Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fontane, Theodor: Irrungen, Wirrungen. Leipzig, 1888.

Bild:
<< vorherige Seite

Wege, die zu Glück führen, dessen bin ich in
meinem Herzen gleicherweise gewiß. Und der eine
Weg ist gut und der andre Weg ist gut. Aber
jeder gute Weg muß ein offner Weg und ein ge¬
rader Weg sein und in der Sonne liegen und ohne
Morast und ohne Sumpf und ohne Irrlicht. Auf
die Wahrheit kommt es an und auf die Zuverlässig¬
keit kommt es an und auf die Ehrlichkeit."

Franke hatte sich bei diesen Worten erhoben
und Botho, der ihm artig bis an die Thür hin
folgte, gab ihm hier die Hand.

"Und nun, Herr Franke, bitt' ich zum Abschied
noch um das Eine: grüßen Sie mir die Frau Dörr,
wenn Sie sie sehn und der alte Verkehr mit ihr
noch andauert, und vor allem grüßen Sie mir die
gute alte Frau Nimptsch. Hat sie denn noch ihre
Gicht und ihre "Wehdage", worüber sie sonst be¬
ständig klagte?"

"Damit ist es vorbei."

"Wie das?" fragte Botho.

"Wir haben sie vor drei Wochen schon begraben,
Herr Baron. Gerade heut vor drei Wochen."

"Begraben?" wiederholte Botho. "Und wo?"

"Draußen hinterm Rollkrug, auf dem neuen
Jakobi-Kirchhof . . . Eine gute alte Frau. Und wie
sie an der Lene hing. Ja, Herr Baron, die Mutter
Nimptsch ist todt. Aber Frau Dörr, die lebt noch

Wege, die zu Glück führen, deſſen bin ich in
meinem Herzen gleicherweiſe gewiß. Und der eine
Weg iſt gut und der andre Weg iſt gut. Aber
jeder gute Weg muß ein offner Weg und ein ge¬
rader Weg ſein und in der Sonne liegen und ohne
Moraſt und ohne Sumpf und ohne Irrlicht. Auf
die Wahrheit kommt es an und auf die Zuverläſſig¬
keit kommt es an und auf die Ehrlichkeit.“

Franke hatte ſich bei dieſen Worten erhoben
und Botho, der ihm artig bis an die Thür hin
folgte, gab ihm hier die Hand.

„Und nun, Herr Franke, bitt' ich zum Abſchied
noch um das Eine: grüßen Sie mir die Frau Dörr,
wenn Sie ſie ſehn und der alte Verkehr mit ihr
noch andauert, und vor allem grüßen Sie mir die
gute alte Frau Nimptſch. Hat ſie denn noch ihre
Gicht und ihre „Wehdage“, worüber ſie ſonſt be¬
ſtändig klagte?“

„Damit iſt es vorbei.“

„Wie das?“ fragte Botho.

„Wir haben ſie vor drei Wochen ſchon begraben,
Herr Baron. Gerade heut vor drei Wochen.“

„Begraben?“ wiederholte Botho. „Und wo?“

„Draußen hinterm Rollkrug, auf dem neuen
Jakobi-Kirchhof . . . Eine gute alte Frau. Und wie
ſie an der Lene hing. Ja, Herr Baron, die Mutter
Nimptſch iſt todt. Aber Frau Dörr, die lebt noch

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0239" n="229"/>
Wege, die zu Glück führen, de&#x017F;&#x017F;en bin ich in<lb/>
meinem Herzen gleicherwei&#x017F;e gewiß. Und der eine<lb/>
Weg i&#x017F;t gut und der andre Weg i&#x017F;t gut. Aber<lb/>
jeder gute Weg muß ein offner Weg und ein ge¬<lb/>
rader Weg &#x017F;ein und in der Sonne liegen und ohne<lb/>
Mora&#x017F;t und ohne Sumpf und ohne Irrlicht. Auf<lb/>
die Wahrheit kommt es an und auf die Zuverlä&#x017F;&#x017F;ig¬<lb/>
keit kommt es an und auf die Ehrlichkeit.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Franke hatte &#x017F;ich bei die&#x017F;en Worten erhoben<lb/>
und Botho, der ihm artig bis an die Thür hin<lb/>
folgte, gab ihm hier die Hand.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Und nun, Herr Franke, bitt' ich zum Ab&#x017F;chied<lb/>
noch um das Eine: grüßen Sie mir die Frau Dörr,<lb/>
wenn Sie &#x017F;ie &#x017F;ehn und der alte Verkehr mit ihr<lb/>
noch andauert, und vor allem grüßen Sie mir die<lb/>
gute alte Frau Nimpt&#x017F;ch. Hat &#x017F;ie denn noch ihre<lb/>
Gicht und ihre &#x201E;Wehdage&#x201C;, worüber &#x017F;ie &#x017F;on&#x017F;t be¬<lb/>
&#x017F;tändig klagte?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Damit i&#x017F;t es vorbei.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wie das?&#x201C; fragte Botho.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wir haben &#x017F;ie vor drei Wochen &#x017F;chon begraben,<lb/>
Herr Baron. Gerade heut vor drei Wochen.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Begraben?&#x201C; wiederholte Botho. &#x201E;Und wo?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Draußen hinterm Rollkrug, auf dem neuen<lb/>
Jakobi-Kirchhof . . . Eine gute alte Frau. Und wie<lb/>
&#x017F;ie an der Lene hing. Ja, Herr Baron, die Mutter<lb/>
Nimpt&#x017F;ch i&#x017F;t todt. Aber Frau Dörr, <hi rendition="#g">die</hi> lebt noch<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[229/0239] Wege, die zu Glück führen, deſſen bin ich in meinem Herzen gleicherweiſe gewiß. Und der eine Weg iſt gut und der andre Weg iſt gut. Aber jeder gute Weg muß ein offner Weg und ein ge¬ rader Weg ſein und in der Sonne liegen und ohne Moraſt und ohne Sumpf und ohne Irrlicht. Auf die Wahrheit kommt es an und auf die Zuverläſſig¬ keit kommt es an und auf die Ehrlichkeit.“ Franke hatte ſich bei dieſen Worten erhoben und Botho, der ihm artig bis an die Thür hin folgte, gab ihm hier die Hand. „Und nun, Herr Franke, bitt' ich zum Abſchied noch um das Eine: grüßen Sie mir die Frau Dörr, wenn Sie ſie ſehn und der alte Verkehr mit ihr noch andauert, und vor allem grüßen Sie mir die gute alte Frau Nimptſch. Hat ſie denn noch ihre Gicht und ihre „Wehdage“, worüber ſie ſonſt be¬ ſtändig klagte?“ „Damit iſt es vorbei.“ „Wie das?“ fragte Botho. „Wir haben ſie vor drei Wochen ſchon begraben, Herr Baron. Gerade heut vor drei Wochen.“ „Begraben?“ wiederholte Botho. „Und wo?“ „Draußen hinterm Rollkrug, auf dem neuen Jakobi-Kirchhof . . . Eine gute alte Frau. Und wie ſie an der Lene hing. Ja, Herr Baron, die Mutter Nimptſch iſt todt. Aber Frau Dörr, die lebt noch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_irrungen_1888
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_irrungen_1888/239
Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Irrungen, Wirrungen. Leipzig, 1888, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_irrungen_1888/239>, abgerufen am 05.05.2024.