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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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ihr ausgesprochenen Bedenken), und was der Alte schrieb,
war nicht so gut oder doch wenigstens nicht so der
Situation angepaßt, wie's Woldemar gewärtigte. Natür¬
lich war es eine Beglückwünschung, aber doch mehr
noch ein politischer Exkurs. Dubslav litt als Brief¬
schreiber daran, gern bei Nebensächlichkeiten zu verweilen
und gelegentlich über die Hauptsache wegzusehn. Er
schrieb:

"Mein lieber Woldemar. Die Würfel sind nun also
gefallen (früher hieß es alea jacta est, aber so altmodisch
bin ich denn doch nicht mehr), und da zwei Sechsen oben¬
auf liegen, kann ich nur sagen: ich gratuliere. Nach dem
Gespräch übrigens, das ich am dritten Oktober morgens
mit Dir führte, während wir um unsern Stechliner
Springbrunnen herumgingen (seit drei Tagen springt er
nicht mehr; wahrscheinlich werden die Mäuse das Röhren¬
werk angeknabbert haben) -- seit jenem Oktobermorgen
hab' ich so was erwartet, nicht mehr, aber auch nicht
weniger. Du wirst nun also Carriere machen, glücklicher¬
weise zunächst durch Dich selbst und dann allerdings auch
durch Deine Braut und deren Familie. Graf Barby --
mit Rübenboden im Magdeburgischen und mit Mineral¬
quellen im Graubündischen -- höher hinauf geht es kaum,
Du müßtest Dich denn bis ins Katzlersche verirren. Arm¬
gard ist auch schon viel, aber Ermytrud doch mehr und
für den armen Katzler jedenfalls zu viel. Ja, mein lieber
Woldemar, Du kommst nun also zu Vermögen und Ein¬
fluß und kannst die Stechlins wieder 'raufbringen (gestern
war Baruch Hirschfeld hier und in allem willfährig; die
Juden sind nicht so schlimm wie manche meinen), und
wenn Du dann hier einziehst und statt der alten Kathe
so was in Chateaustil bauen läßt und vielleicht sogar
eine Fasanenzucht anlegst, so daß erst der Post-Stephan
und dann der Kaiser selbst bei Dir zu Besuch kommen
kann, ja, da kannst Du möglicherweise selbst das erreichen,

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ihr ausgeſprochenen Bedenken), und was der Alte ſchrieb,
war nicht ſo gut oder doch wenigſtens nicht ſo der
Situation angepaßt, wie's Woldemar gewärtigte. Natür¬
lich war es eine Beglückwünſchung, aber doch mehr
noch ein politiſcher Exkurs. Dubslav litt als Brief¬
ſchreiber daran, gern bei Nebenſächlichkeiten zu verweilen
und gelegentlich über die Hauptſache wegzuſehn. Er
ſchrieb:

„Mein lieber Woldemar. Die Würfel ſind nun alſo
gefallen (früher hieß es alea jacta est, aber ſo altmodiſch
bin ich denn doch nicht mehr), und da zwei Sechſen oben¬
auf liegen, kann ich nur ſagen: ich gratuliere. Nach dem
Geſpräch übrigens, das ich am dritten Oktober morgens
mit Dir führte, während wir um unſern Stechliner
Springbrunnen herumgingen (ſeit drei Tagen ſpringt er
nicht mehr; wahrſcheinlich werden die Mäuſe das Röhren¬
werk angeknabbert haben) — ſeit jenem Oktobermorgen
hab' ich ſo was erwartet, nicht mehr, aber auch nicht
weniger. Du wirſt nun alſo Carriere machen, glücklicher¬
weiſe zunächſt durch Dich ſelbſt und dann allerdings auch
durch Deine Braut und deren Familie. Graf Barby —
mit Rübenboden im Magdeburgiſchen und mit Mineral¬
quellen im Graubündiſchen — höher hinauf geht es kaum,
Du müßteſt Dich denn bis ins Katzlerſche verirren. Arm¬
gard iſt auch ſchon viel, aber Ermytrud doch mehr und
für den armen Katzler jedenfalls zu viel. Ja, mein lieber
Woldemar, Du kommſt nun alſo zu Vermögen und Ein¬
fluß und kannſt die Stechlins wieder 'raufbringen (geſtern
war Baruch Hirſchfeld hier und in allem willfährig; die
Juden ſind nicht ſo ſchlimm wie manche meinen), und
wenn Du dann hier einziehſt und ſtatt der alten Kathe
ſo was in Chateauſtil bauen läßt und vielleicht ſogar
eine Faſanenzucht anlegſt, ſo daß erſt der Poſt-Stephan
und dann der Kaiſer ſelbſt bei Dir zu Beſuch kommen
kann, ja, da kannſt Du möglicherweiſe ſelbſt das erreichen,

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[323/0330] ihr ausgeſprochenen Bedenken), und was der Alte ſchrieb, war nicht ſo gut oder doch wenigſtens nicht ſo der Situation angepaßt, wie's Woldemar gewärtigte. Natür¬ lich war es eine Beglückwünſchung, aber doch mehr noch ein politiſcher Exkurs. Dubslav litt als Brief¬ ſchreiber daran, gern bei Nebenſächlichkeiten zu verweilen und gelegentlich über die Hauptſache wegzuſehn. Er ſchrieb: „Mein lieber Woldemar. Die Würfel ſind nun alſo gefallen (früher hieß es alea jacta est, aber ſo altmodiſch bin ich denn doch nicht mehr), und da zwei Sechſen oben¬ auf liegen, kann ich nur ſagen: ich gratuliere. Nach dem Geſpräch übrigens, das ich am dritten Oktober morgens mit Dir führte, während wir um unſern Stechliner Springbrunnen herumgingen (ſeit drei Tagen ſpringt er nicht mehr; wahrſcheinlich werden die Mäuſe das Röhren¬ werk angeknabbert haben) — ſeit jenem Oktobermorgen hab' ich ſo was erwartet, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Du wirſt nun alſo Carriere machen, glücklicher¬ weiſe zunächſt durch Dich ſelbſt und dann allerdings auch durch Deine Braut und deren Familie. Graf Barby — mit Rübenboden im Magdeburgiſchen und mit Mineral¬ quellen im Graubündiſchen — höher hinauf geht es kaum, Du müßteſt Dich denn bis ins Katzlerſche verirren. Arm¬ gard iſt auch ſchon viel, aber Ermytrud doch mehr und für den armen Katzler jedenfalls zu viel. Ja, mein lieber Woldemar, Du kommſt nun alſo zu Vermögen und Ein¬ fluß und kannſt die Stechlins wieder 'raufbringen (geſtern war Baruch Hirſchfeld hier und in allem willfährig; die Juden ſind nicht ſo ſchlimm wie manche meinen), und wenn Du dann hier einziehſt und ſtatt der alten Kathe ſo was in Chateauſtil bauen läßt und vielleicht ſogar eine Faſanenzucht anlegſt, ſo daß erſt der Poſt-Stephan und dann der Kaiſer ſelbſt bei Dir zu Beſuch kommen kann, ja, da kannſt Du möglicherweiſe ſelbſt das erreichen, 21*

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 323. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/330>, abgerufen am 29.04.2024.