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Fontane, Theodor: Jenseit des Tweed. Bilder und Briefe aus Schottland. Berlin, 1860.

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von unserem Wildhüter und traten wieder in's Freie. Wir athmeten auf in der frischen Luft und fühlten uns wie von einem leisen Drucke befreit. Welcher Art dieser Druck war, worin er seinen eigentlichen Grund hatte, ist schwer zu sagen. Ob es die schwüle Luft der Zimmer oder die geistige Atmosphäre der "Romanze in Stein und Mörtel" war, ich mag es nicht entscheiden; vielleicht wirkte beides zusammen. Als der Dichter selbst noch lebte, er, dem diese Dinge etwas bedeuteten, eine Herzenssache waren, belebten sie sich unter dem lebendigen Wort, das er ihnen entgegentrug, wie die alte Sage Fels und Baum unter dem Klang der Leier lebendig werden läßt; jetzt aber, wo diese Klänge schweigen, sind die Steine wieder Stein und selbst derjenige, der mit Schottischer Dichtung und Geschichte wohlvertraut ist, schreitet durch diese Zimmer hin, wie durch die Säle eines Wachsfiguren-Cabinets.

Ich schied von der "Romanze in Stein und Mörtel" ohne besondere Gehobenheit der Stimmung, jedenfalls ohne alle Begeisterung; dennoch blick' ich mit Freuden auf jenen stillen grauen Tag zurück. Die Fahrt nach Abbotsford war eine Pilgerfahrt, eine erfüllte Pflicht, ein Zug, zu dem das Herz drängte. Was wäre der Ruhm Schottlands ohne die Erscheinung Walter Scott's! Er hat die Lieder seines Landes gesammelt und die Geschichte desselben durch eigene Dichtungen unsterblich gemacht. Eine volle und reine Befriedigung gewährt es

von unserem Wildhüter und traten wieder in’s Freie. Wir athmeten auf in der frischen Luft und fühlten uns wie von einem leisen Drucke befreit. Welcher Art dieser Druck war, worin er seinen eigentlichen Grund hatte, ist schwer zu sagen. Ob es die schwüle Luft der Zimmer oder die geistige Atmosphäre der „Romanze in Stein und Mörtel“ war, ich mag es nicht entscheiden; vielleicht wirkte beides zusammen. Als der Dichter selbst noch lebte, er, dem diese Dinge etwas bedeuteten, eine Herzenssache waren, belebten sie sich unter dem lebendigen Wort, das er ihnen entgegentrug, wie die alte Sage Fels und Baum unter dem Klang der Leier lebendig werden läßt; jetzt aber, wo diese Klänge schweigen, sind die Steine wieder Stein und selbst derjenige, der mit Schottischer Dichtung und Geschichte wohlvertraut ist, schreitet durch diese Zimmer hin, wie durch die Säle eines Wachsfiguren-Cabinets.

Ich schied von der „Romanze in Stein und Mörtel“ ohne besondere Gehobenheit der Stimmung, jedenfalls ohne alle Begeisterung; dennoch blick’ ich mit Freuden auf jenen stillen grauen Tag zurück. Die Fahrt nach Abbotsford war eine Pilgerfahrt, eine erfüllte Pflicht, ein Zug, zu dem das Herz drängte. Was wäre der Ruhm Schottlands ohne die Erscheinung Walter Scott’s! Er hat die Lieder seines Landes gesammelt und die Geschichte desselben durch eigene Dichtungen unsterblich gemacht. Eine volle und reine Befriedigung gewährt es

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[344/0361] von unserem Wildhüter und traten wieder in’s Freie. Wir athmeten auf in der frischen Luft und fühlten uns wie von einem leisen Drucke befreit. Welcher Art dieser Druck war, worin er seinen eigentlichen Grund hatte, ist schwer zu sagen. Ob es die schwüle Luft der Zimmer oder die geistige Atmosphäre der „Romanze in Stein und Mörtel“ war, ich mag es nicht entscheiden; vielleicht wirkte beides zusammen. Als der Dichter selbst noch lebte, er, dem diese Dinge etwas bedeuteten, eine Herzenssache waren, belebten sie sich unter dem lebendigen Wort, das er ihnen entgegentrug, wie die alte Sage Fels und Baum unter dem Klang der Leier lebendig werden läßt; jetzt aber, wo diese Klänge schweigen, sind die Steine wieder Stein und selbst derjenige, der mit Schottischer Dichtung und Geschichte wohlvertraut ist, schreitet durch diese Zimmer hin, wie durch die Säle eines Wachsfiguren-Cabinets. Ich schied von der „Romanze in Stein und Mörtel“ ohne besondere Gehobenheit der Stimmung, jedenfalls ohne alle Begeisterung; dennoch blick’ ich mit Freuden auf jenen stillen grauen Tag zurück. Die Fahrt nach Abbotsford war eine Pilgerfahrt, eine erfüllte Pflicht, ein Zug, zu dem das Herz drängte. Was wäre der Ruhm Schottlands ohne die Erscheinung Walter Scott’s! Er hat die Lieder seines Landes gesammelt und die Geschichte desselben durch eigene Dichtungen unsterblich gemacht. Eine volle und reine Befriedigung gewährt es

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Theodor Fontane-Arbeitsstelle der Georg-August-Universität Göttingen, Theodor Fontane: Große Brandenburger Ausgabe (GBA): Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin). (2018-07-25T15:22:45Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Alexandra Priesterath, Christian Thomas, Linda Martin: Bearbeitung der digitalen Edition. (2018-07-25T15:22:45Z)

Weitere Informationen:

Theodor Fontane: Jenseit des Tweed. Bilder und Briefe aus Schottland. Hrsg. von Maren Ermisch. Berlin 2017 [= Große Brandenburger Ausgabe, Das reiseliterarische Werk, Bd. 2]: Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin).

Der Text der Ausgabe wird hier ergänzt um das Kapitel „Lochleven-Castle“, das aus verlagstechnischen Gründen in der Erstausgabe fehlte (vgl. dazu die entsprechenden Informationen auf der Seite der Theodor Fontane-Arbeitsstelle der Georg-August-Universität Göttingen). Die dazugehörigen Faksimiles, 0331 bis 0333, wurden von Seiten der Österreichischen Nationalbibliothek übernommen.

Verfahren der Texterfassung: manuell (einfach erfasst).

  • Bogensignaturen: nicht übernommen;
  • Druckfehler: dokumentiert;
  • fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;
  • Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe;
  • Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): gekennzeichnet;
  • i/j in Fraktur: keine Angabe;
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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Jenseit des Tweed. Bilder und Briefe aus Schottland. Berlin, 1860, S. 344. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_tweed_1860/361>, abgerufen am 28.04.2024.