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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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noch in der "Perspektive" sah, das wäre vielleicht schon
Wirklichkeit geworden, wenn nicht des alten Dubslav um
zehn Jahre ältere Schwester mit ihrem von der Mutter her
ererbten Vermögen gewesen wäre: Schwester Adelheid,
Domina zu Kloster Wutz. Die half und sagte gut, wenn
es schlecht stand oder gar zum Äußersten zu kommen
schien. Aber sie half nicht aus Liebe zu dem Bruder
-- gegen den sie, ganz im Gegenteil, viel einzuwenden
hatte --, sondern lediglich aus einem allgemeinen Stech¬
linschen Familiengefühl. Preußen war was und die
Mark Brandenburg auch; aber das Wichtigste waren
doch die Stechlins, und der Gedanke, das alte Schloß
in andern Besitz und nun gar in einen solchen über¬
gehen zu sehen, war ihr unerträglich. Und über all dies
hinaus war ja noch ihr Patenkind da, ihr Neffe Wolde¬
mar, für den sie all die Liebe hegte, die sie dem Bruder
versagte.

Ja, die Domina half, aber solcher Hilfen unerachtet
wuchs das Gefühl der Entfremdung zwischen den Ge¬
schwistern, und so kam es denn, daß der alte Dubslav,
der die Schwester in Kloster Wutz weder gern besuchte
noch auch ihren Besuch gern empfing, nichts von Um¬
gang besaß als seinen Pastor Lorenzen (den früheren
Erzieher Woldemars) und seinen Küster und Dorfschul¬
lehrer Krippenstapel, zu denen sich allenfalls noch Ober¬
förster Katzler gesellte, Katzler, der Feldjäger gewesen
war und ein gut Stück Welt gesehen hatte. Doch auch
diese drei kamen nur, wenn sie gerufen wurden, und so
war eigentlich nur einer da, der in jedem Augenblicke
Red' und Antwort stand. Das war Engelke, sein alter
Diener, der seit beinahe fünfzig Jahren alles mit seinem
Herrn durchlebt hatte, seine glücklichen Leutnantstage,
seine kurze Ehe und seine lange Einsamkeit. Engelke,
noch um ein Jahr älter als sein Herr, war dessen Ver¬
trauter geworden, aber ohne Vertraulichkeit. Dubslav

noch in der „Perſpektive“ ſah, das wäre vielleicht ſchon
Wirklichkeit geworden, wenn nicht des alten Dubslav um
zehn Jahre ältere Schweſter mit ihrem von der Mutter her
ererbten Vermögen geweſen wäre: Schweſter Adelheid,
Domina zu Kloſter Wutz. Die half und ſagte gut, wenn
es ſchlecht ſtand oder gar zum Äußerſten zu kommen
ſchien. Aber ſie half nicht aus Liebe zu dem Bruder
— gegen den ſie, ganz im Gegenteil, viel einzuwenden
hatte —, ſondern lediglich aus einem allgemeinen Stech¬
linſchen Familiengefühl. Preußen war was und die
Mark Brandenburg auch; aber das Wichtigſte waren
doch die Stechlins, und der Gedanke, das alte Schloß
in andern Beſitz und nun gar in einen ſolchen über¬
gehen zu ſehen, war ihr unerträglich. Und über all dies
hinaus war ja noch ihr Patenkind da, ihr Neffe Wolde¬
mar, für den ſie all die Liebe hegte, die ſie dem Bruder
verſagte.

Ja, die Domina half, aber ſolcher Hilfen unerachtet
wuchs das Gefühl der Entfremdung zwiſchen den Ge¬
ſchwiſtern, und ſo kam es denn, daß der alte Dubslav,
der die Schweſter in Kloſter Wutz weder gern beſuchte
noch auch ihren Beſuch gern empfing, nichts von Um¬
gang beſaß als ſeinen Paſtor Lorenzen (den früheren
Erzieher Woldemars) und ſeinen Küſter und Dorfſchul¬
lehrer Krippenſtapel, zu denen ſich allenfalls noch Ober¬
förſter Katzler geſellte, Katzler, der Feldjäger geweſen
war und ein gut Stück Welt geſehen hatte. Doch auch
dieſe drei kamen nur, wenn ſie gerufen wurden, und ſo
war eigentlich nur einer da, der in jedem Augenblicke
Red' und Antwort ſtand. Das war Engelke, ſein alter
Diener, der ſeit beinahe fünfzig Jahren alles mit ſeinem
Herrn durchlebt hatte, ſeine glücklichen Leutnantstage,
ſeine kurze Ehe und ſeine lange Einſamkeit. Engelke,
noch um ein Jahr älter als ſein Herr, war deſſen Ver¬
trauter geworden, aber ohne Vertraulichkeit. Dubslav

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[11/0018] noch in der „Perſpektive“ ſah, das wäre vielleicht ſchon Wirklichkeit geworden, wenn nicht des alten Dubslav um zehn Jahre ältere Schweſter mit ihrem von der Mutter her ererbten Vermögen geweſen wäre: Schweſter Adelheid, Domina zu Kloſter Wutz. Die half und ſagte gut, wenn es ſchlecht ſtand oder gar zum Äußerſten zu kommen ſchien. Aber ſie half nicht aus Liebe zu dem Bruder — gegen den ſie, ganz im Gegenteil, viel einzuwenden hatte —, ſondern lediglich aus einem allgemeinen Stech¬ linſchen Familiengefühl. Preußen war was und die Mark Brandenburg auch; aber das Wichtigſte waren doch die Stechlins, und der Gedanke, das alte Schloß in andern Beſitz und nun gar in einen ſolchen über¬ gehen zu ſehen, war ihr unerträglich. Und über all dies hinaus war ja noch ihr Patenkind da, ihr Neffe Wolde¬ mar, für den ſie all die Liebe hegte, die ſie dem Bruder verſagte. Ja, die Domina half, aber ſolcher Hilfen unerachtet wuchs das Gefühl der Entfremdung zwiſchen den Ge¬ ſchwiſtern, und ſo kam es denn, daß der alte Dubslav, der die Schweſter in Kloſter Wutz weder gern beſuchte noch auch ihren Beſuch gern empfing, nichts von Um¬ gang beſaß als ſeinen Paſtor Lorenzen (den früheren Erzieher Woldemars) und ſeinen Küſter und Dorfſchul¬ lehrer Krippenſtapel, zu denen ſich allenfalls noch Ober¬ förſter Katzler geſellte, Katzler, der Feldjäger geweſen war und ein gut Stück Welt geſehen hatte. Doch auch dieſe drei kamen nur, wenn ſie gerufen wurden, und ſo war eigentlich nur einer da, der in jedem Augenblicke Red' und Antwort ſtand. Das war Engelke, ſein alter Diener, der ſeit beinahe fünfzig Jahren alles mit ſeinem Herrn durchlebt hatte, ſeine glücklichen Leutnantstage, ſeine kurze Ehe und ſeine lange Einſamkeit. Engelke, noch um ein Jahr älter als ſein Herr, war deſſen Ver¬ trauter geworden, aber ohne Vertraulichkeit. Dubslav

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/18>, abgerufen am 28.04.2024.