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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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Der alte Dubslav war in bester Laune, stieß gleich
nach den ersten Löffeln Suppe mit Frau von Gunder¬
mann vertraulich an, dankte für ihr Erscheinen und ent¬
schuldigte sich wegen der späten Einladung: "Aber erst
um zwölf kam Woldemars Telegramm. Es ist das
mit dem Telegraphieren solche Sache, manches wird besser,
aber manches wird auch schlechter, und die feinere Sitte
leidet nun schon ganz gewiß. Schon die Form, die
Abfassung. Kürze soll eine Tugend sein, aber sich kurz
fassen, heißt meistens auch sich grob fassen. Jede Spur
von Verbindlichkeit fällt fort, und das Wort ,Herr' ist
beispielsweise gar nicht mehr anzutreffen. Ich hatte
mal einen Freund, der ganz ernsthaft versicherte: ,Der
häßlichste Mops sei der schönste'; so läßt sich jetzt bei¬
nahe sagen, ,das gröbste Telegramm ist das feinste'.
Wenigstens das in seiner Art vollendetste. Jeder, der
wieder eine neue Fünfpfennigersparnis herausdoktert,
ist ein Genie."

Diese Worte Dubslavs hatten sich anfänglich an
die Frau von Gundermann, sehr bald aber mehr an
Gundermann selbst gerichtet, weshalb dieser letztere denn
auch antwortete: "Ja, Herr von Stechlin, alles Zeichen
der Zeit. Und ganz bezeichnend, daß gerade das Wort
,Herr', wie Sie schon hervorzuheben die Güte hatten,
so gut wie abgeschafft ist. ,Herr' ist Unsinn geworden,
,Herr' paßt den Herren nicht mehr, -- ich meine
natürlich die, die jetzt die Welt regieren wollen. Aber
es ist auch danach. Alle diese Neuerungen, an denen
sich leider auch der Staat beteiligt, was sind sie? Be¬
günstigungen der Unbotmäßigkeit, also Wasser auf die
Mühlen der Sozialdemokratie. Weiter nichts. Und nie¬
mand da, der Lust und Kraft hätte, dies Wasser abzu¬
stellen. Aber trotzdem, Herr von Stechlin, -- ich würde
nicht widersprechen, wenn mich das Thatsächliche nicht
dazu zwänge -- trotzdem geht es nicht ohne Telegraphie,

Der alte Dubslav war in beſter Laune, ſtieß gleich
nach den erſten Löffeln Suppe mit Frau von Gunder¬
mann vertraulich an, dankte für ihr Erſcheinen und ent¬
ſchuldigte ſich wegen der ſpäten Einladung: „Aber erſt
um zwölf kam Woldemars Telegramm. Es iſt das
mit dem Telegraphieren ſolche Sache, manches wird beſſer,
aber manches wird auch ſchlechter, und die feinere Sitte
leidet nun ſchon ganz gewiß. Schon die Form, die
Abfaſſung. Kürze ſoll eine Tugend ſein, aber ſich kurz
faſſen, heißt meiſtens auch ſich grob faſſen. Jede Spur
von Verbindlichkeit fällt fort, und das Wort ‚Herr‘ iſt
beiſpielsweiſe gar nicht mehr anzutreffen. Ich hatte
mal einen Freund, der ganz ernſthaft verſicherte: ‚Der
häßlichſte Mops ſei der ſchönſte‘; ſo läßt ſich jetzt bei¬
nahe ſagen, ‚das gröbſte Telegramm iſt das feinſte‘.
Wenigſtens das in ſeiner Art vollendetſte. Jeder, der
wieder eine neue Fünfpfennigerſparnis herausdoktert,
iſt ein Genie.“

Dieſe Worte Dubslavs hatten ſich anfänglich an
die Frau von Gundermann, ſehr bald aber mehr an
Gundermann ſelbſt gerichtet, weshalb dieſer letztere denn
auch antwortete: „Ja, Herr von Stechlin, alles Zeichen
der Zeit. Und ganz bezeichnend, daß gerade das Wort
‚Herr‘, wie Sie ſchon hervorzuheben die Güte hatten,
ſo gut wie abgeſchafft iſt. ‚Herr‘ iſt Unſinn geworden,
‚Herr‘ paßt den Herren nicht mehr, — ich meine
natürlich die, die jetzt die Welt regieren wollen. Aber
es iſt auch danach. Alle dieſe Neuerungen, an denen
ſich leider auch der Staat beteiligt, was ſind ſie? Be¬
günſtigungen der Unbotmäßigkeit, alſo Waſſer auf die
Mühlen der Sozialdemokratie. Weiter nichts. Und nie¬
mand da, der Luſt und Kraft hätte, dies Waſſer abzu¬
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[29/0036] Der alte Dubslav war in beſter Laune, ſtieß gleich nach den erſten Löffeln Suppe mit Frau von Gunder¬ mann vertraulich an, dankte für ihr Erſcheinen und ent¬ ſchuldigte ſich wegen der ſpäten Einladung: „Aber erſt um zwölf kam Woldemars Telegramm. Es iſt das mit dem Telegraphieren ſolche Sache, manches wird beſſer, aber manches wird auch ſchlechter, und die feinere Sitte leidet nun ſchon ganz gewiß. Schon die Form, die Abfaſſung. Kürze ſoll eine Tugend ſein, aber ſich kurz faſſen, heißt meiſtens auch ſich grob faſſen. Jede Spur von Verbindlichkeit fällt fort, und das Wort ‚Herr‘ iſt beiſpielsweiſe gar nicht mehr anzutreffen. Ich hatte mal einen Freund, der ganz ernſthaft verſicherte: ‚Der häßlichſte Mops ſei der ſchönſte‘; ſo läßt ſich jetzt bei¬ nahe ſagen, ‚das gröbſte Telegramm iſt das feinſte‘. Wenigſtens das in ſeiner Art vollendetſte. Jeder, der wieder eine neue Fünfpfennigerſparnis herausdoktert, iſt ein Genie.“ Dieſe Worte Dubslavs hatten ſich anfänglich an die Frau von Gundermann, ſehr bald aber mehr an Gundermann ſelbſt gerichtet, weshalb dieſer letztere denn auch antwortete: „Ja, Herr von Stechlin, alles Zeichen der Zeit. Und ganz bezeichnend, daß gerade das Wort ‚Herr‘, wie Sie ſchon hervorzuheben die Güte hatten, ſo gut wie abgeſchafft iſt. ‚Herr‘ iſt Unſinn geworden, ‚Herr‘ paßt den Herren nicht mehr, — ich meine natürlich die, die jetzt die Welt regieren wollen. Aber es iſt auch danach. Alle dieſe Neuerungen, an denen ſich leider auch der Staat beteiligt, was ſind ſie? Be¬ günſtigungen der Unbotmäßigkeit, alſo Waſſer auf die Mühlen der Sozialdemokratie. Weiter nichts. Und nie¬ mand da, der Luſt und Kraft hätte, dies Waſſer abzu¬ ſtellen. Aber trotzdem, Herr von Stechlin, — ich würde nicht widerſprechen, wenn mich das Thatſächliche nicht dazu zwänge — trotzdem geht es nicht ohne Telegraphie,

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/36>, abgerufen am 28.04.2024.