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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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Engelke, das Leben is doch eigentlich schwer. Das
heißt, wenn's auf die Neige geht; vorher is es so weit
ganz gut. Weißt du noch, wenn wir von Brandenburg
nach Berlin ritten? In Brandenburg war nich viel los;
aber in Berlin, da ging es."

"Ja, gnäd'ger Herr. Aber nu kommt es."

"Ja, nu kommt es. Nu is Katzenpfötchen dran.
So was gab es damals noch gar nicht. Aber ich will
nichts sagen, sonst wird die Buschen ärgerlich, und mit
alten Weibern muß man gut stehn; das is noch wich¬
tiger als mit jungen. Und, wie gesagt, die Agnes
bleibt. Ich sehe so gern was Zierliches. Es is ein
reizendes Kind."

"Ja, das is sie. Aber ..."

"Ach, laß die ,abers'. Du sagst, sie wird wie
die Karline. Möglich is es. Aber vielleicht wird sie
auch 'ne Nonne. Man kann nie wissen."


Agnes blieb also bei Dubslav. Sie saß am Fenster
und strickte. Mal in der Nacht, als ihm recht schlecht war,
hatte er nach dem Kinde rufen wollen. Aber er stand
wieder davon ab. "Das arme Kind, was soll ich ihm
den Schlaf stören? Und helfen kann es mir doch nicht."

So verging eine Woche. Da sagte der alte
Dubslav: "Engelke, das mit der Agnes, das kann ich
nich mehr mit ansehn. Sie sitzt da jeden Morgen und
strickt. Das arme Wurm muß ja hier umkommen.
Und alles bloß, weil ich alter Sünder ein freundliches
Gesicht sehn will. Das geht so nich mehr weiter. Wir
müssen sehn, daß wir was für das Kind thun können.
Haben wir denn nicht ein Buch mit Bildern drin oder
so was?"

"Ja, gnäd'ger Herr, da sind ja noch die vier
Bände, die wir letzte Weihnachten bei Buchbinder Zippel

Engelke, das Leben is doch eigentlich ſchwer. Das
heißt, wenn's auf die Neige geht; vorher is es ſo weit
ganz gut. Weißt du noch, wenn wir von Brandenburg
nach Berlin ritten? In Brandenburg war nich viel los;
aber in Berlin, da ging es.“

„Ja, gnäd'ger Herr. Aber nu kommt es.“

„Ja, nu kommt es. Nu is Katzenpfötchen dran.
So was gab es damals noch gar nicht. Aber ich will
nichts ſagen, ſonſt wird die Buſchen ärgerlich, und mit
alten Weibern muß man gut ſtehn; das is noch wich¬
tiger als mit jungen. Und, wie geſagt, die Agnes
bleibt. Ich ſehe ſo gern was Zierliches. Es is ein
reizendes Kind.“

„Ja, das is ſie. Aber ...“

„Ach, laß die ‚abers‘. Du ſagſt, ſie wird wie
die Karline. Möglich is es. Aber vielleicht wird ſie
auch 'ne Nonne. Man kann nie wiſſen.“


Agnes blieb alſo bei Dubslav. Sie ſaß am Fenſter
und ſtrickte. Mal in der Nacht, als ihm recht ſchlecht war,
hatte er nach dem Kinde rufen wollen. Aber er ſtand
wieder davon ab. „Das arme Kind, was ſoll ich ihm
den Schlaf ſtören? Und helfen kann es mir doch nicht.“

So verging eine Woche. Da ſagte der alte
Dubslav: „Engelke, das mit der Agnes, das kann ich
nich mehr mit anſehn. Sie ſitzt da jeden Morgen und
ſtrickt. Das arme Wurm muß ja hier umkommen.
Und alles bloß, weil ich alter Sünder ein freundliches
Geſicht ſehn will. Das geht ſo nich mehr weiter. Wir
müſſen ſehn, daß wir was für das Kind thun können.
Haben wir denn nicht ein Buch mit Bildern drin oder
ſo was?“

„Ja, gnäd'ger Herr, da ſind ja noch die vier
Bände, die wir letzte Weihnachten bei Buchbinder Zippel

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[473/0480] Engelke, das Leben is doch eigentlich ſchwer. Das heißt, wenn's auf die Neige geht; vorher is es ſo weit ganz gut. Weißt du noch, wenn wir von Brandenburg nach Berlin ritten? In Brandenburg war nich viel los; aber in Berlin, da ging es.“ „Ja, gnäd'ger Herr. Aber nu kommt es.“ „Ja, nu kommt es. Nu is Katzenpfötchen dran. So was gab es damals noch gar nicht. Aber ich will nichts ſagen, ſonſt wird die Buſchen ärgerlich, und mit alten Weibern muß man gut ſtehn; das is noch wich¬ tiger als mit jungen. Und, wie geſagt, die Agnes bleibt. Ich ſehe ſo gern was Zierliches. Es is ein reizendes Kind.“ „Ja, das is ſie. Aber ...“ „Ach, laß die ‚abers‘. Du ſagſt, ſie wird wie die Karline. Möglich is es. Aber vielleicht wird ſie auch 'ne Nonne. Man kann nie wiſſen.“ Agnes blieb alſo bei Dubslav. Sie ſaß am Fenſter und ſtrickte. Mal in der Nacht, als ihm recht ſchlecht war, hatte er nach dem Kinde rufen wollen. Aber er ſtand wieder davon ab. „Das arme Kind, was ſoll ich ihm den Schlaf ſtören? Und helfen kann es mir doch nicht.“ So verging eine Woche. Da ſagte der alte Dubslav: „Engelke, das mit der Agnes, das kann ich nich mehr mit anſehn. Sie ſitzt da jeden Morgen und ſtrickt. Das arme Wurm muß ja hier umkommen. Und alles bloß, weil ich alter Sünder ein freundliches Geſicht ſehn will. Das geht ſo nich mehr weiter. Wir müſſen ſehn, daß wir was für das Kind thun können. Haben wir denn nicht ein Buch mit Bildern drin oder ſo was?“ „Ja, gnäd'ger Herr, da ſind ja noch die vier Bände, die wir letzte Weihnachten bei Buchbinder Zippel

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 473. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/480>, abgerufen am 27.04.2024.