habe solche Angst um Dich, das heißt eigentlich um mich. Du verstheest mich schon. Deine Lene."
"Deine Lene", sprach er, die Briefunterschrift wiederholend, noch einmal vor sich hin und eine Unruhe bemächtigte sich seiner, weil ihm allerwider¬ streitendste Gefühle durch's Herz gingen: Liebe, Sorge, Furcht. Dann durchlas er den Brief noch einmal. An zwei, drei Stellen konnt' er sich nicht versagen, ein Strichelchen mit dem silbernen Crayon zu machen, aber nicht aus Schulmeisterei, sondern aus eitel Freude. "Wie gut sie schreibt! Kalli¬ graphisch gewiß und orthographisch beinah ... Stiehl statt Stiel ... Ja, warum nicht? Stiehl war eigentlich ein gefürchteter Schulrath, aber, Gott sei Dank, ich bin keiner. Und "emphehlen". Soll ich wegen f und h mit ihr zürnen? Großer Gott, wer kann "empfehlen" richtig schreiben? Die ganz jungen Comtessen nicht immer und die ganz alten nie. Also was schadt's! Wahrhaftig, der Brief ist wie Lene selber, gut, treu, zuverlässig und die Fehler machen ihn nur noch reizender."
Er lehnte sich in den Stuhl zurück und legte die Hand über Stirn und Augen: "Arme Lene, was soll werden! Es wär' uns beiden besser ge¬ wesen, der Ostermontag wäre dies Mal ausgefallen. Wozu giebt es auch zwei Feiertage? Wozu Trep¬ tow und Stralau und Wasserfahrten? Und nun
habe ſolche Angſt um Dich, das heißt eigentlich um mich. Du verſtheeſt mich ſchon. Deine Lene.“
„Deine Lene“, ſprach er, die Briefunterſchrift wiederholend, noch einmal vor ſich hin und eine Unruhe bemächtigte ſich ſeiner, weil ihm allerwider¬ ſtreitendſte Gefühle durch's Herz gingen: Liebe, Sorge, Furcht. Dann durchlas er den Brief noch einmal. An zwei, drei Stellen konnt' er ſich nicht verſagen, ein Strichelchen mit dem ſilbernen Crayon zu machen, aber nicht aus Schulmeiſterei, ſondern aus eitel Freude. „Wie gut ſie ſchreibt! Kalli¬ graphiſch gewiß und orthographiſch beinah ... Stiehl ſtatt Stiel ... Ja, warum nicht? Stiehl war eigentlich ein gefürchteter Schulrath, aber, Gott ſei Dank, ich bin keiner. Und „emphehlen“. Soll ich wegen f und h mit ihr zürnen? Großer Gott, wer kann „empfehlen“ richtig ſchreiben? Die ganz jungen Comteſſen nicht immer und die ganz alten nie. Alſo was ſchadt's! Wahrhaftig, der Brief iſt wie Lene ſelber, gut, treu, zuverläſſig und die Fehler machen ihn nur noch reizender.“
Er lehnte ſich in den Stuhl zurück und legte die Hand über Stirn und Augen: „Arme Lene, was ſoll werden! Es wär' uns beiden beſſer ge¬ weſen, der Oſtermontag wäre dies Mal ausgefallen. Wozu giebt es auch zwei Feiertage? Wozu Trep¬ tow und Stralau und Waſſerfahrten? Und nun
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0067"n="57"/>
habe ſolche Angſt um Dich, das heißt eigentlich um<lb/>
mich. Du verſtheeſt mich ſchon. Deine Lene.“</p><lb/><p>„Deine Lene“, ſprach er, die Briefunterſchrift<lb/>
wiederholend, noch einmal vor ſich hin und eine<lb/>
Unruhe bemächtigte ſich ſeiner, weil ihm allerwider¬<lb/>ſtreitendſte Gefühle durch's Herz gingen: Liebe,<lb/>
Sorge, Furcht. Dann durchlas er den Brief noch<lb/>
einmal. An zwei, drei Stellen konnt' er ſich nicht<lb/>
verſagen, ein Strichelchen mit dem ſilbernen Crayon<lb/>
zu machen, aber nicht aus Schulmeiſterei, ſondern<lb/>
aus eitel Freude. „Wie gut ſie ſchreibt! Kalli¬<lb/>
graphiſch gewiß und orthographiſch beinah ... Stiehl<lb/>ſtatt Stiel ... Ja, warum nicht? Stiehl war<lb/>
eigentlich ein gefürchteter Schulrath, aber, Gott ſei<lb/>
Dank, ich bin keiner. Und „emphehlen“. Soll ich<lb/>
wegen f und h mit ihr zürnen? Großer Gott, wer<lb/>
kann „empfehlen“ richtig ſchreiben? Die ganz jungen<lb/>
Comteſſen nicht immer und die ganz alten nie.<lb/>
Alſo was ſchadt's! Wahrhaftig, der Brief iſt wie<lb/>
Lene ſelber, gut, treu, zuverläſſig und die Fehler<lb/>
machen ihn nur noch reizender.“</p><lb/><p>Er lehnte ſich in den Stuhl zurück und legte<lb/>
die Hand über Stirn und Augen: „Arme Lene,<lb/>
was ſoll werden! Es wär' uns beiden beſſer ge¬<lb/>
weſen, der Oſtermontag wäre dies Mal ausgefallen.<lb/>
Wozu giebt es auch zwei Feiertage? Wozu Trep¬<lb/>
tow und Stralau und Waſſerfahrten? Und nun<lb/></p></div></body></text></TEI>
[57/0067]
habe ſolche Angſt um Dich, das heißt eigentlich um
mich. Du verſtheeſt mich ſchon. Deine Lene.“
„Deine Lene“, ſprach er, die Briefunterſchrift
wiederholend, noch einmal vor ſich hin und eine
Unruhe bemächtigte ſich ſeiner, weil ihm allerwider¬
ſtreitendſte Gefühle durch's Herz gingen: Liebe,
Sorge, Furcht. Dann durchlas er den Brief noch
einmal. An zwei, drei Stellen konnt' er ſich nicht
verſagen, ein Strichelchen mit dem ſilbernen Crayon
zu machen, aber nicht aus Schulmeiſterei, ſondern
aus eitel Freude. „Wie gut ſie ſchreibt! Kalli¬
graphiſch gewiß und orthographiſch beinah ... Stiehl
ſtatt Stiel ... Ja, warum nicht? Stiehl war
eigentlich ein gefürchteter Schulrath, aber, Gott ſei
Dank, ich bin keiner. Und „emphehlen“. Soll ich
wegen f und h mit ihr zürnen? Großer Gott, wer
kann „empfehlen“ richtig ſchreiben? Die ganz jungen
Comteſſen nicht immer und die ganz alten nie.
Alſo was ſchadt's! Wahrhaftig, der Brief iſt wie
Lene ſelber, gut, treu, zuverläſſig und die Fehler
machen ihn nur noch reizender.“
Er lehnte ſich in den Stuhl zurück und legte
die Hand über Stirn und Augen: „Arme Lene,
was ſoll werden! Es wär' uns beiden beſſer ge¬
weſen, der Oſtermontag wäre dies Mal ausgefallen.
Wozu giebt es auch zwei Feiertage? Wozu Trep¬
tow und Stralau und Waſſerfahrten? Und nun
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Fontane, Theodor: Irrungen, Wirrungen. Leipzig, 1888, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_irrungen_1888/67>, abgerufen am 08.05.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.