Dinge geſtellt. Dinge, die, trotzdem ſie klein ſind, für ihn das Leben oder doch des Lebens Beſtes bedeuten. Und dies Beſte heißt mir Einfachheit, Wahrheit, Natürlichkeit. Das alles hat Lene, damit hat ſie mir's angethan, da liegt der Zauber, aus dem mich zu löſen, mir jetzt ſo ſchwer fällt.“ In dieſem Augenblicke ſtutzte ſein Pferd und er wurde eines aus einem Wieſenſtreifen aufgeſcheuchten Haſen gewahr, der dicht vor ihm auf die Jungfern¬ haide zujagte. Neugierig ſah er ihm nach und nahm ſeine Betrachtungen erſt wieder auf, als der Flüch¬ tige zwiſchen den Stämmen der Haide verſchwunden war. „Und war es denn,“ fuhr er fort, „etwas ſo Thörichtes und Unmögliches, was ich wollte? Nein. Es liegt nicht in mir, die Welt herauszufordern und ihr und ihren Vorurtheilen öffentlich den Krieg zu erklären; ich bin durchaus gegen ſolche Donquixo¬

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Irrungen, Wirrungen. Leipzig, 1888, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_irrungen_1888/164>, abgerufen am 30.04.2024.