Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

Bild:
<< vorherige Seite

"Und dann der Pastor."

"Nun ja, auch der. Eine ganz gescheite Nummer.
Aber doch ein wunderbarer Heiliger, wie die ganze Sippe,
zu der er gehört. Er hält zu Stöcker, sprach es auch
aus, was neuerdings nicht jeder thut; aber der "neue
Luther", der doch schon gerade bedenklich genug ist --
Majestät hat ganz recht mit seiner Verurteilung --, der
geht ihm gewiß nicht weit genug. Dieser Lorenzen er¬
scheint mir, im Gegensatz zu seinen Jahren, als einer der
allerjüngsten. Und zu verwundern bleibt nur, daß der
Alte so gut mit ihm steht. Freund Woldemar hat mir
davon erzählt. Der Alte liebt ihn und sieht nicht, daß
ihm sein geliebter Pastor den Ast absägt, auf dem er sitzt.
Ja, diese von der neuesten Schule, das sind die aller¬
schlimmsten. Immer Volk und wieder Volk, und mal
auch etwas Christus dazwischen. Aber ich lasse mich so
leicht nicht hinters Licht führen. Es läuft alles darauf
hinaus, daß sie mit uns aufräumen wollen, und mit dem
alten Christentum auch. Sie haben ein neues, und das
überlieferte behandeln sie despektierlich."

"Kann ich ihnen unter Umständen nicht verdenken.
Seien Sie gut, Rex, und lassen Sie Konventikel und
Partei mal beiseite. Das Überlieferte, was einem da so
vor die Klinge kommt, namentlich wenn Sie sich die
Menschen ansehen, wie sie nun mal sind, ist doch sehr
reparaturbedürftig, und auf solche Reparatur ist ein Mann
wie dieser Lorenzen eben aus. Machen Sie die Probe.
Hie Lorenzen, hie Gundermann. Und Ihren guten Glauben
in Ehren, aber Sie werden diesen Gundermann doch nicht
über den Lorenzen stellen und ihn überhaupt nur ernst¬
haft nehmen wollen. Und wie dieser Wassermüller aus
der Brettschneidebranche, so sind die meisten. Phrase,
Phrase. Mitunter auch Geschäft oder noch Schlimmeres."

"Ich kann jetzt nicht antworten, Czako. Was Sie
da sagen, berührt eine große Frage, bei der man doch

„Und dann der Paſtor.“

„Nun ja, auch der. Eine ganz geſcheite Nummer.
Aber doch ein wunderbarer Heiliger, wie die ganze Sippe,
zu der er gehört. Er hält zu Stöcker, ſprach es auch
aus, was neuerdings nicht jeder thut; aber der „neue
Luther“, der doch ſchon gerade bedenklich genug iſt —
Majeſtät hat ganz recht mit ſeiner Verurteilung —, der
geht ihm gewiß nicht weit genug. Dieſer Lorenzen er¬
ſcheint mir, im Gegenſatz zu ſeinen Jahren, als einer der
allerjüngſten. Und zu verwundern bleibt nur, daß der
Alte ſo gut mit ihm ſteht. Freund Woldemar hat mir
davon erzählt. Der Alte liebt ihn und ſieht nicht, daß
ihm ſein geliebter Paſtor den Aſt abſägt, auf dem er ſitzt.
Ja, dieſe von der neueſten Schule, das ſind die aller¬
ſchlimmſten. Immer Volk und wieder Volk, und mal
auch etwas Chriſtus dazwiſchen. Aber ich laſſe mich ſo
leicht nicht hinters Licht führen. Es läuft alles darauf
hinaus, daß ſie mit uns aufräumen wollen, und mit dem
alten Chriſtentum auch. Sie haben ein neues, und das
überlieferte behandeln ſie deſpektierlich.“

„Kann ich ihnen unter Umſtänden nicht verdenken.
Seien Sie gut, Rex, und laſſen Sie Konventikel und
Partei mal beiſeite. Das Überlieferte, was einem da ſo
vor die Klinge kommt, namentlich wenn Sie ſich die
Menſchen anſehen, wie ſie nun mal ſind, iſt doch ſehr
reparaturbedürftig, und auf ſolche Reparatur iſt ein Mann
wie dieſer Lorenzen eben aus. Machen Sie die Probe.
Hie Lorenzen, hie Gundermann. Und Ihren guten Glauben
in Ehren, aber Sie werden dieſen Gundermann doch nicht
über den Lorenzen ſtellen und ihn überhaupt nur ernſt¬
haft nehmen wollen. Und wie dieſer Waſſermüller aus
der Brettſchneidebranche, ſo ſind die meiſten. Phraſe,
Phraſe. Mitunter auch Geſchäft oder noch Schlimmeres.“

„Ich kann jetzt nicht antworten, Czako. Was Sie
da ſagen, berührt eine große Frage, bei der man doch

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0062" n="55"/>
          <p>&#x201E;Und dann der Pa&#x017F;tor.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Nun ja, auch der. Eine ganz ge&#x017F;cheite Nummer.<lb/>
Aber doch ein wunderbarer Heiliger, wie die ganze Sippe,<lb/>
zu der er gehört. Er hält zu Stöcker, &#x017F;prach es auch<lb/>
aus, was neuerdings nicht jeder thut; aber der &#x201E;neue<lb/>
Luther&#x201C;, der doch &#x017F;chon gerade bedenklich genug i&#x017F;t &#x2014;<lb/>
Maje&#x017F;tät hat ganz recht mit &#x017F;einer Verurteilung &#x2014;, der<lb/>
geht ihm gewiß nicht weit genug. Die&#x017F;er Lorenzen er¬<lb/>
&#x017F;cheint mir, im Gegen&#x017F;atz zu &#x017F;einen Jahren, als einer der<lb/>
allerjüng&#x017F;ten. Und zu verwundern bleibt nur, daß der<lb/>
Alte &#x017F;o gut mit ihm &#x017F;teht. Freund Woldemar hat mir<lb/>
davon erzählt. Der Alte liebt ihn und &#x017F;ieht nicht, daß<lb/>
ihm &#x017F;ein geliebter Pa&#x017F;tor den A&#x017F;t ab&#x017F;ägt, auf dem er &#x017F;itzt.<lb/>
Ja, die&#x017F;e von der neue&#x017F;ten Schule, das &#x017F;ind die aller¬<lb/>
&#x017F;chlimm&#x017F;ten. Immer Volk und wieder Volk, und mal<lb/>
auch etwas Chri&#x017F;tus dazwi&#x017F;chen. Aber ich la&#x017F;&#x017F;e mich &#x017F;o<lb/>
leicht nicht hinters Licht führen. Es läuft alles darauf<lb/>
hinaus, daß &#x017F;ie mit uns aufräumen wollen, und mit dem<lb/>
alten Chri&#x017F;tentum auch. Sie haben ein neues, und das<lb/>
überlieferte behandeln &#x017F;ie de&#x017F;pektierlich.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Kann ich ihnen unter Um&#x017F;tänden nicht verdenken.<lb/>
Seien Sie gut, Rex, und la&#x017F;&#x017F;en Sie Konventikel und<lb/>
Partei mal bei&#x017F;eite. Das Überlieferte, was einem da &#x017F;o<lb/>
vor die Klinge kommt, namentlich wenn Sie &#x017F;ich die<lb/>
Men&#x017F;chen an&#x017F;ehen, wie &#x017F;ie nun mal &#x017F;ind, i&#x017F;t doch &#x017F;ehr<lb/>
reparaturbedürftig, und auf &#x017F;olche Reparatur i&#x017F;t ein Mann<lb/>
wie die&#x017F;er Lorenzen eben aus. Machen Sie die Probe.<lb/>
Hie Lorenzen, hie Gundermann. Und Ihren guten Glauben<lb/>
in Ehren, aber Sie werden die&#x017F;en Gundermann doch nicht<lb/>
über den Lorenzen &#x017F;tellen und ihn überhaupt nur ern&#x017F;<lb/>
haft nehmen wollen. Und wie die&#x017F;er Wa&#x017F;&#x017F;ermüller aus<lb/>
der Brett&#x017F;chneidebranche, &#x017F;o &#x017F;ind die mei&#x017F;ten. Phra&#x017F;e,<lb/>
Phra&#x017F;e. Mitunter auch Ge&#x017F;chäft oder noch Schlimmeres.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Ich kann jetzt nicht antworten, Czako. Was Sie<lb/>
da &#x017F;agen, berührt eine große Frage, bei der man doch<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[55/0062] „Und dann der Paſtor.“ „Nun ja, auch der. Eine ganz geſcheite Nummer. Aber doch ein wunderbarer Heiliger, wie die ganze Sippe, zu der er gehört. Er hält zu Stöcker, ſprach es auch aus, was neuerdings nicht jeder thut; aber der „neue Luther“, der doch ſchon gerade bedenklich genug iſt — Majeſtät hat ganz recht mit ſeiner Verurteilung —, der geht ihm gewiß nicht weit genug. Dieſer Lorenzen er¬ ſcheint mir, im Gegenſatz zu ſeinen Jahren, als einer der allerjüngſten. Und zu verwundern bleibt nur, daß der Alte ſo gut mit ihm ſteht. Freund Woldemar hat mir davon erzählt. Der Alte liebt ihn und ſieht nicht, daß ihm ſein geliebter Paſtor den Aſt abſägt, auf dem er ſitzt. Ja, dieſe von der neueſten Schule, das ſind die aller¬ ſchlimmſten. Immer Volk und wieder Volk, und mal auch etwas Chriſtus dazwiſchen. Aber ich laſſe mich ſo leicht nicht hinters Licht führen. Es läuft alles darauf hinaus, daß ſie mit uns aufräumen wollen, und mit dem alten Chriſtentum auch. Sie haben ein neues, und das überlieferte behandeln ſie deſpektierlich.“ „Kann ich ihnen unter Umſtänden nicht verdenken. Seien Sie gut, Rex, und laſſen Sie Konventikel und Partei mal beiſeite. Das Überlieferte, was einem da ſo vor die Klinge kommt, namentlich wenn Sie ſich die Menſchen anſehen, wie ſie nun mal ſind, iſt doch ſehr reparaturbedürftig, und auf ſolche Reparatur iſt ein Mann wie dieſer Lorenzen eben aus. Machen Sie die Probe. Hie Lorenzen, hie Gundermann. Und Ihren guten Glauben in Ehren, aber Sie werden dieſen Gundermann doch nicht über den Lorenzen ſtellen und ihn überhaupt nur ernſt¬ haft nehmen wollen. Und wie dieſer Waſſermüller aus der Brettſchneidebranche, ſo ſind die meiſten. Phraſe, Phraſe. Mitunter auch Geſchäft oder noch Schlimmeres.“ „Ich kann jetzt nicht antworten, Czako. Was Sie da ſagen, berührt eine große Frage, bei der man doch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/62
Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/62>, abgerufen am 29.04.2024.